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Anfänge

Schubertiade Schwarzenberg August 2017

Nicht nur, weil dies mein erster Artikel auf meiner neuen Blog ist, will ich hier immer wieder das Thema Anfänge streifen. Vielmehr haben es mir die Hörerlebnisse der drei ersten Konzerte, die ich bei der aktuellen Schubertiade in Schwarzenberg hörte, suggeriert.

Für René Pape war sein Konzert in Schwarzenberg ein Anfang, nämlich sein Debut an diesem für die Musikwelt so wichtigen Ort, was er auch auf einer Webseite gebührend kundtat. Der in Dresden geborene, zu Ensemble der Berliner Staatsoper gehörende Bassist hat soeben in Bayreuth den König Marke in Wagners „Tristan“ gesungen – ein anderes Kaliber als ein Liederabend im intimen Rahmen Schwarzenbergs. In diesem zeigte er sich etwas angeschlagen, musste sich wenige Male die Stimme frei räuspern und klagte über die Hitze im freilich immer sehr gut heruntergekühlten Saal. Der sympathische Sänger konnte trotz dieser kleinen Trübung – oder vielleicht auch deshalb, denn es zeigte ihn menschlich – das Publikum für sich gewinnen, vor allem mit seiner wunderbaren Stimme, deren Tiefe wie dunkles Erz schimmern kann und immer wieder neu mit ihrer Macht mitreißt. Den erfahrenden Hörern in Schwarzenberg entging aber nicht, dass Pape nicht jene Legatokultur besitzt, die man sich für Liedgesang auf allerhöchstem Niveau wünschen würde, und – und dies berührt wieder das Thema Anfänge – er nicht mit den ersten Tönen eines Liedes dessen Stimmung zu vermitteln verstand. Gute Liedsänger oder auch Instrumentalisten vermögend das sehr wohl, wie die Künstlerinnen zeigten, die am Samstag zu Werke waren. Überhaupt wurde man den Eindruck nicht los, dass der Sänger, wie auch sein Begleiter am Flügel, Camillo Radicke, nicht genug vorbereitet waren, sang doch Pape, mit Ausnahme der Zugaben, stets aus den Noten. Und auch die ultimative seelische Durchdringung vermisste man doch immer wieder. Bemerkenswert war das Programm, das die beiden mitbrachten. Begonnen haben sie mit Mozarts Freimaurerkantate „Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt“, mit der René Pape als der wohl gesuchteste Sarastro der letzen  zweieinhalb Jahrzehnte seine Visitenkarte abgab. Mit Liedern von Ludwig van Beethoven nach Texten von Christian Gellert blieben die beiden Interpreten in der Sphäre des Spirituellen, und wenn man so will, auch mit den Heine-Liedern aus Schuberts „Schwanengesang“. Diese gelangen wirklich packend. Nach der Pause kam den formell im Frack gekleidete Sänger ohne Fliege, der Hitze wegen, und klang auch in seinem Gesang befreiter. Drei Shakespeare-Vertonungen des 1877 geborenen Engländers Roger Quilter überzeugten, ebenso sieben Gesänge von Jean Sibelius, die René Pape auf Deutsch vortrug, mit Ausnahme des letzten, einer englischsprachigen Hymne. Wohlausgewählt waren auch die drei Zugaben: Strauss „Zueignung“, Schumanns „Kinderwacht“ und Schuberts Melodram „Abschied von der Erde“, in der der Sänger seine schön deklamierende Sprechstimme präsentierte und der Pianist Camillo Radicke  nach seinem mehr als nur mäßigen Mozart und Beethoven doch noch Klasse zeigen konnte.

 

 

Der Samstagnachmittag gehörte der Pianistin Katia Buniatishvili und war, soviel vorweg, atemberaubend auf der ganzen Linie. Noch ehe man sich bei ihrem Auftreten vom hinreißenden Anblick dieser attraktiven Frau in einem superb geschnittenen Kleid lösen konnte, und noch in den Auftrittsapplaus hinein, setzte sie einen der berühmtesten Anfänge der Klavierliteratur, den c-Moll-Akkord von Beethovens „Pathetique“ Opus 13. Diese Frau ist ein Gesamtkunstwerk, man könnte ihr vorwerfen, dass sie sich selbst inszeniert. Doch ich bin überzeugt, dass alles bei ihr aus dem Herzen kommt, und  dass alles, was sie tut, dem Dienst an der Musik untergeordnet ist. Vor allem ihre stupende, manchmal aberwitzig erscheinende Virtuosität, die vor allem bei den Komponisten der für sie im Zentrum steht, gefordert ist, nämlich Franz Liszt. Und dieser war ja ebenfalls, als Person und als Musiker, ein Gesamtkunstwerk – Katia und Franz als Seelenverwandte. Drei große Werke von Liszt spielte Katia auch in Schwarzenberg. Den Bezug zu Schubert nahm sie auf mit seiner Bearbeitung des „Gretchen am Spinnrade“, weiters hörte man den ersten Mephisto-Walzer und seine zweite Ungarische Rhapsodie in der Bearbeitung von Horowitz. Gewichtiger als dieses erschien mir ihre Interpretation von zwei Beethoven-Sonaten, die schon genannte „Sonate Pathetique“ und die „Appassionata“. Leidenschaftlichkeit steckt ja in beiden schon im Namen, und Katia reizt diese voll aus. Sie setzt rasenden Läufe in Gegensatz zu kleine Motiven, in denen die Zeit still steht, und die so schlicht formuliert sind, dass man es kaum fassen mag. Und auch in den lyrischen Mittelsätzen der Sonaten kann sie ganz zurückgenommen spielen. Nach der Rasanz der „Ungarischen Rhapsodie“ von Liszt m Ende des offiziellen Programms lag der georgischen Pianistin offenbar auch daran, sich und das Publikum zu beruhigen, zuerst mit Debussys „Clair de Lune“ (an diesem Abend gab es tatsächlich eine wunderschöne Mondsichel in natura zu bestaunen) und einem zarten Menuett von Händel.

 

 

„Darf sie das denn?“ So fragten manche Besucher oder Besucherinnen vor dem Konzert des Duos Elisabeth Kulman und Eduard Kutrowatz. Nämlich Robert Schumanns ehrwürdigen Liederzyklus „Frauenliebe und –leben“ zu kürzen und dann noch zu durchsetzen mit anderen Liedern und Klavierstücken, die freilich alle von Schumann waren. Doch nicht nur damit ändert Elisabeth Kulman den Ritus eines Liederabends. Sie steht auch nicht in der Bucht des Flügels, sondern dieser befindet sich etwas seitlich, und sie steht frei in der Mitte des Podiums. Das alles darf sie, finde ich. Mehr noch, es ist hoch an der Zeit, den herkömmlichen Ablauf eines Liederabends zu hinterfragen, und ich wundere mich schon lange, dass junge Sängerinnen und Sänger diesen so eins zu eins übernehmen. Denn Liederabende, wie wir sie heute gewöhnt sind, kamen erst im 20.Jahrhundert auf  und wurden als Konzertform gefestigt etwa durch Dietrich Fischer-Dieskau oder Elisabeth Schwarzkopf oder in England Peter Pears und  Benjamin Britten. Im 19. Jahrhundert sang man Lieder in privatem oder geselligem Rahmen (Schubertiade!) oder man bot eine Gruppe von Liedern als Programmpunkt eines gemischten Konzertes dar.

Elisabeth Kulman stellt so manches in unserem Kulturbetrieb in Frage. Vor mehreren Jahren hat sie eine Initiative gegründet gegen die Ungerechtigkeit der Gagen in der Oper, wo Stars unverhältnismäßig mehr verdienden als junge Sänger. Und vor zwei Jahren hat sie ihre Opernkarriere ruhend gestellt, da sie lieber eigene Projekte macht, als sich unter das Diktat von Regisseuren und vielleicht auch Dirigenten zu stellen. Und solch ein eigenes Projekt erlebte das Schubertiadepublikum, das sich schließlich von dem Konzert überzeugen ließ.

 

Der bereits erwähnte erste Teil mit Kompositionen von Robert Schumann war bestimmt durch Dichtungen der Fast-Namenskollegin Elisabeth Kulmann, die zu Beginn des 19.Jahrhunderts lebte, bereits mit 17 Jahren starb und Gedichte schrieb, die eben Schumann vertonte. Diese eher schlichten Gesänge wechselten sich ab mit einigen Liedern aus „Frauenliebe und –leben“ sowie Klavierstücken aus den Kinderszenen, dazu einigen weiteren Liedern, sodass sich ein neues Frauenleben in Liedern ergab, das bis zum Tod und weiter in die Ewigkeit führte. Auch im zweiten Teil des Konzertes ging es um letzte Dinge, doch freier und hin und wieder mit etwas Augenzwinkern. Vor allem lag das an den Vertonungen von Gedichten von Erich Kästner durch den österreichischen Komponisten Herwig Reiter. Er war selbst anwesend, und so erlebte das Schubertiadepublikum die bei diesem Festival überaus rare Gelegenheit, einem lebenden Komponisten Beifall zu spenden. Im Wechsel zu den Liedern Reiters erklang Schubert.

Den ganzen Abend konnte man Elisabeth Kulmans kostbar timbrierten Mezzosopran genießen, der lockerer als je klingt, nie forciert wird und in allen Lagen wunderbar anspricht. Und endlich sei Eduard Kutrowatz genannt, der der Sängerin große Aufmerksamkeit und Unterstützung zuteil werden ließ und mit seinem Spiel durchwegs erfreute.

Ist es Zufall, dass die Sängerin und der Pianist, dazu die beiden zentralen Textdichter des Programms, Kulmann und Kästner, jeweils die Initialen E und K haben? Falls es gewollt ist, so wäre es nur ein kleiner Aspekt einer wunderbar gerundeten und zu vielem Nachdenken und Nachspüren angelegten Programmdramaturgie. Und wir wären wieder beim Thema Anfänge, auch wenn es sich hier nur um Buchstaben handelt.

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