Loading...
X

„Ein Engel Leonore“ – Beethovens “Fidelio” in Sankt Gallen

 

Im Jahre 1968 wurde das Theater Sankt Gallen mit Beethovens „Fidelio“ eröffnet. Auf den Tag genau nach fünfzig Jahren, am 15.März, feierte eine Neuinszenierung von „Fidelio“ Premiere. Weiterer Grund zum Feiern war die deutliche Zustimmung der Stimmbürger des Kantons zu Renovierung des Theaters. Die Freude ist groß auch für mich ganz persönlich, denn ich habe eine eigene Geschichte mit dieser Oper. Als Gesangstudentin war die Partie der Leonore meine Traumpartie, was damals durchaus im Rahmen meiner Möglichkeiten gewesen wäre. Ich wurde keine Opernsolistin, dennoch wurde Fidelio zu meinem Schicksalswerk. Nikolaus Harnoncourt dirigierte diese Oper als Gastspiel der Zürcher Oper 1994 beim Bregenzer Frühling konzertant. Ich durfte das Programmheft gestalten und entschloss mich zu einem Interview mit dem Meister. Das kam zustande, der Text wurde nach seinem Abdruck im Programmheft in die Gesamtaufnahme des „Fidelio“ durch Harnoncourt aufgenommen und erregte tatsächlich weltweit Beachtung – es gab sogar eine Übersetzung ins Japanische. Abgedruckt wurde es dann auch im Buch „Nikolaus Harnoncourt: Töne sind höhere Worte“, Residenz Verlag.

So lag die Latte meines Anspruchs an eine Neuinterpretation der Oper hoch, und ich bin sehr glücklich über die Qualität, die diese Aufführung in Sankt Gallen hatte.

Mit ihrer Botschaft der Menschenliebe und der stetigen Steigerung hin zum idealistischen Schlusstableau ist Beethovens „Fidelio“ die Festoper schlechthin. Dem Münchner Regisseur Jan Schmidt-Garre, der in Sankt Gallen bereits Korngolds Oper „Die tote Stadt“ inszeniert hat und mehrere musikaffine Filme gedreht hat, ist vieles in seiner eigenwilligen Inszenierung gelungen, jedoch der Sog zum gänzlichen Ende hin weniger. Das ist vor allem der Entscheidung zuzuschreiben, die „Leonoren-Ouvertüre III“ bei geschlossenem Vorhang vor dem Finale zu spielen. Zwar hat das Orchester unter Otto Tausk diese fabelhaft musiziert, wie überhaupt die musikalische Seite die reine Freunde war, doch die szenische Spannung geht verloren. Dennoch ist die Regie insgesamt hoch zu loben. Sie ergeht sich nicht in bloßem Storytelling , auch nicht in platter Aktualisierung, sondern es scheint dass sie Bezug nimmt auf einzelne Sätze des viel geschmähten, wie ich jedoch finde, sehr berührenden Librettos. Und sie enthält eine Reihe ernst zu nehmender Denkanstöße. Etwa den, dass Leonore nicht als Mann verkleidet ist, vielmehr in einem roten Gewand in modernem Schnitt gleichsam wie ein Engel oder eine helle Energie fast immer auf der Bühne steht – „ein Engel Leonore“ singt ja Florestan. Die charismatische Erscheinung der Sängerin Jacquelyn Wagner tut das ihre zum stimmigen Eindruck. Sie steht meist auf einem erhöhten Platz, aber nicht mehr beim Finale. Hat sie vielleicht ihr Charisma verloren, weil sie sich an der brutalen Aktion gegen Pizarro beteiligt hat?

 

Bild: Toni Suter

Jacquelyn Wagner singt auch hervorragend, liefert leuchtende Spitzentöne und schöne Linien, ohne je pathetisch zu werden. Auch alle weiteren Sängerdarsteller erfüllen ihre Rollen in hohem Masse: Tatjana Schneider als mädchenhafte Marzelline, Wojtek Gierlach als gemütvoller Rocco, dessen „Goldarie“, wie immer wieder bei Inszenierungen, gestrichen wurde, und Riccardo Botta als Jaquino. Stimmlich blass bleibt hingegen der prominente Gast Roman Trekel als Don Pizarro, ist aber darstellerisch umso überzeugender. Mit Wärme erfüllt Norbert Ernst die Figur des Florestan, und der Feldkircher Martin Summer ist der eindrucksvolle Minister. Summer wird in machen Folgeaufführungen den Rocco singen, wie überhaupt so gut wie alle Rollen mehrfach besetzt sind. Ein großes Lob gebührt dem klangschönen Chor.

 

 

 

 

0 Overall Score
0 Reader Rating: 0 Votes
2 Comments
Leave a Reply
Top