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Anfänge zum zweiten

An zwei Abenden spielt das Emerson String Quartet in Schwarzenberg Beethovens letzte Streichquartette. Der Eindruck des ersten Konzerts war durchwachsen. Vor mehreren Jahren schon habe ich die vier Herren aus den USA bei der Schubertiade gehört und war eher enttäuscht. Nun wollte ich mir eine neue Meinung bilden, ihnen quasi in meiner ganz persönlichen Musikwelt eine neue Chance geben, denn jeder Künstler, jedes Ensemble hat Entwicklungspotenzial. Doch es war ein sehr ähnlicher Eindruck wie damals: diese Vier spielen auf höchst nüchterne Art Noten, aber es entsteht dabei keine Musik und kein Zauber. Warum man ausgerechnet ihnen, die auf ihrer Webseite hauptsächlich mit den langen Jahren ihres Zusammenspiels und der Anzahl der Auftritte pro Jahr punkten, die hoch charismatische Musik der letzten fünf – wenn man die „Große Fuge“ extra nimmt, sechs – Streichquartette von Ludwig van Beethoven anvertraut, kann nur pragmatische Gründe haben. Wie bei so manchem Quartett, so wechseln sich auch bei den Emersons die beiden Geiger am ersten Pult ab: So klang nach einem ziemlich verschwommenen Quartett Opus 127, nach dem Platzwechsel eben, Opus 135 und dann Opus 131 immerhin klar und durchhörbar, doch eben äußerst nüchtern und spannungsarm. Doch wie erschafft ein Musiker, eine Musikerin, ein Ensemble eine magische Interpretation? Brahms sagte einmal sinngemäß, dass man viele Bücher lesen muss, um ein guter Musiker zu sein. Das heißt, man muss einen geistigen Hintergrund haben, und vielleicht auch eine rege Fantasie. Man muss nicht unbedingt glauben, was Arnold Schering herausgefunden hat, nämlich dass Beethoven sich immer von einem literarischen Werk inspirieren ließ (obwohl ich selbst einige Werke dahingehend genau analysiert habe und fest davon überzeugt bin, dass das zutrifft. Niemand geringerer als Nikolaus Harnoncourt hat mich darauf aufmerksam gemacht, und er hat ja auch die Beethoven-Symphonien so geprobt, indem er den Musikern an jeder Stelle erzählt hat, was da jeweils passiert.). Man muss nicht unbedingt Motiv für Motiv Schering folgen, aber man könnte Bilder haben. Oder man spürt die Musik als Energieströme, die Phrasen als Bewegung. Oder, wenn es denn abstrakt sein soll, als Vektoren. Kurz, jedes musikalische Geschehen muss eine Richtung haben, eine Energie, eine Bedeutung. Wenn der Musiker solches spürt, so teilt solches sich auch dem Hörer, der Hörerin mit. Sicher wissen die Herren der Emerson String Quartets diese Dinge, aber sie haben sich entschieden, sie nicht zu beachten. Sie sind nicht die einzigen, die so denken und musizieren. Aber mir kommt das so vor wie ein Sänger, der den Text, den er singt, nicht versteht.

 

 

Das Belcea Quartet zeigte drei Tage später, wie es gehen kann, denn es bot vollendete Quartettkunst. Angeführt von der rumänisch-britischen Geigerin Corina Belcea spielen sie und ihre drei männlichen Mitstreiter derart sauber, dass man es kaum für möglich hält (als ich ihnen das einmal persönlich mitteilte, lachte der zweite Geiger Axel Schacher und meinte, dass ihr Manager immer sagt, sie klängen so scharf wie Zitronensaft). Diese Sauberkeit und Klarheit bereitet größtes Hörvergnügen, dazu kommt, dass die vier geistig ganz tief in die Musik eindringen – auf welche der im Artikel über das Emerson Quartet geschilderte Arten, weiß ich nicht, kann auch sein, auf noch ganz andere Art. Bei ihrer aktuellen Interpretation von Schuberts Quartett „Der Tod und das Mädchen“ und nachher bei seinem Streichquintett haben sie die Tempounterschiede auf das äußerste ausgereizt. Beim Quintett, dieser Ikone der Kammermusik, wo der Cellist Jean-Guihen Queyras hinzutrat, etwa, war das Trio des Scherzo so langsam und entrückt, wie man es kaum gehört hat. Im Kontrast zu den saftigen Eckteilen entstand so ein unglaublich spannungsvolles Ganzes. Und bei aller Freiheit in den Tempi bleibt die Musik immer dicht, zerfällt also nie. Übrigens spielte das Belcea aus Tablets, ein Brauch der sich langsam ausbreitet, denn er spart das Schleppen der Noten und im Konzert das Blättern.

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