Eine Schubertiadejahr ohne Ian Bostridge ist nicht denkbar. Am Dienstagabend in Schwarzenberg widmete er sich einmal mehr Schuberts „Winterreise“, diesmal mit der Schubertiade-Debütantin Saskia Giorgini am Klavier. Sie spielte korrekt, aber die vielen Ausdrucks- und Bilderwelten dieses Klavierparts blieb sie weitgehend schuldig.
Die Liederabende von Ian Bostridge sind stets magisch, er wird so viel bewundert wie viel diskutiert. Nichts geringes als Schuberts „Winterreise“ sang er diesmal, und das mit einer Ausdruckspalette, die an die Grenzen des Möglichen geht. Liebhaber kultivierten Schöngesangs reagieren verstört bei den stimmlichen Ausbrüchen des schlanken Engländers, auch bei seiner Mimik, seine Gesten und dem Umhergehen am Podium. Mal lehnt er am Klavier wie ein Berichterstatter in Sinne des epischen Theaters etwa eines Bertolt Brecht, mal schlägt er so impulsiv die Hände vors Gesicht, dass man fast Angst um ihn bekommt. Er verausgabt sich, verliert aber tatsächlich nie die Kontrolle und bleibt immer wortdeutlich. Dass der Oxford-Absolvent Ian Bostridge sich gedanklich eingehend mit Schuberts „Winterreise“ auseinandergesetzt hat, beweist sein höchst lesenswertes Buch darüber. Ungewöhnlicherweise gaben Bostridge und seine Begleiterin Saskia Giorgini nach diesem Zyklus eine Zugabe, nämlich das englische Volkslied „O Waly, Waly“ in der Bearbeitung durch Benjamin Britten. Auch dies eine bittersüße Geschichte einer Liebe, hier einer erkalteten: „O love is handsome and love is fine, and love is a beauty, while it is new. But when it is old, it groweth cold, and fades away like morning dew.“ Vielleicht ein weiterer Hinweis drauf, dass Bostridge ein ganz eigenes Verständnis der „Winterreise“ hat.
Foto: Schubertiade
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