Nikolaus Harnoncourt hat mich in meinem Musikverständnis so sehr geprägt, dass ich ihm ein Kapitel in meinem Blog widmen möchte. Er hat keineswegs nur meine Wenigkeit geprägt, sondern ein oder sogar zwei Generationen von Musikern und Sängern.
2009, zum 80.Geburtstag von Harnoncourt, erschien im Residenzverlag das Buch Oper, sinnlich, das ich zusammen mit Frau Dr. Johanna Fürstauer geschrieben habe. In der Vorbereitung habe ich viele Regisseure, Musiker und Sänger getroffen, die mir erzählt haben über ihre Arbeit mit ihm. Im Buch blieb vieles Wertvolle unveröffentlicht, sodass ich hier nach und nach einiges davon bringen will.
Julia Kleiter, Sängerin
„Das Bereichernste an der Arbeit mit Nikolaus Harnoncourt ist seine Art, vom Wort, von der Emotion auszugehen. Das tut auch das Orchester, sie werfen uns Sängern die Klangfarben richtig zu. Als Sängerin fühlte ich mich bei ihm von Anfang an gleichberechtigt – ich setze ja das um, was er möchte. Ich fühle mich bei niemandem so frei. Ich gucke auf seine Augen, und oft schaue ich nicht mal zu ihm hin, sondern spüre nur seinen Atem, denn er atmete stets mit den Sängern mit.
Und er wird nie müde, etwas einzufordern. Auch andere Dirigenten fordern etwas, doch wenn es nicht kommt, geben sie es oft gleich auf. Harnoncourt hat ein Feuer, das nie erlischt. Und überhaupt – er ist einfach ein Herz!!
Gabriele Sima, Sängerin
„Als Studentin damals am Salzburger Mozarteum hat es unglaublich viel bedeutet, dass jemand, der so forscht, sich so viele und spezielle Gedanken über Musik macht und auf diese Art musiziert wie Nikolaus Harnoncourt, uns sein ganzes Wissen vermittelt hat. Es sind Leute aus der ganzen Welt gekommen um das zu hören. Da ist unglaublich viel geschehen, zum Beispiel haben die beiden Fischers, Adam und Ivan, sich dort alles geholt. Wir haben uns wie Jünger gefühlt. Er hat uns zum Beispiel den Idomeneo, so wie er ihn in 1000 Stunden erarbeitet hat, eins zu eins dargelegt. Andere würden geizen mit so einem Wissen. Wir haben alle Musik, solche für die verschiedensten Instrumente durchgenommen. Das hat mein Leben durch und durch geprägt, als Sängerin, nun auch als Lehrerin und überhaupt als Mensch.
Es ist wie in der Zauberflöte, man kann die tiefsten Dinge, in der einfachsten Art und Weise verstehen. Mit 17 habe ich das so nehmen können, und jetzt aber auf eine ganze neue Weise, eben weil es so authentisch, so ursprünglich ist. Darum hat er überhaupt keine Angst, mit der Konvention zu brechen, weil das Ursprüngliche das Wichtigste ist. Das Spontane, das dennoch geistig geführt ist, hat diese Ursprünglichkeit. Abgesehen von diesem ungeheueren Wissen, das er uns vermittelt hat ist das ein Schatz mit dem man durch das Leben geht.
Es wäre aber – später beim Singen mit ihm als Dirigent –schön gewesen, wenn mehr Miteinander beim Atmen möglich gewesen wäre. Er atmet für die Sänger, aber nicht mit ihnen. Da hätte ich mir mehr Zuhören von seiner Seite gewünscht. Ich habe das Gefühl dass er den Sängern seinen Atem aufoktroyiert. Da ich viel mit Claudio Abbado gesungen habe weiß ich dass es für einen Dirigenten möglich ist, auch auf solche Weise mit dem Sänger zu atmen.“
Marc Minkowski, Dirigent und Festival-Leiter
“Nikolaus Harnoncourt nous a appris que le texte sur lequel se fondent les musiciens n’était pas un dû mais une terre à découvrir dont nous devions apprendre la langue. Qu’il ne suffisait pas d’acheter une partition au coin de la rue et d’en nourrir nos instruments familiers mais que ce legs universel exigeait que nous prenions les mêmes risques que des explorateurs. Il a fait du chef d’orchestre, non plus un prêtre ou un gardien mais un voyageur qui ne sait pas aujourd’hui ce qui l’attend demain. Et, prenant la plume, il a expliqué cela mieux que tout le monde – bien mieux que moi en tout cas. Je ne l’en remercierai jamais assez.” “Nikolaus Harnoncourt hat uns gelehrt dass der Notentext, den die Musiker vor Augen haben kein unabänderliche Vorschrift ist, sondern ein Land , das es zu entdecken gilt und dessen Sprache wir erlernen müssen Dass es außerdem nicht genüge an der Straßenecke eine Partitur zu kaufen und unsere gewohnten Instrumente damit zu füttern, sondern dass dieses universelle Vermächtnis uns vielmehr dieselben Risiken abverlange wie einem Forschungsreisenden. Er war als Dirigent weder Priester noch Wächter, sondern ein Reisender, der heute nicht weiß, was ihn morgen erwartet. Und als Schreibender hat er all das besser als alle anderen erklärt – auf jeden Fall besser als ich. Ich kann ihm nicht genug dafür danken.“
Georg Nigl, Sänger
In einer Probenpause habe ich einmal Herrn Harnoncourt im Beisein von einem weiteren Musiker um Rat gefragt bezüglich der Tempowahl in Madrigalen Monteverdis die ich mit dem Lautenisten Luca Pianca erarbeiten wollte. Als die Pause zu Ende ging entfernte sich Harnoncourt Richtung Orchestergraben, und ich sagte noch zu dem Kollegen: „Wenn ich etwas nicht verstehe, dann kann ich ja immer noch den Luca fragen“. Da drehte sich Harnoncourt nochmals um: „Herr Nigl, machen Sie sich immer ein eigenes Bild!“ Dieser Satz hat mich wie ein Blitz getroffen.
Malin Hartelius, Sängerin
Für mich ist die große Herausforderung beim Operngesang, auch den Charakter einer Figur zu erforschen. Und da ist es wunderbar, wenn man einen Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt hat, der auch in die Bedeutungsebene geht. Manchmal denke ich, er wäre auch ein großartiger Schauspieler geworden. Ich hätte ihn sehr gern mal auf der Bühne erlebt, sehr, sehr gerne!
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