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Andrea Breth und Harnoncourt mit Carmen: „Es muss brennen“

Dass Nikolaus Harnoncourt bei der styriarte 2006 (oder 2005) George Bizets Carmen dirigierte, hat viele überrascht. Auch dass er sich die renommierte Schauspielregisseurin Andrea Breth für die Inszenierung ausgesucht hat. Und noch was war ungewöhnlich. Carmen-Darstellerin Nora Gubisch war gerade schwanger.

Mein Gespräch mit Frau Breth fand im Jänner 2009 am Telefon statt. Als ich zur vereinbarten Zeit anrief, meinte sie:

AB: Ach Sie sind das. Wissen Sie was, rufen Sie in zehn Minuten nochmals an. Derweil mache ich mir eine Tasse Kaffee, dann können wir gemütlich plaudern.

Zehn Minuten später also:

AM: Frau Breth, Sie haben ja nur bei Carmen mit Nikolaus Harnoncourt gearbeitet. Wie kam es eigentlich dazu?

AB: Die Zusammenarbeit entstand so, dass Herr Harnoncourt mich gefragt hat, ob mich diese Oper interessieren würde. Mich hat erstaunt, dass er sich für diese Oper interessiert. Für mich war das ein wunderbarer Vorschlag, und so ist diese Zusammenarbeit entstanden.

 Ist Ihnen bei der Zusammenarbeit klar geworden, warum NH die Carmen machen wollte?

Schwer zu sagen! Er hat zuvor Offenbachs Großherzogin von Geroldstein mit Jürgen Flimm gemacht, und ich glaube, dass ihn in dem Zusammenhang diese bestimmte Richtung von Musik interessiert hat. Ich denke, dass wir inhaltlich einer Meinung waren, dass es nicht Folklore ist, sondern eine brennende, schreckliche, realistische Geschichte. Und dass man sie naturgemäß befreien muss von alle dem Kitsch, dem Aufgeblasenen, was man sonst so kennt von der Carmen. Es war unser beider Bedürfnis, davon wegzukommen.

Haben Sie die Aufführung gesehen?

 Nein, ich muss gestehen, nein. Ich habe nur die Fernsehdokumentation drüber gesehen.

(brummelt) Da wurde überhaupt nichts dokumentiert!

(Wir müssen unterbrechen, da Frau Breth sagt, sie höre mich nicht. Ich hole ein anderes Telefon.)

Nun bin ich wieder da. Wir sprachen über die Carmen und dass Sie und Herr Harnoncourt sich einig waren, sie ohne Folklore zu machen. Hat sie daran sicher mehr die Geschichte dieser Frau interessiert, die ihre Freiheit nicht leben kann.

Das ist das eine, dass sie ihre Freiheit nicht leben kann. Dass sie eine anarchische Figur ist. José hat für mich etwas von einer Woyzeck-Figur. Ich habe das ganze retrospektiv erzählt, die Novelle (von Prosper Merimée, der Grundlage zur Oper, Anm.) beginnt ja in der Gefängniszelle, als Erinnerung. In diesem Sinne habe ich das gemacht, und das hat mir die Erlaubnis gegeben aus dieser Kleinteiligkeit herauszukommen. Das fing an mit einem Zitat aus einem Goyagemälde, und das ganze hat mehr oder weniger in einem Gefängnis gespielt. Im zweiten Teil hat sich das optisch verändert. Es gab dabei sehr fremde Momente, denn die Schmugglergeschichte finde ich absurd, wie man das darstellen soll auf der Bühne. Man kann ja nicht ernsthaft sagen, dass die über Berge marschieren. Für uns beide, NH und mich, war es ja die Lösung, das nicht so aufzublasen, auch die Tatsache, dass er das mit dem Chamber Orchestra of Europe besetzt hat – hervorragend!!!. Es ging uns beiden darum, die Sache so scharf, so gnadenlos wie möglich zu erzählen. Wir haben oft zueinander gesagt: „es muss brennen – von Anfang an“.

Sie waren da von Anfang an einer Meinung, stelle ich mir vor?

Ja! Was sehr schön war, wir haben in der Vorbereitung sehr ausführlich miteinander gesprochen, ich habe ihm sehr frühzeitig das Modell gezeigt und für ihn alles durchgestellt. Klarerweise auch drüber geredet ob man sich diverse Dinge akustisch erlauben kann – wobei die Bedingungen in der Helmut-List-Halle für einen Regisseur ja nicht ohne sind.

 Darüber wollte ich Sie auch befragen! Es ist ja kein Opernhaus!

Nein überhaupt nicht! Schwierig war das und mit Höchstanstrengungen verbunden, aber durch den wirklich sehr zauberhaften Herrn Huber (Mathis Huber, Leiter styriarte, Anm.) hat das doch irgendwie funktioniert. Das Orchester war integriert in die Szene. Die hatten auch alle diese Kostüme an wie der Männerchor, waren also auch wie Gefangene gekleidet. Das ist ja, glaub ich, etwas, was Herr Harnoncourt sehr liebt, wenn er sich verkleiden darf.

 Hat er ja auch teilweise bei Offenbach gemacht! Eine weitere Frage: NH ist ja der Meinung dass Musik eine Sprache ist, dass Musik etwas sagt. Hat es szenische Dinge gegeben, die sie – aus der Musik heraus – zusammen erarbeitet haben?

Jaaa (gedehnt, denkt), ich bin nicht unbedingt ein Mensch der über der Partitur klebt, komme eher vom Schauspiel. Jedoch kann ich mich nicht erinnern, dass wir irgendwelche Meinungsverschiedenheiten hatten. Er hat mir dann schon Einiges erklärt – ich habe ihn ja von den ersten Gesprächen an gelöchert, wie er das musikalisch sieht, doch es gab keine Divergenzen.

 Können Sie sich an ein Beispiel erinnern wo Sie gemeinsam etwas aus der Musik heraus entwickelt haben?

Nein das kann ich nicht, denn das ist ja etwas Grundsätzliches, ob man mit einem Dirigenten kann oder nicht. Und grundsätzlich ist das vom musikalischen her als auch vom Bühnengeschehen her auf eine dolle Weise zusammengegangen.

Wieder Schwierigkeiten mit dem Telefon: Ich muss sagen ich höre sie auch nicht immer!

Das ist weil Sie in Vorarlberg sind, zu weit weg (lacht)!

 Meine nächste Frage: haben Sie die Sänger mit ausgewählt, die Typen?Nein, das war von ihm vorgegeben, und das war etwas Neues für mich, weil ich sonst immer mitgeredet habe, in dem Fall war das nicht so. Jedoch gab es keine Veranlassung darüber, unglücklich zu sein. Bis auf eine Besetzung, für die er sich dann auch entschuldigt hat, die war ein Missgriff.

Sie wollen mir aber nicht sagen wer das war?

Nein! wir waren beide der Meinung, dass diese Besetzung ein Fehlgriff war, aber wir hatten keine Möglichkeit mehr, das zu ändern. Er hat die Besetzung alleine bestimmt, was mich zuerst verunsichert hat und was ich auch bis dahin nicht gekannt habe, aber es ist ja egal, wenn es funktioniert, ist es im Nachhinein egal, wie man das findet oder nicht findet.

Sie kommen ja, Sie sagten es schon, vom Schauspiel. Was ist für Sie die Herausforderung, wenn Sie Oper machen, einmal abgesehen von den äußeren Gegebenheiten?

An der Oper interessiert mich, dass ich völlig andere Dinge ausprobieren kann, auch formaler Art, die im Schauspiel nicht unbedingt funktionieren. Für mich ist aber wichtig, dass ich die Abwechslung habe, einmal Schauspiel, einmal Oper, denn das befruchtet sich gegenseitig. Wenn wir die Carmen als Beispiel nehmen: man kann fremdere Welten schaffen, die durch die Musik beglaubigt sind.

 Haben Sie weitere Pläne mit Herrn Harnoncourt?

Das ist das einzige, was ich außerordentlich bedauere, und das kann man auch hinschreiben. Ich finde es irrsinnig schade, dass es keine Fortsetzung der Zusammenarbeit gegeben hat, und ich weiß nicht genau warum. Es ist ja nicht so dass er keine Opern mehr macht, er macht ja immer noch viel. Bei jeder Produktion gibt es kurz einmal eine etwas klammere Situation, aber die Veranstaltung war keineswegs ein Flop und wir haben uns im Prinzip hervorragend verstanden. Es war verrückt, die Ouvertüre war wirklich zum Niederknien. Dieses völlig aberwitzige und brutale, und ich fand ganz großartig wie er das dirigiert hat. So macht das beileibe nicht jeder, weder war das pompös noch süßlich. Es war (markant) schön unerträglich!

Gut gesagt!

Ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihr Projekt!

Ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich auf meine Anfrage hin gemeldet haben, das tun nicht alle!

Und das soll zu seinem großen Geburtstag erscheinen? Schicken Sie mir, wenn Sie mir den Text zum Gegenlesen schicken, dann bitte das genaue Datum?

Gerne, aber es ist einfach zu merken: Es ist ganz einfach der Nikolaustag! Und vielen Dank für das Gespräch!

 

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