Ein Gespräch vom September 2008 in Zürich
Herr Hampson war Ihre erste Partie mit Nikolaus Harnoncourt der Don Giovanni in Zürich?
Nein, es war Dido und Äneas. Szenisch mit Nikolaus Lenhoff. Roberta Alexander war Dido, und das war meine erste Begegnung mit Harnoncourt in Graz bei der styriarte.
Und dann…nein Dido war die schon die zweite Produktion.
1985, also vorher schon war in Julius Caesar der Achillas, und dann in Zürich, als ich da engagiert war, war eine meiner ersten Produktionen der Julius Caesar selbst. Federik Mirdita hat inszeniert, ein netten Kerl. Das war das Szenische. Sonst hatte ich viele Konzerte mit NH. Dido war zuvor konzertant in Wien. Und dann in Graz habe ich meine jetzige Frau Andrea Herberstein kennengelernt, sie war damals die Leiterin der styriarte.
Dann kam der Ponnelle-Zyklus in Zürich, das erste war Cosi, mit Lucia Popp, Ann Murray, Gösta Winbergh, Claudio Nicolai und…? (Julia Hamari, Anm:), eine legendäre Produktion. In dieser Produktion waren nacheinander die beiden verstorbenen Tenöre Winbergh und Deon van der Walt meine Partner.
Und dann kam für mich Figaro an der Met, und dann 1987 die 200jahrfeier der Uraufführung des Don Giovanni konzertant, aber mein erster Don Giovanni war szenisch mit NH und JPP in Zürich. Und als JPP gestorben ist, haben wird den alten Figaro aus Salzburg geholt.
Und dann gab es noch den DG mit Kušej in Salzburg?
Ja, im Jahr 2002. Die neue Ära Rusizka wurde damit spektakulär eröffnet.
Wie war die Arbeit mit Harnoncourt, nach all Ihren Erfahrungen mit anderen Dirigenten?
Es gehört gesagt dass bei uns Sängern, darstellenden Künstlern, Teil unserer Aufgabe die Anpassungsfähigkeit ist. Das heißt nicht dass wir nicht selbst auch unsere eigene Meinung, unser Können, unsere Inbrunst und was auch immer haben, aber es liegt an einem starken Dirigenten, seine Phantasie, seine Vorstellungen ect. auf uns zu übertragen. Wenn Levine sowas und Abbado sowas verlangt, oder Muti oder Harnoncourt was weiteres, so müssen wir das erstens können, und zweitens verstehen können. Auch wenn Harnoncourt etwas sonderbar Scheinendes verlangt hat, so war es doch immer selbstverständlich und logisch und begründet. Oft habe ich für mich selbst eine andere Meinung behalten in der Welt von Harnoncourt, denn er ist gründlich, logisch und vernünftig, und er streitet selbst auch gern. Hat gerne Persönlichkeiten, die sagen das verstehe ich nicht, aus dem und dem Grund. Noch dazu hab ich den Harnoncourt sehr früh in meiner Karriere kennengelernt, und deswegen hat er in sehr vielen Dingen meine Einstellung geformt, ich bin ihm sehr dankbar. Er ist einer der größten Musiker, dem ich je in meinem Leben begegnet bin. Später als ich mehr Erfahrungen mit anderen großen Dirigenten gesammelt hatte, hat das Harnoncourt einfach nochmals eine ganz besondere Klasse eingeräumt in meinem Verständnis, sehr spannend. Aber die Wahrheit, die Wahrhaftigkeit, die gründliche kompromisslose Nachsuchen von Wurzeln und Zusammenhängen, dem kann sich bei ihm niemand entziehen. Es ist ein großer Lehrer für mich gewesen.
Wenn Sie ihn vielleicht noch näher mit den anderen Dirigenten vergleichen wollen…?
Es gibt unfassbare Persönlichkeiten unter den Musikern, den Dirigenten: ein Bernstein, Abbado, Muti. Es gibt einen Grund warum sie so groß sind, aber sie sind sehr unterschiedlich. Das vergleiche ich gerne mit Bergsteigen, einer geht den Weg von Süden her, der andere von Norden, aber immer geht es um denselben Berg.
Ist es nicht so dass NH sehr viel beim Proben vermittelt, während andere Dirigenten, beispielsweise Abbado, die Inspiration im Moment der Aufführung geben?
Ja, die Probenweise zwischen den Beiden ist wirklich unterschiedlich. Der Abbado ist einer der Giganten der Alten Schule, der mit dem Stab etwas bewirkt, er hört zu und es geschieht ein Wechselspiel mit dem Sänger. Er ist nicht unbedingt ein Sängererzieher, Musikerzieher, aber selbst ein großer Musiker. Man muss selbst einen gewissen Grad des Könnens haben, ehe man Abbado wirklich zufriedenstellen kann. Stimmt, er hat in den Proben nicht viel zu sagen.
Aber NH ist fast ein Kammermusiker in dem Sinn dass er alle Beteiligten einschwören möchte auf den Grundsatz dessen, wie man singt oder musiziert. Es sind immer ganz gründliche, wesentliche Gespräche, Es gibt Dirigenten die machen das nicht, die glauben, sowas sollte selbstverständlich sein oder jeder muss es für sich selbst finden.
Sprechen wir über die Rollen! Zuerst Äneas?
Das war vor 22 Jahren, und ich habs nur damals gesungen, also muss ich nachdenken. Eine wunderschöne Produktion, auch von der Regie Lenhoffs her! Ich war damals ganz fasziniert vom Klang des Concentus und seiner so anderen Art zu phrasieren, und diese Spontaneität von NH! Äneas ist einfach dieser frische, junge, naive strahlende Mann, der im Begriff ist, zum Helden zu werden. Und das passte zu dem jungen Bariton, der ich damals war, der sich einfach auf die Bühnen pflanzte und seine strahlenden Töne sang. Eine sehr schöne Zeit, NH war sehr zufrieden.
Die Marienvesper haben wir auch gemacht.
Der Händel dann, Giulio Cesare?
Achillas und Julius Caesar waren auch toll! Ich rechne es NH als Vater der Originalen Instrumente und der Originalklangpraxis sehr hoch an, dass er trotzdem echte Männer in diese Heldenrollen besetzt hat. Denn heute ist das undenkbar, da kommt die Barockmafia und sagt: das muss eine Mezzosopranistin singen oder ein Countertenor. Ich finde es immer noch schöner wenn diese Helden Baritone sind. Es ist da während meiner Karriere so eine gewaltige Änderung passiert. Auf NH wird die ganze Originalklangbewegung zurückgeführt, aber letztendlich war in seiner Praxis sehr flexibel. In Wien war Caesar Benjamin Luxon und ich dann in ZH. Dennoch war NH es, der bei Monteverdi einen Countertenor wieder eingeführt hat. Esswood hat eine enorme Karriere mit ihm gemacht, auch Deller, das ist faszinierend. Achillas ist ein Feldherr, ein Mitspieler des ganzen. Ich habe sehr gerne den JC gesungen, die Rolle. Ich habe ihn neulich wieder angesehen, ich glaube ich könnte ihn noch immer singen.
Es ist ja eine sehr umfangreiche Partie!
Ja sehr, später, 1990, habe ich Ulisse gesungen, diese mythologischen Figuren reizen mich, regen meine Gedanken sehr an.
Was ist es, was Sie reizt?
Obwohl sie natürlich normale Männer sind, sind sie in ihrer Existenz sehr metapherbeladen. Sie repräsentieren eine ideale Ideen- und Gefühlswelt, statt, aha, solche Hosen, solche Schuhe. Eben das Normale. Das passt schon sehr zum Gesang. Eine modernere Version des Helden ist Wilhelm Tell, doch er ist zuerst ein gewöhnlicher Mann, der wird dann zum Heldentum gerufen, und er verbindet sich dabei sehr mit dem Ikonischen, Mythologischen. Dadurch ist das so ein Volksmythos geworden. Das sind spannende Gedankenwelten, größere als was wir im Alltag leben, und ich glaube dass das Theater diese Welt unterstützen und darstellen soll. Ich bin nicht der Meinung dass jede Oper im Namen von Verständlichkeit heruntergezogen werden muss in den gegenwärtigen Kontext. Ich glaube nicht dass das Publikum das benötigt, es ist oft gescheiter als die Regisseure es annehmen (lacht)
Eine besondere Sache ist da der Don Giovanni. Ich kann nicht stark genug meine Dankbarkeit betonen, dass meine erste Auseinandersetzung mit Cosi, mit Le nozze di Figaro und vor allem mit Don Giovanni in den Händen von Jean-Pierre Ponnelle war. Und dann mit entweder NH oder Levine. Das ist so eine mächtige Grundlage, dass ich selbst 15 oder 20 Jahre später, wenn ich eine dieser Rollen singe und dabei dem Regisseur etwas anbiete und der begeistert ist, dann sage ich: nein bitte, das kommt nicht von mir, das ist von Ponnelle.
Überhaupt ist die Arbeit mit Harnoncourt bei einem Werk von Mozart oder einem Werk mit Rezitativen überhaupt und bei einem, wo die Dramaturgie in dieser harmonischen und rhythmischen Entwicklung von Sprache und Gesang sich ereignet, einfach unbeschreiblich. So gründlich, so selbstverständlich, so nur nach dem Suchen des Sinnes, warum genau diese Figur jetzt genau das sagt,….Und dann sagt er, die Harmonie in der Zeit wäre so, und diese Skala zielt dorthin, das ist phänomenal. Das ist ein Grundstein für meine ganze Arbeit
Etwa bei Simone Boccanegra, durchaus kein Stück für Harnoncourt…
,,,ah,Verdi, warum nicht?
Ja, er kann machen was er will!!! Aber wenn dann Daniele Gatti dieses Rezitativ im dritten Akt erklärt mit der hängenden Harmonie, die sich erst zwei Seiten später auflöst, dann ist das genau der selbe Gedanke. Und da gehe ich mit und kann selbst auch etwas anbieten. Diese Art der gründlichen Arbeit, das ist die Art großer Dirigenten, und von ihnen ist Harnoncourt noch einmal ganz etwas Spezielles.
Dieses Buch von Aussprüchen von ihm ist toll. Es gibt keine Seite, die ich nicht unterstreichen kann.
Sabine Gruber ist eine Autorin, schreibt auch Belletristik, sie singt im Arnold Schönberg Chor.
Ja dieser Arnold Schönberg Chor! Als ich zum ersten Mal die h-Moll Messe gesungen habe – obwohl ich Johannespassion vorher gemacht habe – aber da hat sich eine neue Welt eröffnet. Sie wollten nur über die szenischen Werke reden, aber diese Passionen haben doch ein szenische Art, diese Spannung und Lebendigkeit. Und da muss ich zu dem religiösen Werken schon was sagen in Bezug auf NH. Es ist bekannt dass ich nicht so ein Anhänger bin von John Elliot Gardiner – aber der große Unterschied zwischen Gardiner und NH, und ich will dem Gardiner nichts im Bezug auf Religion unterstellen, aber der große Unterschied ist, dass bei NH eine Aufführung der Passionen ein Pfad des Glaubens ist, es ist ein Werk, das er wieder seinem Gott widmet. NH ist sehr religiös, da habe ich zuerst nicht so mitbekommen. Wenn er die Johannespassion musiziert, dann liest er aus der Bibel,
Es ist bei ihm wie ein Gottesdienst….
Auch die Kantaten sind Gottesdienste, natürlich in dem gewissen Stil, Bach ect..
Man war, metaphorisch gesprochen, in der Kirche. Das ist sehr selten.
Das wird nicht genug über Harnoncourt gesagt: der Mann ist zutiefst gläubig. Zutiefst gewidmet diesem Ursprung der Werke, das ist nicht ein Konzertstück, das ist berührend.
Schon als ich Student war in Washington, da hatten wir eine verrückte Barockgruppe. Die haben diese ersten Telefunken Einspielungen von den Harnoncourts gesammelt, und als ich mit denen gesungen habe, da war ich 20 Jahre alt, da haben wir das angehört. Und dass ich mit NH dann wirklich musizieren konnte: da kriege ich jetzt noch Gänsehaut, unfassbar!
Meine allererste Einspielung vor Mikrophon war mit dem Concentus und NH, ich war ziemlich nervös, und dann auch deprimiert, als ich das Ergebnis gehört hatte. Ich dachte damals, die werden das nochmals mit einem anderen Sänger aufnehmen und die Sache ist gelaufen. Dass NH doch zufrieden war und mich nochmals eingeladen hat…ich habe damals viele Platten gehört und fand meine eigene Stimme durchaus uninteressant. Ich dachte – no heart feelings, er soll nach mir einladen wen er will. Und dass er mich dann doch immer wieder eingeladen hat, und die Alice! Ich erinnere mich genau an den Tag in Graz, 1989, wo NH mir das Duwort angeboten hat.
Ein großes Geschenk!
Es kam aus heiterem Himmel. Andrea hatte damals noch die Leitung der styriarte, und ich hatte frei und habe ihn herumgefahren. Instrumente für das Chamber Orchestra of Europe gefahren, ihn zum Flughafen etc., von Wien was geholt. Wir haben damals sehr viel im Auto über Musik geredet, wirklich von Musiker zu Musiker. Die Andrea bekam das Du-Angebot viel später. Es war mir dann fast peinlich, ich habe ihn gefragt, ob ich auch in den Proben zu ihm Du sagen darf oder Herr Professor. Er sagte dann (macht eine brummelige Stimme) „Du ist Du“.
NH ist ein Begleitbegriff, seit ich wach für Musik bin.
Für viele Menschen. Es ist so berührend was ich bei meinen Interviews an Aussagen diesbezüglich bekomme.
Nun die Regieauffassungen, zuerst Cosi:
Ebenso gründlich war die szenische Arbeit mit Ponnelle, und wenn NH und er nicht einer Meinung waren, dann war eine Spannung im Raum, die faszinierend war. Doch JPP war ein Theatermensch, wenn auch aus der Musik. NH ist auch ein Bühnenmensch, aber er erforscht die Dramaturgie durch das Notenbild von Mozart, was bewirkt ein Andante, was ein Andantino…..Seine feste Überzeugung ist, dass wenn er die Musik richtig trifft, dann kommt die richtige szenische Energie, doch das ist nicht immer wahr. Ich, der tatsächlich auf der Bühne herumgeht …
Doch wenn diese zwei Meister zusammen… sogar Ponnelle war manchmal überrascht von NHs Tempi, doch er konnte das sofort physisch umsetzen.
Er ist also durchaus dem NH gefolgt?
Nicht immer, aber meistens. Er musste natürlich, denn NH musiziert, doch es gab Kompromisse, wenn das Tempo auf der Bühne nicht umsetzbar war.
Was Don Giovanni betrifft, könnte man Stunden reden. Aber eins: Das Stichwort ist weder „gut“ noch „böse“, sondern „Ironie“, und diese Ironie ist der Geniestreich Mozarts. Was Giovanni sagt, in welcher Musik er das tut und welche Wirkung er erreichen will, all das ist ein permanenter Widerspruch. Außer an bestimmten Stellen, und die sind fast die banalsten, wie die Serenade. Die ist nicht ironisch, und das ist das Tragische daran. Denn diese große mythologische Figur, die hat einen Minderwertigkeitskomplex. Er erniedrigt alle anderen, nur um zu beweisen dass er der Größte ist. Und dann in dieser D-Dur Serenade lässt er alle seine Spielzeuge aus dem Sack, für eine Kammerzofe die man nicht sieht. Und das mit angeblichem Erfolg. Angeblichem! Denn wir sehen an diesem Abend überhaupt keinen Erfolg, es wird geredet von Erfolg, immer nur geredet. Doch was wir sehen, ist ein besessener, gebrochener Mann, der nicht an Gott glaubt, der gegen alle Natur geht, der die Männer gesamthaft herunterzieht, die Frauen abnützt. Nicht einmal auf eine raffinierte, faszinierende Weise. Denn Don Giovanni hat selbst keine musikalische Sprache, er nimmt von jeder anderen Figur deren musikalische Sprache auf.
Er hat ja auch keine Arie!
„Fin ch’han dal vino“ ist keine Arie, es ist eine Selbstsuggestion, ein Rausschmeißer, ein Fetzen, wie ein Drogensüchtiger…
Also ist Don Giovanni doch ein Drogensüchtiger, wie im Salzburg heuer?
Nein nein, er ist kein Süchtiger, das ist Bullshit. Alles wird so klein gemacht, es wird kleiner und kleiner. Eine würdige Don Giovanni-Inszenierung ist seit langem nicht gewesen. Ich war niemals begeistert von unserem Bühnenbild von Giovanni im Salzburg, aber der Kušej hat in seinen Gedanken doch die größere Würde der Figuren vor Augen gehabt. Und im zweiten Sommer hatten wir eine sehr gute Aufführung. Die Verfilmung, na ja, das musste sein, die Umstände waren falsch, die Besetzung auch, der Dirigent war nicht NH. Im ersten Sommer haben wir noch getastet, es war neu, nicht ganz sicher. Die Aufführungsserie von 2003 war hervorragend. Es war die umstrittenste Produktion, die ich überhaupt je gemacht habe. Sie wurde abgelehnt, aber auch das Gegenteil. Ich traf hernach Leute mit Tränen in den Augen, die mir sagten sie hätten das Werk nie verstanden, erst heute in dieser Inszenierung. Am selben Tisch war jemand mit Zorn im Auge, der schimpfte, dass das der unwürdigste Schrott ist, den er je gesehen hat. Die beiden haben dann diskutiert. Doch das ist nicht das, was Kunst sein soll. Sie stellt zwar etwas dar, womit wir uns alle auseinandersetzen sollen, Es ist völlig unwesentlich, ob der Thomas Hampson mit dieser Inszenierung einverstanden ist, wenn die Philosophie, das Universale dieses Werks erhalten bleibt, dann habe ich eine Verantwortung, das zu achten, selbst wenn ich nicht mit jedem Detail einverstanden bin. Deshalb bin ich treu geblieben. Denn es war bekannt dass ich nicht zufrieden war, nicht happy war. Doch so schlimm war das nicht, Kušej und ich sind sehr befreundet und durch diesen Kampf noch bessere Freunde geworden, und wir haben stundenlang diskutiert über einzelne Szenen. Eine sehr spannende Arbeit!
Gibt es zwischen den beiden Giovannis grundsätzliche Unterschiede?
Well, ich habe schon einige Male Don Giovanni gemacht. Meine grundsätzliche Überzeugung ist: er ist ein schwierige Figur. Er hat wesentlich mehr mit einem Dracula oder Vampir zu tun als mit Casanova – die dunkle Seite von Casanova ist allerdings dunkel genug. Wenn man zurückgeht auf Tirso de Molina, aufs Puppenspiel, so war es schon immer ein metaphorisches Stück, der Inhalt der unersättlichen Sinnlichkeit, des unbeugsamen Willens. Der Inbegriff der unverzeihlichen Sünde, die jeder Mensch begehen kann, indem er sagt ich kann mich selbst retten, ich bin einzig in der Natur, ich bin mein eigener Gott. Egal welcher Religion man angehört, aber er ordnet sich nicht respektvoll der Natur unter. In der Natur ist auch Gott inbegriffen. Da meine ich nicht den kirchlichen Gott, sondern den Allgott. Und Don Giovanni vernichtet das, er ist in dem Sinn der Inbegriff von Böse, the Evil. Er muss töten, um sein eigenes Leben zu füttern, er geht herum wie der große Gockelhahn, nur um sich selbst zu beweisen was er sein möchte, denn wenn ihm das gelingt, dann kommt die Sinnlichkeit wieder zu ihm her. Er trinkt gern, hat Frauen und sonst noch einiges. Ihn als einen gegenwärtigen Drogensüchtigen darzustellen ist sooo klein. Er ist viel hässlicher als das. Mit einem Drogensüchtigen habe ich Mitleid, mit Don Giovanni nicht. Ich habe nach einer Don Giovanni-Aufführung einen verdorbenen Magen und gereizte Nerven, als ob ich etwas begangen hätte. Ich nehme diese Figur sehr ernst, er hat eine gewaltige Konsequenz für Frauen wie für Männer, für Menschen die bereit sind, das dunkelste unseres Lebens zu denken, zu erfahren. Dass da ein Galgenhumor da ist, eine Perversität, das Dramma Giocoso, das ist auch diese Ironie. Diese Gattungsbezeichnung meint, dass es im Stück parodiehafte Figuren gibt, Buffo. Durch diese strahlt das Menschliche durch.
Leporello etwa?
Zum Beispiel. Auf jedem Fall ist er kein Möchtegern Don Giovanni, die beiden sind nicht austauschbar, das ist das Komödienhafte. Wenn Leporello versucht DG zu sein, ist das nicht lustig, da wird nämlich sofort klar mit welcher verdorbenen Inbrunst Don Giovanni agiert. Niemand kann ihn nachmachen, er kann sich selbst nicht nachmachen. Wenn ein Sänger diese Rolle wirklich gut darstellt, auch wenn er eine schöne Stimme hat, sollte das Publikum eine Abneigung gegen ihn haben. Er ist nicht der Held.
Wie wurde in den beiden Inszenierungen das Ende des DG gedeutet? In Zürich wurde j sogar die Ultima scena weggelassen?
Ja, da werde ich nie vergessen, der „Tagesanzeiger“ oder…(vielleicht auch eine andere Zeitung in Zürich) hat getitelt: „Und am Schluss eine gewöhnliche Leiche“. Ein Verriss! Der Kritiker hat dem Ponnelle vorgeworfen, dass er das ganze heruntergezogen hat. Doch da war der springende Punkt: am Schluss sind wir alle Leichen, Denn Don Giovanni ist in Jedem, in Jeder von uns.
Nach NH und JPP hatte ich gleich einen DG an der Met mit Zefirelli, das hat mein Rollenbild geformt. Er ist ein Mörder, ein Vergewaltiger, ein raffiniertes Zugpferd. Das war auch bei Kušej so. Der sagt: das ist Einer, der all das beim strahlenden Sonnenschein macht, drum war es auch so hell auf der Bühne, diese Tollkühnheit. Diese Adacity. Er schaut der Anna ist Gesicht mit einem riesigen Lächeln, streichelt ihr die Wange und sagt, ja stimmt, ich habe leider deinen Vater umbringen müssen. Das erregt Dich, gell. Und es erregt sie wirklich!!! Das ist eine komplexe Sache, sie ist nicht nur ein Opfer. Giovanni erweckt in diesem Fräulein die Frau, und sie ist vollkommen an dem Ottavio vorbei. Das hat nichts mit ihm zu tun, Ottavio steht für die Gesellschaft. Und dann auch noch Masetto und Zerlina, sie sind der Inbegriff der Gesellschaft. Die anderen Figuren sind drüber oder drunter, jedenfalls abseits der Gesellschaft, und sie müssen sich immer wieder üben in den gesellschaftlichen Formen, sie können das nicht von Haus aus, es sind mythologische Figuren. Donna Elvira ist ein Frauenbild, ein Symbol, doch sie versagt auch am Ende. Der Eintritt ins Kloster ist kein positives Zeichen, sie versteckt sich, wird nicht fertig. Wir sind heute offener das zu sehen als vor 200 Jahren. Giovanni ist das unvollendete Vollendente von Mozart, es wird nie vollendet. Es gibt immer Widersprüche, nie kann man es nur so oder nur so spielen.
Le nozze di Figaro, das ich auch oft mit NH gemacht habe, ist hingegen die allerperfekteste Oper, die Vollkommenheit der Dramaturgie.
Cosi ist im musikalischen Sinne perfekt. Auch sehr metaphorisch, ein „Sommernachtstraum“, eine Modellanordnung.
Figaro ist eine unfassbare Vollendung, klassisch, von den Figuren, vom Text. Ich bin froh daher dass NH die Arien im vierten Akt nicht streicht, sie sind wertvoll. Natürlich hatten sie damals auch die Funktion der Unterhaltung.
Die Figur des Conte: Wenn man es heute modernisiert, wenn man nicht irgendwie wahrnimmt aus welcher Gesellschaftsordnung das kommt, so hat man sehr schnell eine unangenehme Geschichte, wo der Arbeitgeber mit die Frau des Arbeitnehmers schlafen möchte. Doch die Sache ist wesentlich tiefgründiger. Ich bin auch der Meinung dass nicht alle im spanischen Hofgewand herumspazieren sollen, aber ein Strindberg-Play ist es auch nicht.
So wie in Salzburg 2006?
Claus Guth ist ein guter Regisseur und ein tiefer Denker, doch ich hatte mit diesem Figaro andere Probleme als nur die mit dem Strindberg. Ich fand die Idee mit diesem dazugenommenen Cherubino, dem Cherub…na ja…. Die Idee ist grundsätzlich gut, dass irgendwas flippt an diesem tollen Tag, doch es hätte eine junge Person sein sollen, ein rotbackiger Bub oder ein Mädchen, und wesentlich sparsamer. Die Idee war gut. Doch die Durchführung…ein 70kg schwerer Mann auf den Schultern des Grafen während der Arie!!!!. Mein Bemessungsgrad: ich bin bereit für moderne Deutungen, bereit in alle Richtungen zu arbeiten, doch – und das habe ich von NH gelernt: Oper ist eine musikalische Kunstform, sie hat eine theatralische Komponente, ein Bedürfnis nach Bühne, einer darstellenden Qualität. Doch jeder Atemzug, den ich auf der Bühne mache, ist bestimmt von der Musik, von der musikalischen Sprache. Ich kann da vielleicht widersprüchlich, aber nicht dagegen arbeiten.
Das habe ich auch zu Kušej gesagt, denn er hat nicht sehr viel Erfahrung mit Oper. „Schau Martin, sehr viel von unserer Arbeit ist, nicht zu schaffen, sondern zu entziffern.“ Und ein Trio ist ein Trio. Im Schauspiel kann man daraus auch ein Sextett machen, und es ist unfassbar was man im Schauspiel alles machen kann, und Kušej ist ein Meister dafür. Aber bei Mozart steht alles schon so da, und das Finale Figaro 2.Akt ist ein achtes Weltwunder!
Zweitens: ich soll und kann nichts tun auf der Bühne, was mehr Wirkung hat als das, was ich singe. Der Inbegriff der Figur muss aus der Musik kommen. Wir können natürlich ergänzen, helfen, unterstützen, Bezüge darstellen, ergänzen. Aber es muss im Ursprung verwurzelt sein: warum diese Tonart, dieser Rhythmus, warum dieses Wort als Metapher der Seele durch die Gedankenwelt, durch die Musik. Das verstehen sehr viele Regisseure heute nicht. Ich kritisiere sie nicht, aber sie tun mir leid. Sie sind nicht in der Lage, diese Dinge wahrzunehmen. Das ist sehr problematisch. Dann wird die Musik zur Begleitung der Bühne.
Und diese Stilmafia! Ein Stil ist immer eine Beschreibung der Musik im Nachhinein. Schubert hat nie gesagt, ich schreibe im Schubertstil, sondern er war er. Stil ist immer rückblickend. Ordnend. Doch der Ursprung eines Werks ist die Spontaneität des Menschenlebens. Das ist der Inbegriff von Harnoncourt. Man kann streiten über seine Tempi ect, doch die sehen ihn nicht mit denselben Augen.
Harnoncourt sagt: Kritiker sehen mich von hinten, die Musiker von vorne.
Er ist wählerisch in seinen Regisseuren?
Er muss es sein! Ich hätte gerne den Idomeneo gesehen.
Waren Sie drin? Hat’s Ihnen gefallen…
Ja, großartig. (Ausführung meinerseits)
Also der Conte ist unmöglich im modernen Kontext. Das heißt nicht dass man den Conte entschuldigen muss. Doch es ist schwer vorzustellen einen erfolgreichen Figaro zu haben ohne die gesellschaftlichen Gegebenheiten, Regeln und Beziehungen des späten 18.Jh. Es geht nicht um die Darstellung des Vulgären, um ein Lächerlichmachen, es geht um die Emanzipation der Frauen und um demokratische Strömungen. Der Conte ist weder blöd noch boshaft, aber er ist der Inbegriff von einem, dessen Zeit vorbei ist. Er ist nicht besonders begabt, vielleicht nicht wie dazumal sein Vater oder Onkel, und den ganzen Tag geht ihm alles schief, und er schaut mit empörter Überheblichkeit herum und fragt wieso? Mein Onkel, mein Vater hatten das alles im Griff, warum ich nicht?
Und er hat wirklich liebevolle Gefühle für Susanna, es geht ihm nicht primär um Sex. Man muss wissen wie damals die Ehen geschlossen wurden, wie jeder Mätressen hatte. Das war nicht eine derart empörende Frechheit wie später. Nur war Beaumarchais durch und durch modern, zu dieser Zeit der Inbegriff des Modernen, man muss ihn so verstehen.
Da geht es wie in allen solchen Werken um das, was undenkbar ist: der dürfte nie in diesen Raum kommen, der dürfte sie nie an den Schultern packen ect,
dann können wird das Dilemma der Person angehen.
Dann können wird den Figaro im ganzen Reichtum seiner menschlichen Dimension sehen.
Ich habe bisher keine einzige moderne „Nozze“ gesehen, die mich berührt hat. Denn die Menschen bleiben auf der Strecke. Bei Guth war das eine konsequente Erzählung, sehr wohl, aber nicht annähernd ausreichend zu erleben, was in diesen Menschen vorgeht..
Noch dazu Cherubino als ein Art Dennis Demenis (wer ist das, Anm.?) Mit der hohen Stimme! Aber er ist ja vielmehr ein werdendes Alphamännchen. Er geht wie eine verrückte Biene von Kelch zu Kelch, und diese natürliche sexuelle Verbindung zwischen jungem Mann und älterer Frau, das Thema des Reifens.
Das größte was Mozart sagen wollte: Figaro und Susanne sind gute Menschen lieben sich aufrichtig, warum dürfen sie nicht das Leben leben, das sie sich vorstellen?
Ich habe den Graf aufgehört zu spielen, denn in den modernden Inszenierungen war er seicht, letztlich langweilig. Bei Ponnelle war das ganz etwas anderes. Bei ihm war der Graf durchaus auch humorvoll dargestellt, immer der, der ein bisschen zu spät ist, dennoch glaubt er, der große Kontrolleur zu sein. Doch diese und alle Figuren hatten Würde bei Ponnelle, alle seine Beziehungen hatten diese Würde.
Für eine modernen Menschen ist das schwer vorstellbar, dass die Gräfin, seine familiären Beziehungen also, bleibt intakt bleiben, aber die Gefühlswelt wandert zu Susanna und in ihre Welt. Vielleicht wegen ihrer jugendlichen Frische, oder es ist seine unausgesprochene Sehnsucht nach Normalität, denn sicher ist nicht jeder Graf ist glücklich, dass er als Graf geboren ist. Aber etwas muss beim Grafen bleiben, und das ist sehr wichtig, nämlich diese Manieren, die Haltung eines Grafen. Er sitzt nicht einfach so, klopft niemanden auf die Schulter, greift der Susanna nicht an den Unterleib. Es soll immer die Frage gestellt werden: Was ist keinesfalls möglich? Und darauf kann man aufbauen.
Ich hoffe dass Sie das verstehen: diese Tabuwelt in einer Oper wird oft unterschätzt, selbst bei Weber, bei Wagner.
Es soll immer die Frage gestellt werden: Was ist keinesfalls möglich? Und darauf kann man aufbauen.
Ich frage mich manchmal was aus mir geworden wäre, wenn NH mir 10 Jahre später begegnet wäre. Zu Anfang meiner Karriere war Bernstein noch da, dann Levine und NH, das waren die Giganten. Schwarzkopf auf der anderen Seite, aber sie alle haben etwa Grundsätzliches geschenkt: dass ich gesunde Instinkte entwickeln konnte und ein forschender Geist sein sollte. Ich war damals ganz und gar nicht reif, viel zu wenig belesen, aber die Instinkte haben ja gesagt. Ich habe gespürt: geh weiter, und schürfe tiefer, frage immer. Und die haben mir erlaubt in meinen jugendlichen Irrtümern mich zu tummeln, und sie haben mich doch durch Ihre Meisterschaft geformt. Ich habe großes Glück gehabt.
In diesem Pantheon der Großen räume ich einen weiten Platz dem väterlichen Freund, dem unantastbaren Musiker Nikolaus Harnoncourt ein.
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