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Nikolaus Harnoncourt über Beethovens Fidelio – ein Gespräch mit Anna Mika

Dieses Interview mit Nikolaus Harnoncourt habe ich im Februar 1994 im Dirigentenzimmer des Opernhauses Zürich gemacht, anlässlich eines Gastspiels der Zürcher Oper in Bregenz. Es erschien in dieser Form im Bregenzer Programmheft. Später wurde es leicht redigiert (die teldec fand den Text “zu österreichisch”) übernommen ins Booklet der Fidelio-Einspielung von Harnoncourt und wurde da in viele Sprachen, sogar ins Japanische übersetzt. Es wurde auch ins Buch “Nikolaus Harnonocurt – Töne sind höhere Worte” übernommen, und adaptiert erschien es im Programmheft einer Fidelio-Aufführung, die Nikolaus Harnoncourt 2013 im Theater an der Wien in Wien dirigierte.

Ich stelle es nun, am dritten Todestag des Dirigenten, auf meinen Blog, in tiefster Verneigung vor diesem großen Menschen und Musiker.

 

Am 5.März 2019

 

 

 

…der große Preisgesang der Gattenliebe, das ist es wirklich.“

 

Herr Harnoncourt, Sie haben in den letzten Jahren mit Ihren Deutungen Beethoven’scher Musik die allergrößten Erfolge errungen. War der Weg zu Beethoven für Sie, der Sie vorher scheinbar so ausschließlich mit Barockmusik und mit Haydn und Mozart zu tun gehabt haben, eine geradliniger? Wie sind Sie als Dirigent zu Beethoven gekommen?

Das werde ich sehr oft gefragt, weil es so aussieht, als würde ich als Musiker angefangen haben bei Adam und Eva und wär dann immer weiter und weiter vorgegangen bis ins 19.Jahrhundert, und dann bis zum Ende des 19.Jahrhunderts, aber in Wirklichkeit war das ganz anders. Meine musikalische Urheimat von zuhause her ist das späte 19. und das frühe 20. Jahrhundert. Wir haben Kammermusik gemacht. Die ältesten Sachen waren eigentlich Beethoven, und Mozart war schon sehr ausgefallen. Und mein Vater hat am Klavier Gershwin gespielt, und zwar in den 1930er Jahren, wo die Sachen noch ganz neu waren. Ich habe mir als Achtzehnjähriger gedacht, ich wäre ein Dvorak- oder ein Richard-Strauss-Spezialist. Der Schritt zur vorklassischen Musik mit dem Concentus Musicus Wien und auch schon vorher, war vor allem deshalb, weil wir gefunden haben, dass diese Musik immer so schlecht gespielt wird. Wir haben gesucht, wo in der Musik die Parallelen sind zur Malerei, Architektur und Philosophie der Zeit, wo einfach eine ungeheure Vitalität da war. Der Concentus Musicus wurde 1953 gegründet und hat die ersten Konzerte 1957 aufgeführt. Und die ersten beiden Konzerte waren schon ein Paar, das eine mit Musik am Hof des Kaiser Maximilian um 1500 und das andere mit Haydn. Da war ich schon dick in der Wiener Klassik drin. Und dann kommt noch dazu, dass Schubert eine Dauerbeschäftigung für mich ist. Das ist einer jener Komponisten, die mich als Kind schon am meisten interessiert haben, und ich habe diese Musik nie verlassen. Ich kann gar nicht sagen, ab wann ich mich mit dem oder jenem beschäftige. Interessante Stücke wie Porgy and Bess oder The Rakes Progress oder Wozzeck sind dauernd bei mir am Schreibtisch. Ich meine dass die Beschäftigung mit der Klassik und der Vorklassik ja nicht isoliert sein kann. Ich muss das, was nachher in der Musik geschehen ist, ja auch sehen, das fließt auch in die Interpretation ein. Ich kann nicht eine Interpretation machen, als wäre ich in einer Schlucht im 17. oder 18. Jahrhundert, weil Musik ja nur dann einen Wert hat, wenn sie für Menschen gespielt wird, die jetzt leben.

Bei den Salzburger Festspielen im letzten Jahr haben Sie Monteverdis Krönung der Poppea geleitet. Sie haben sich damals dagegen ausgesprochen, dass die Festspielpremiere im Rundfunk übertragen wurde, weil die Musik nicht von der Szene zu trennen ist. Den Fidelio dirigieren Sie nun konzertant. Was ist bei Beethoven anders?

Die Musik der Incoronazione di Poppea ist auf eine Weise theaterbezogen, wie man es im Rundfunk nicht vermitteln kann, so wie man wohl ein Hörspiel, aber kaum eine Theateraufführung im Rundfunk übertragen kann. –

Fidelio ist die Oper, die man am ehesten konzertant machen kann, vor allen Opern, weil da so ein starkes oratorisches Element da ist. Ich meine, Fidelio ist eine eigene Gattung Oper. Man kann nicht sagen, deutsches Singspiel: Entführung, Zauberflöte, nächstes Stück Fidelio, das kann man wirklich nicht sagen. Die Anforderungen Beethovens an eine Text waren ja sehr streng. Er wollte ja weitere Opern machen, und er hat wirklich gute Libretti zur Wahl gehabt, wenn man denkt, dass sogar Grillparzer für ihn geschrieben hat. Er war so empfindlich, um genau das zu finden was ihm musikalisch aussagenswert und wichtig erschienen ist, dass ich fast den Eindruck habe, er hätte seine Sicht der Oper neu erfunden und überhaupt nicht im Trend der Zeit.

Da gibt es auch keine Fortsetzung?

Nein. Am ehesten vielleicht noch durch Weber. Im Freischütz und in der Euryanthe, das sind schon sehr starke Anklänge, und da finde ich auch eine Ausstrahlung in die Zukunft.

Man hat Beethoven oft vorgeworfen, dass der erste Akt, die Szene im Hause des Rocco, eine allzu singspielhaften Charakter habe.

Da sind ja zwei schwere Fehler in dieser Aussage. Der eine ist, dass man das Singspiel damit herunter macht. Die Entführung aus dem Serail, die ein sehr ernstes Stück ist, ist ja auch ein Singspiel, wird sogar von Mozart als Operette bezeichnet. Die Sphäre im Hause des Rocco im Fidelio ist musikalisch so tief und gespenstisch ausgedeutet, die Gesinnungen, die da zum Tragen kommen, dann diese beklemmende Spannung, was passiert, wenn die Handlung nicht rechtzeitig explodiert? Die Leonore hätte ja am selben Tag die Marzelline heiraten müssen, da war ja überhaupt kein Entrinnen.

Und dann sind diese Stücke, denen man abwertend diesen singspielhaften Charakter nachsagt, ja ganz anders. Wenn Marzelline singt: „Fidelio hab ich erwählet“, so schreibt Beethoven an dieser Stelle Wendungen, die eigentlich zur Leonore gehören, und zwar zur Leonore des Heroismus. Und der Konflikt zwischen Marzelline und Jaquino ist gar kein herziger Konflikt am Bügelbrett. Das ist ein ganz harter Konflikt, das hört man sehr deutlich in der Musik.

Der ganze Fidelio wird bei vielen Aufführungen sehr oft missverstanden. Man kann das an den Gelegenheiten sehen, zu denen er aufgeführt wird – bei jeder politischen Veränderung wir der Fidelio aufgeführt – und im Vordergrund steht dann die Unterdrückung und das Gefängnis. Das ist aber für Beethoven nur ein Mittel. Die wirklich große Handlung ist die zwischen Leonore und Florestan, und es geht in dem Stück wirklich nur darum, wozu Liebe fähig ist, was wirkliche Liebe bedeutet und dass zwei Menschen bereit sind, alles füreinander zu tun.

Die dramatisch interessanteste Figur ist der Rocco. Er ist als Figur vollkommen durchgezeichnet. Die anderen Personen haben nur die Züge, die zum Ziel des Gesamtwerkes führen. Deswegen auch finde ich, dass der Fidelio eine ganz eigenen Gattung Oper ist, weil die Personen nicht in ihrer Gesamtheit gezeichnet sind, außer Rocco. Bei Rocco hat man einen Menschen vor sich, dessen Beweggründe, so oder anders zu handeln, man wirklich verstehen kann. Man erkennt Konflikte, man erkennt sein Augen-Verschließen vor dem eigenen Mitmachen. Das ist eine Figur, für die jeder, der die letzten sechzig Jahre offenen Auges mitgemacht hat, sehr viel Verständnis haben muss. Aber er hat noch eine andere Seite, und die kommt heraus in der Gold-Arie. Da spricht er nicht wie ein netter Opernbass vom Gold, sondern Beethoven zeigt durch die Taktarten und durch unendlich viele Dinge der musikalischen Rhetorik, dass Rocco besessen ist vom Gold, dass er in dem Moment, wo er Gold in seine Hände bekommt, durchdreht. Vielleicht ist er ein Spieler. Das ist in der Arie, finde ich, makaber gespenstisch gezeichnet. Wenn es etwa übergeht in einen Tanz, der ja ein wirklicher Tanz ist, oder wenn er Worte wiederholt und dann immer leiser und leiser wird, bevor es wieder seinen ganzen Körper durchzuckt mit „Das Glück dient wie ein Knecht für Sold“. Ich finde diese Arie wie einen Spiegel, der dem Hörer in ganz radikaler Weise vor Augen gehalten wird. Die Figur des Rocco können wir, viel eher als sonst in der Musik, in der Literatur finden, in den ganz extremen Kurzgeschichten der Zeit oder der Zeit danach. Ich bin ganz fest überzeugt, dass diese Arie nichts mit einem Singspiel zutun hat. Und ich finde auch, dass die Ouvertüre ein ganz großes Gewicht hat. Sie ist ein ganz ernstes Stück, wenn man an die Temporelationen denkt, die ja sehr viel sagen.

 Man könnte denken, dass es bei den anderen Personen sehr klar ist, wer auf der guten und wer auf der bösen Seite steht.

Ich kann das überhaupt nicht sehen. Man weiß zum Bespiel nicht, auf welcher Seite die Gefangenen stehen, und das ist sehr wichtig. Ich habe den Eindruck, wenn ich das Stück lese, und sogar wenn ich es musikalisch lese, dass Florestan, der Minister und Pizarro sich schon sehr lange kennen. Man hat gar nicht da Gefühl, dass sie immer Feinde waren, sondern man könnte meinen, dass das alte Freunde sind. Sie werden irgendwie so gezeichnet, als hätten sei eine gemeinsame Vergangenheit, und da weiß man natürlich alles über den anderen. Da ist vielleicht Politik hineingekommen, vielleicht das Verbrechen….also die moralische Qualität dieser Figuren ist nicht sehr deutlich. Florestan sagt natürlich schon in seiner Arie, dass er nicht bereit war, etwas zu vertuschen.

Aber alles das ist nicht entscheidend für die Handlung. Entscheidend ist, dass Florestan in einer ausweglosen Situation auf seine Frau vertraut und dass sie bereit ist, alles, auch das Unmöglichste, für ihn zu tun. Es ist der große Preisgesang der Gattenliebe, das ist es wirklich. All die anderen Handlungselemente streichen das nur hervor. Und es ist wirklich falsch, und es geht gegen die Ideen Beethovens, wenn man daraus eine Unterdrückungs- und Befreiungsoper macht.

Und das Schlussbild? Hat es auch für Sie diesen idealen und überhöhenden Charakter?

Schon….oh ja! Das hat eine ganz große Verwandtschaft mit der Neunten Symphonie und der Missa solemnis.

Zwischen der Kerkerszene und dem Schlussbild wird gewöhnlich die Dritte Leonoren-Ouvertüre eingeschoben. In Ihren Aufführungen bleibt sie weg.

Beethoven will, das das Duett „O namenlose Freude“ direkt ins Schlussbild geht. Da spricht er davon, dass die Zeit zwischen den beiden Stücken nicht länger sein darf als sieben Sekunden. Ich finde, das ist eine absolute Forderung an den Bühnenbilder und den Inszenator. Meistens meint man dann, da müsse ein Umbau sein, und durch den Umbau ist die wirklich sehr schlechte Idee entstanden, da die Leonoren-Ouvertüre hineinzuspielen. Das hat auch zu tun mit der Tempodramaturgie des ganzen Stücks, die Beethoven in allen drei Fassungen der Oper mit der äußersten Genauigkeit gemacht hat. Man kann schon in der frühesten Fassung finden, dass das Duett und der Marsch „Heil sei dem Tag“ genau dieselbe Tempobezeichnung haben. Da kann man nicht sagen, da hat er sich geirrt, das Duett gehört schneller. Man kann auch nicht sagen, im Duett sind keine Sechzehntel und im Marsch sind Sechzehntel. Also da gibt es einige Ausreden, um die beiden Stücke ganz verschieden zu machen, wenn man überhaupt aufs Tempo schaut. Manche sagen ja, das wird immer so gemacht, das gehört so. Aber da bleiben ganz viele Sachen auf der Strecke. Die Verquickung von Schlussbild und Kerkerszene ist so stark, dass man den Eindruck hat, das Schlussbild ist eine Vision. Bühnenrealität kann nur stattfinden, wenn man entweder einen Umbau macht oder wenn das Gefängnis einstürzt. Und dann ist dieses Aufeinanderprallen, das Beethoven eindeutig so wichtig war, unreal.

Wenn das Schlussbild, eine Vision, ein Traumbild ist, dann hat es eine Entsprechung im Quartett des ersten Aktes.

Ja. In diesem Quartett wird ein Text gesprochen, der im Grunde mit der Musik nichts zu tun hat. Jede der vier Personen spricht ja einen anderen Text, jeder steht völlig andres zu dem Geschehen, zur selben Musik. Also sagt die Musik etwas Gemeinsames, und die Vier sagen jeder etwas anderes. Meiner Meinung nach ist das bestimmende Wort „wunderbar“. Wir sagen heute wunderbar, wenn etwas sehr schön ist, aber wunderbar ist ja etwas, worüber man nicht nur glücklich ist, sondern was für einen unbegreiflich ist. Ich glaube, jeder Mensch empfindet schon im Vorspiel mit den tiefen Streichern, das da jetzt etwas Wunderbares, Unbegreifliches geschieht. Die Figuren verwandeln sich.

Man braucht eigentlich für die ganze Oper eine Benutzung der Sprache, die von der Gebrauchssprache der heutigen Zeit abweicht. Das Wort „wunderbar“ ist ein gutes Beispiel, aber auch der Text im Grabeduett, wo man denkt, wie kann der Rocco sagen: „Nur hurtig fort, nur frisch gegraben“? „Frisch“, „hurtig“, das sind ja Worte, die mit Heiterkeit und Leichtigkeit zu tun haben. Wenn man aber dem Sprachgebrauch der damaligen Zeit folgt, dann sieht man, dass diese Worte richtig sind. Ich habe selbst erlebt, wie Regisseure da nicht drüberkommen. Die sagen, wir verwenden die Sprache heute, wir können das nicht auf die damalige Zeit zurückdrehen. Das finde ich ein sehr wichtiges und interessantes Gebiet der Interpretation.

Die Gesangspartien werden heute gewöhnlich mit sehr dramatischen Stimmen besetzt. Demgegenüber steht, dass die beiden ersten Leonoren, Anna Milder und Wilhelmine Schroeder-Devrient, noch ganz jung waren. Wie sehen Sie dieses Problem?

Beethoven hat auch bei der Neunten und bei der Missa solemnis ganz junge Sängerinnen gehabt. Die großen Sänger damals müssen schon sehr früh in ihr Fach gekommen sein. Außerdem waren die Fachgrenzen viel weiter, also es hat eine Sängerin ohne weiteres die Leonore und die Konstanze gesungen. Ich meine, dass die Sänger gleich auf ihr Ideal hingegangen sind, auf dem sie dann möglichst lange geblieben sind. Die haben nicht diese Entwicklung gemacht, die heute die Sänger zwischen ihrem zwanzigsten und ihrem vierzigsten Lebensjahr machen, wo die Stimmen immer größer, immer schwerer und immer unbeweglicher werden. Es scheint so, als hätten sie damals mit einer sehr großen Intensität und mit einer sehr großen Bandbreite sehr früh gesungen. Man muss auch eine sehr gute Technik gehabt haben: die sängerischen Schulwerke dieser Zeit sind unglaublich streng. Und wenn diese Leute überhaupt weitergesungen haben, dann haben sie mit sechzig auch noch dieselben Partien gesungen. Das sagt mir einerseits, dass die Sänger sehr konstant geblieben sind, das sagt mir aber auch, dass sie vom Orchester nicht so brutal begleitet worden sind. Ich bin sicher dass man Stücke wie die Neunte oder die Missa solemnis oder die beiden Arien im Fidelio so riesenhaft und über die Sänger drüberrollend nicht gespielt hat.

Für mich ist das Sängerproblem nicht, ob sie laut singen können, sondern ob sie genug piano singen können. Die Lautheit, die einem gut ausgebildeten Sänger zur Verfügung steht, ist immer ausreichend. Aber ob er dann noch genug Technik hat, die wichtigen Stellen auch wirklich leise zu singen, was übrigens sehr selten von ihm verlangt wird, das ist das Problem. Ich glaube an diese jungen Sänger sehr und finde es schade, dass das heute nicht so ist.

Wie haben sie die Frage der gesprochenen Dialoge für die konzertante Aufführung in Bregenz gelöst?

Ich möchte ein Minimum an Dialog, aber ich möchte nicht die Aufführung ganz ohne Dialog. Ich habe einen konzertanten Fidelio schon einmal in Feldkirch bei der Schubertiade gemacht. Da haben wir eine durchgehende Erzählung von Walter Jens gelesen, das war schon eine deutliche Interpretation. Ich möchte jetzt die Dialoge lassen. Ich bin auch jetzt noch mehr überzeugt von der Qualität der Texte, damals habe ich die Texte mehr historisch gesehen. Ich möchte auch nicht auf das Melodram vor dem Grabeduett verzichten, und das muss man ja, wenn man die Dialoge nicht bringt.

Vom Fidelio gibt es ja insgesamt drei Fassungen. Haben Sie jemals daran gedacht, eine der ersten Fassungen aufzuführen?

Ich habe mich sehr damit befasst. Aber eine andere Fassung aufzuführen als die letzte wäre für mich nur historisch interessant, zu sagen, auf diese Weise ist er zu dem Resultat gekommen. Und so ein Zugang zu einer praktischen Aufführung, der ist mir ganz fremd. Das mache ich am Schreibtisch. Meiner Meinung nach muss die Musik in dem Moment, wo sie erklingt, das Resultat eines Gedankenganges sein. Das andere ist sehr museal. Das ist wie mit den historischen Instrumenten. Dort, wo sie nur etwas zeigen, lehne ich sie ab.

Beim Fidelio finde ich in der ersten und zweiten Version viele Dinge unheimlich interessant und als Wurf ganz großartig, wie es ja oft ist, dass der erste Gedanke nicht mehr übertroffen wird. Man spürt, dass der Fidelio, den wir kennen, nicht aus einer Zeit stammt, dass Beethoven da eine stilistische Wandlung durchgemacht hat. Ich glaube auch dass man an der Geschichte der Umwandlungen erkennen kann, dass er nicht alles selber wollte. Es haben die Freunde und jeder, der gemeint hat, er habe da mitzureden, gesagt, was er machen soll. Selbst in den Stücken, die er als Stücke gelassen hat, ist einmal ein Takt, einmal drei oder vier Takte herausgestrichen, immer auf Kürzung. Die neu komponierten Sachen sind natürlich ganz phantastisch. Ich meine, dass ihm die erste Fassung nicht voll gelungen ist, er wäre sonst nicht eingegangen auf die Änderungswünsche. Andererseits glaube ich dass nicht alle Änderungen sein Wille waren, sodass ich meine, die wirkliche Fassung, wie sie Beethoven eigentlich wollte, die gibt es gar nicht. Also müsste jemand mit einem Telefon zu Beethoven – oder mit einer sehr großen Sensitivität – sagen, das ist ihm aufgezwungen worden und das wollte er selbst. Da würde aus den drei Fassungen eine Fassung entstehen, du das wäre wirklich der ideale Fidelio. Ich habe einmal erwogen, das zu machen, aber die Aufgabe war zu groß für mich. Das aber wäre das Ideale….

Herr Harnoncourt, erlauben Sie mir zum Abschluss noch eine allgemeine Frage. In Ihren nunmehr drei Büchern bringen Sie jeweils einen sehr starken Kulturpessimismus zum Ausdruck. Wenn man Sie aber bei Proben erlebt, so zeigen Sie da die allergrößte Begeisterung, Musik zu machen. Wie geht das zusammen?

Ich bin wirklich sehr pessimistisch. Andererseits meine ich, dass selbst, wenn man überhaupt keine Aussicht sieht, man nicht sagen kann, ob es nicht doch eine gibt, die wir gar nicht wissen. Wenn man schon etwas macht, dann muss man es mit jedem letzten Feuer machen und mit aller Begeisterung, und Begeisterung schließt Pessimismus nicht aus.

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!

 

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