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Jürgen Flimm über Harnoncourt

Zur Zeit des Gesprächs, im Oktober 2008, war Jürgen Flimm Intendant der Salzburger Festspiele. Als eine, die während ihres Studiums und einiger Jahre am Salzburger Landestheater die Ära Karajan erlebt hat, habe ich es als ungeheure Ehre empfunden, mit einem seiner Nachfolger in seinem Büro zu sitzen und mit ihm Tee zu trinken.

Das folgende Gespräch ist ein straffer Spaziergang durch Flimms fünfzehn Opernproduktionen mit Harnoncourt, denn der Intendant hatte etwas weniger als eine Stunde Zeit für das Gespräch.

Übrigens habe ich mein Wissen über die Aufführungen in Amsterdam direkt am Ort sammeln können. Die Nederlandse Opera erlaubte mir Recherchen in ihren Büros und ermöglichte mir ein Gespräch mit einem Mitarbeiter, der die Produktionen damals aus nächster Nähe erlebt hat.

 

Foto: ksta.de

Flimm: Die erste Arbeit mit Nikolaus war Cosί fan tutte in Amsterdam 1992

Mika: Das war ja ein riesiger Erfolg, wie ich aus Kritiken lesen konnte. Auch ein persönlicher Erfolg für Charlotte Margiono. Sie haben ja Cosi nochmals mit Nikolaus Harnoncourt (in der Folge kurz NH) in Zürich gemacht

Das war auch mit ihm, aber beides sehr verschieden. Amsterdam war so ganz poetisch, da lag die Betonung auf Alfonso als Regisseur des Ganzen, mit sehr vielen Gehilfen. Die ließen wir aus einem Tiepolo-Gemälde herausspringen und die eierten da mit ihm herum. Alles auf einer Insel im Wasser. Das hatte akustische Gründen, sah aber sehr schön aus. Ein großer Holzraum, der bemalt war, sehr poetisch, sehr schön!

 War das schon in der jetzigen Nederlandse Opera?

Jaja, die gabs da schon. In Zürich legten wir den Wert auf „La scuola degli amanti“, den Untertitel der Oper. Das spielte in einem Hörsaal, eine Akademie, und wir sind in diesen Hörsaal immer wieder zurückgekehrt, für die Reflexionen zwischen den Frauen und zwischen den Männern, aber es wurde auch herausgegangen. Am Ende sind alle in diesem komischen Biotop gelandet, wurden ausgestellt, man hat sie beäugt.

 Sie haben in Zürich die Despina mit Agnes Baltsa, also einer älteren Frau besetzt, was NH zuvor auch schon gemacht hat

Das geht ja auch! Eine tolle Gelegenheit für diese wunderbare Sängerin. Die ist dann aber abgehauen, ist dann mit dem Koffer nach dem großen Sextett weg, hat den Alfonso verlassen.

Wenn Sie mehrere Inszenierungen desselben Werkes machen, was geht da bei Ihnen vor?

Völlig von vorne fange ich da an. Das was man schon mal gemacht hat, fließt ja ein, man hat ja die Erfahrung. Es wäre ja seltsam, sich einfach nochmals zu kopieren, dazu ist das Leben ja zu kurz.

 In 10 Jahren passiert ja auch allerhand mit einem selber…

Das ist richtig!

Das nächste war Fidelio in Zürich?

Ja, das sollte zuerst mit Rudolf Noelte sein, doch die haben abgesagt, denn er wollte eine 14jährige Sängerin als Leonore. Das geht ja nicht, wie wir wissen, und dann ist er ausgestiegen. Und da bin ich eingesprungen, kurzfristig, das war eine sehr schöne Aufführung.

 Sie haben es ja in New York und in London auch noch gemacht.

Nun, ich habe es in New York gemacht. In Zürich war es mit historischen Kostümen, in NY mit zeitgemäßen Kostümen. Karitta Mattila, die fährt ja um die Welt, sie hat das in Chikago gesungen, dann eben in London, und für dort habe ich das nochmals ein wenig anders gemacht. Es war im Gunde dieselbe Aufführung.

 In Zürich waren ja Leonore und Florestan eindeutig – von den Kostümen her – aus dem Ancien régime.

Nun ja, Harnoncourt hat ja hier den richtigen Einwand, dass es sich bei Fidelio nicht um ein Revolutionsdrama handelt, sondern um diese unglaubliche, utopische Liebesgeschichte. (siehe mein eigenes Interview mit NH über Fidelio)

Dann der Figaro in Amsterdam…

… der war auch so poetisch wie Cosi, im selben Stil, in einem poetischen Raum

 Warum habe Sie eigentlich nicht den Don Giovanni auch dort inszeniert, wäre doch schön gewesen als Zyklus?

Weiß nicht, vermutlich weil er vorher war.

 Die Susanna war damals schon die Isabel Rey.

Ja das sollte ursprünglich die Barbara Bonney sein, die hats dann doch nicht gemacht, da waren wir sehr in Not. Da haben wir den Pereira gefragt, der sagt: nimm doch die Rey. Die hab ich mir dann angekuckt und war sehr enttäuscht, in irgendeiner Oper in Zürich, ich weiß nicht mehr was es war. Aber wir hatten keine Chance. Und schließlich war das eine extreme Liebesgeschichte zwischen ihr und mir – also ich meine künstlerisch – seitdem habe ich immer versucht, wenn ich was gemacht habe, es mit ihr zu machen.

Die Zürcher Susanna von Isabel Rey war ja unglaublich gut, überhaupt war dieser Zürcher Figaro ein riesen Erfolg.

Ja, auch für das Theater, da sind die Menschen ja um den Block gestanden um Karten zu haben

 Im dritten Akt, da war das Bühnenbild ja so rötlich. War das Herbst oder verbrannt? Hatte das mit Feuer zu tun?

Das weiß ich nicht mehr wirklich, das war eine Idee des Bühnenbildners Erich Wonder. Der dritte und vierte Akt waren ja in einem Bild, dem Park, die gingen ineinander.

 Toll war ja diese Zeitreise am gänzlichen Schluss!

Das war toll! Das bedeutet, es geht immer noch so weiter. Auf diesen letzten Akt bin ich sehr stolz. Der ist mir nämlich in Amsterdam nicht wirklich gelungen, da wars im Wald: Und in Zürich haben wir ganz extrem die Drehbühne eingesetzt. Das ist ja ganz kompliziert geschrieben, man muss fragen, wer sieht wen und wird dabei nicht gesehen? Da hat die Drehbühne viel gebracht. Und bei „Corriam tutti“ sind sie auf der drehenden Bühne gelaufen und wieder zurück, also sie kamen in Wirklichkeit nicht von der Stelle, sie sind nicht weiter gekommen. Das fand ich sehr schön!

Die Gräfin war mit Eva Mei sehr jung besetzt…

Das sollte so sein, ja!

Und es wurden alle Arien gesungen.

Da war der große Wunsch von Nikolaus, da hat er diese spezielle Theorie, dass sich das Stück dann in den Arien auflöst. Ich habe das brav gemacht und bin nach wie vor nicht überzeugt, dass das ein guter Einfall ist, aber er hat es wollen. Für einen Regisseur ist das nicht leicht zu inszenieren.

Aber es war überzeugend.

Nun ja, ich habe auch gern gemacht, aber eingesehen hab ichs nicht.

Und dann war einmal die Bartoli als Susanna besetzt, hats aber dann abgesagt.

Sie hat das dann selber aufgesteckt, sagte, es seien zu viele „movements“. Auch war die Probezeit viel zu kurz. Dann hat das wieder die Isabel gemacht.

Das nächste war dann die Poppea in Salzburg

Das war bei Mortier, wobei ich nicht sicher bin, ob es das Projekt wollte, er hatte es geerbt (von wem, Anm:???). Die Herausforderung war, das Stück ist sehr filigran, und dazu die große Bühne. Aber es gelungen, die Leute reden heute noch davon.

Diese große Bühne war das eine Merkmal, und dann fand ich auch dass dieses Luxuriöse der Salzburger Festspiele so nett auf den Arm genommen wurde. Die beiden Damen zu Beginn,….

Ja das war lustig, die Leute sind drauf reingefallen, einer hat ihr sogar einen Platz angeboten. Das hat total funktioniert!

 An dieser Stelle will ich Sie etwas meiner Meinung nach sehr wichtiges fragen. Es gibt ja die musikalische Rhetorik, von Monteverdi bis einschließlich Beethoven. NH legt da ja großen Wert drauf….

Also sie meinen die Rezitative?

nein nicht wirklich! (erkläre es: die feststehenden musikalischen Floskeln, die etwas ganz Bestimmtes, Festgelegtes bedeuten, Anm.). Und da gab es eine Stelle, ein mehrfach wiederholter starker Ton, eine Art Concitato, da ist der Nero, es war Philip Langridge, wirklich genau zur Musik gehüpft.

Ja also das hat mit der Nikolaus natürlich vorher gesagt. Er macht das immer. Man bekommt Unterweisungen, jede Vorbereitung ist eine Lehrstunde in der Geschichte der Musik. Das hat er mir sicher gesagt und ich habs brav umgesetzt. Wir haben immer sehr intensiv und genau gearbeitet, bei Figaro vor allem, bei einer Szene, wo die den Cherubino zu einem Mädchen umbauen. Es saß da neben mir – er war ja früher viel mehr da als heute, was auch sehr schön war – und er sagt: das ist nicht gut. Und da sagte ich ja was ist denn nicht gut? Er sagte: Ich bin kein Regisseur, das musst Du machen. Und da hatte er auch recht. Und dann habe ich es uminszeniert und sagte: wie findest Du es jetzt: Und er sagte: das kriegst Du besser hin! Und dann habe ich mein Hirn angestrengt, da ganze nochmals umgebastelt, die Aktion mehr in die Rezitative hinein. Dann hat es funktioniert und er war zufrieden. Ein schönes Beispiel, lustig!

Bei Poppea in Salzburg waren die beiden Hauptpartien mit englischen Sängern besetzt. Hat das die Ästhetik verändert, da England ja eine ganz eigene Barockkultur hat.

Nein, überhaupt nicht.

Mit hat diese Brechung in die heutige Zeit, die immer wieder einmal passierte, in der Salzburger Inszenierung so gut gefallen.

Ja das war lustig!

Und dann kam ja die Poppea nochmals in Zürich…

Das war eine unglückselige Produktion! Weder NH noch ich waren zufrieden. Die Sänger waren dauernd krank (Kasarova auch bei der Premiere Anm.)

Kasarova kam erst einmal zu den Proben zu spät, dann war sie krank, dann da , dann krank… Ursprünglich war das ein Projekt mit der Bartoli, dann hat sie das abgesagt, worauf ich es auch abgesagt habe. Dann kam die Vesselina ins Spiel, mit der ich schon sehr schöne Sachen gemacht habe, und da hab ich gesagt, ich mache es doch, und dann kam sie zu spät zu den Proben und dann wurde sie krank. Eine meiner unglückseligsten Zeiten. Und die anderen Sänger waren müde oder nicht wirklich studiert, das ging immer so hin und her. Und am Ende haben wir beide gesagt: was machen wir nur mit dieser Produktion? Sie war dann ganz erfolgreich, aber die Arbeit war sehr mühselig.

Konzeptionell wollte ich sehen ob sich der Stoff ins heute herüberziehen lässt, aber das war nicht richtig: Es gibt in diesem Werk bestimmte ikonografische Qualitäten, und wenn man die und die Begriffe dazu verloren hat, dann klappts nicht.

Ich fand die Salzburger Aufführung sehr viel besser,

…ich auch, ehrlich gesagt!

Es wäre besser geworden, wenn wir gut arbeiten hätten können, das konnten wir nicht. Es waren Leute da, die unerfahren waren. Und ich, ich kann und will da in meinem hohen Alter keine Konzessionen mehr machen, will nicht mehr erklären müssen, wie man sich auf der Bühne bewegt. Ich habe das dann auch mitgeteilt, dass die das woanders hätten lernen müssen.

Dann kam Alcina, eine wunderschöne Produktion!

Ja, es kam die Debatte auf, man sollte einen Händel machen, und Nikolaus sagte, ich solle mich umsehen was es da gibt, und dann sagte ich, die Alcina wäre schön…

Und wir machten sie und es wurde wirklich eine schöne Aufführung. Und das beste dran war, dass es so wie eine Neuentdeckung dieser Oper von uns war, denn danach wurde überall Alcina gemacht, jeder Regisseur, jeder Dirigent hat sich danach auf die Alcina gestürzt. Man hat vergessen, dass wir die eigentlich wiederentdeckt haben. (Anm.: das stimmt vielleicht nicht ganz, denn Mitte der 80er gab es in Graz eine Alcina)

Ihr Konzept war ja ganz besonders, diese völlig leere Bühne.

Ja, diese Lug und Trug Geschichten mit den Trompe D’oeuill Sachen. Dann gab es da ja etwas ganz Lustiges. Als diese Menschen die da zurückgezaubert wurden, die Zauberinsel verließen, da haben wir die in diese Shakerkostüme gesteckt, diese Amischen. Die gingen durch das Bühnentor auf die Straße, man hat die Strasse draußen gesehen. Und dann war eben das Besondere, dass ich erst im Nachhinein erfahren habe, dass die Amischen eine Sekte aus Zürich waren, die sprechen heute noch Schwyzerdütsch. Das war ja (lachend) geradezu hellsichtig von uns, die sind also aus dem Theater raus und haben sich nach Virginia oder wo die jetzt leben, verzogen. Das hat der Rodney Gilfry erzählt. Der war mal da mit seinen Kindern bei den Amischen, und seine Kinder sind ja in Zürich aufgewachsen, und die haben gehört, dass die Alemannisch reden und die konnten mit denen reden, denn die Kinder konnten Schwyzerdütsch. Das haben wir vorher nicht gewusst.

 Für mich war diese Oper ein Spiel mit den Empfindungen, die Gefühle lagen völlig unverdeckt da. Besonders im ersten Jahr wo dieser österreichische Sopranist sang…

…Arno Raunig, nachher hat’s Ann Murray gemacht. In Zürich war diese Produktion ja ein ganz großer Erfolg, und da sind wir zu den Wiener Festwochen gefahren, und da war es gar kein Erfolg. Die wussten nicht, was das soll, da gab es sogar Buhs.

Ja die Wiener sind eine eigenes Volk! Das nächste war dann L’amina del filosofo von Haydn

Die Idee entstand hier während der Poppea. Es war die Idee Bartolis, das zu bringen, wenn ich mich recht erinnere. In Wien kams zuerst und es war ein Riesenerfolg. Das Bühnenbild von George Tsypin war großartig.

Dieses Höllenbild!

Boaaah, unglaublich! wie die da im Wasser standen! Und wie Nikolaus das dirigiert hat!!! Das ging nämlich auch noch nach London, und da hat das ein so genannter englischer Barockspezialist dirigiert, und das war überhaupt nichts, völlig leer!

 Wissen Sie wie er geheißen hat?

Ja natürlich, es war Hogwood. Bei Nikolaus war das Panik pur, bei dem garnichts. Und da dachte, siehst Du, der Nikolaus hat zu dem Haydn doch noch einen anderen Bezug als die Kameraden da oben auf der Insel. Bei Nikolaus hatte das eine Macht, eine Kraft, unglaublich!

Es endet ja für den Orpheus nicht gut, die Erynnien bringen ihn um.

Ja das ist nicht schön für ihn. Wie sich das so mehr und mehr einschloss, ja das war gelungen!

Und diese Idee, den Schlangenbiss durch einen hellen Lichtblitz darzustellen!

Das könnte man ja nicht anders machen,

Eben, super Idee! Dieses Stück war ja der persönliche Durchbruch für Roberto Saccà, er war Orpheus.

Ja das sollte erst jemand anderer machen, ein berühmter deutscher Tenor der nicht mehr singt, weiß nicht mehr seinen Namen. Doch da waren diese tollen Frauen, die Cecilia Bartoli und die Eva Mei, beides ganz super Frauen, und der hatte Angst vor denen. Buchstäblich. Er ist jetzt mit einer Japanerin verheiratet…

 ….ach, Uwe Heilmann! Der hatte Krebs, einen Kehlkopfkrebs, und konnte ihn heilen, er singt jetzt wieder, war bei der Schubertiade in Hohenems. Er hat mir selbst seine Geschichte erzählt.

…also statt dem kam dann der Saccà, er hat das großartig gemacht und hatte dann bis heute eine schöne Karriere.

 Er hat kürzlich Florestan gesungen in ZH, es war gut!

Das nächste in meiner Liste ist Schuberts „Alfonso und Estrella“

Das war auch zuerst in Wien und dann in Zürich, in Wien mit mäßigem Erfolg. Ich hatte zuerst Schwierigkeiten mit dem Stück und bin dann draufgekommen, dass in diesem Stück permanent Krieg ist. Und das fand ich für einen romantischen Komponisten wie Schubert schon eine recht spannende Sache. Wie ich das dem Nikolaus gesagt habe, war er ein wenig konsterniert. Doch es stimmt, und wir haben das dann so gemacht, und es hat funktioniert. Die Menschen sind ja permanent auf der Flucht und der, der da in seinem Kämmerchen sitzt – sowas geht natürlich nicht, dieser romantische Rückzug.

Dann dieses wirklich schöne Bühnenbild von Erich Wonder! Diese Produktion war eine von meinen wirklich gelungenen.

Was sagen Sie zu der gängigen Kritik an Schubert als Opernkomponist?

Das ist natürlich völliger Blödsinn, er hat ganz tolle Opern geschrieben, die wirklich Kraft haben.

 Vielleicht ist es mehr eine innere Dramatik, weniger eine äußerliche?

Nein, Alfonso und Estrella ist eine richtige Oper mit allem was dazu gehört. Wenn Sie diese Kriegschiffre spielen, dann wird das ganz heftig!

Dann war der Zyklus der Offenbachs. Belle Hélène war ja mit Lohner..

 (Nuschelnd) ach den Lohner den mag ich nicht so…

… die Périchole kam dann, mit der Vesselina. Und ich habe damit eine riesige Freude gehabt, denn Offenbach ist ein naher Verwandter von mir. Wir sind beide aus Köln…

…Sie sind aber nicht wirklich verwandt mit ihm?

Naja, wir sind beide Kölner. Der ist mehr Kölner als Pariser. Und diese Musik kenne ich, er hat da viele Kölner Lieder in seine Musik übernommen. Das ist oft Kölsche Volksmusik. Und da habe ich wahnsinnig gefreut das zu machen, ein riesiger Spaß, ein höchst vergnüglicher Abend.

Und da habe ich mich sehr gefreut auf die Geroldstein

Ich gestehe, dass ich diese nicht gesehen habe, ich kann mit Offenbach nicht allzu viel anfangen.

Ach, aber die Geroldstein, die hätte sie versöhnt! Schade dass Sie sie nicht gesehen haben, die war eine steile Veranstaltung!

 Was war es, was so toll war?

Es war die Besetzung toll, aber vor allem dieser antimilitaristische Blödsinn, ein antimilitärisches Stück, wunderbar, wie der das verblödelt.

 Harnoncourt hatte die Uniform an?

Ja, und das ganze Orchester, das Chamber Orchestra of Europe hatte die Uniformen der französischen Militärmusik an. Eine wahnsinnig komische Aufführung, ein riesiger Spaß. Und dann hatten wir diese Schrift über der Bühne, diese blöde Übertitelei, die haben wir verballhornt. Da gibt s ein Lied (singt) lalalalalala, also 94mal „la“, das haben wir ausgezählt, und das haben wir da oben hingeschrieben. Und dann gibt es so ein Komplott in dem Stück, jemand sollte umgebracht werden, fragen Sie mich nicht, wer. Und am Ende der Szene, wo ja gewöhnlich applaudiert wird, kam die Schrift: „Liebe Grazer, wir sind empört. Hier geht es um Mord und Totschlag, und Sie applaudieren“. Solche Dinge. Oder „rufen Sie bitte die folgende Nummer an“ oder in der Pause haben wir geschrieben „Applaus, Applaus für Nikolaus“.

Wissen Sie was NH an Offenbach so anzieht?

Er sagt, Offenbach ist im Himmel in der ersten Reihe. Und er dirigiert ihn ja nicht so, wie man es landläufig tut. Das ist bei ihm irgendwie wie aus einem Leierkasten, echt erfrischend. Irgendwann wurde uns angeboten, „Hoffmanns Erzählungen“ zu machen, das hat ja nun mit Offenbach höchstens mit 10% was zu tun, das ist von weiß Gott wem allen. Dinge wie diese Barcarole hätte er nie geschrieben!

 Dann Don Giovanni in Zürich?

Da war ich nicht so damit zufrieden, das hatte auch mit dem Bühnenbild zu tun, das mir nicht wirklich gefallen hat.

Diese umbaute Statue?

Das war noch eine ganz gute Idee, zu sagen die wird jetzt gebaut. Auch dass der Ottavio so ein komischer Künstler, Architekt ist, das war ganz gut. Aber ich hab das Stück letztlich nicht hingekriegt.

Im zweiten Teil, wenn nur noch der Leporello da ist, und die Sache mit dem Komtur…

Aber der Schluss ist doch wirklich gelungen!

Naja, dieser brennende Tisch, ein guter Trick. Aber wirklich beruhigt war ich, als das heuer Claus Guth in Salzburg gemacht hat, die erste Don Giovanni Aufführung wo ich sage dass sie gelungen ist. Auch alle Regisseure die drinnen waren sagten das. Allein das Bühnenbild, aus dem veristischen Zeugs herauskommen, und die Idee, dass der angeschossen ist.

Ich habe mich immer gefragt warum er immer noch den Mädels nachrennt obwohl keine mehr auf seine Liste steht, und es kommt ja keine mehr drauf. Aber mein Don Giovanni in Zürich war nicht gut!

 Liegt das vielleicht auch an gewissen Sängerkonstellationen?

Nein, nein, mein Konzept war nicht gut. Das Stück ist massiv schwer, ich werde es nie wieder machen!

Die Fledermaus?

Ja die, die war ein bisschen überkonzeptioniert. Dass der Dr.Falke der Regisseur des ganzen ist, soweit dass sich alles am Ende in das Wohnzimmer zurück verwandelt……

Der zweite Akt ist mir gelungen, aber der Dritte, den habe ich total unterschätzt. Der ist von Haus aus nicht gut. Und ich habe gedacht, da kommt der Frosch und alles ist gut, da habe ich mich zu sehr drauf verlassen. Und eben am Ende das Überkonzept.

Die Idee, dass Orlowsky eine verkleidete Frau ist, war doch toll!

Ja das war sehr schön, mit Agnes Baltsa, wunderbar! Die hat das gut gemacht.

 Und Isabel Rey war dabei!

Ach, fantastisch! Und die Dussmann auch, alle waren fantastisch! Nur meine Idee mit dem Rückbau im dritten Akt war nicht gut.

 Aber der Einfall, dass alle aus dem Sozialhilfemilieu kamen, war toll,

Jaja das war gut! Die Typen waren total schräg. Und da hat mich eine Dame auf der Premierenfeier drauf angeredet und da sagte ich: „Kucken Sie morgens in den Spiegel, und sie sehen genau so aus!“

 King Arthur?

Ein sagenhafter Erfolg, wenn auch die Kritik mäkelte. Ich wurde damals als Intendant gehandelt, daher war sie extra mäkelig. Wir wollten zuerst Fairy Queen machen, aber die Sache mit dem Sommernachtstraum da drinnen ist nicht wirklich schlüssig, das Stück ist nicht wirklich gut. Und dann haben wir uns zu Arthus entschlossen. Das ist ja auch nicht die Arthussage, die wir kennen, sondern ist mit Luftgeistern. Ginevra ect. kommen nicht vor.

Das war für ein paar Leute eine Enttäuschung, sie dachten Tafelrunde und so, doch das ist völlig was anderes.

Das war eine der schönsten Arbeiten die ich je gemacht habe. Ich habe zuerst mit den Schauspielern gearbeitet, habe versucht meine ganze alte Family vom Thaliatheater zusammen zu bekommen, die kamen auch alle und sagten, machen wir dem Jürgen eine schöne (genuschelt) Aufführung??

Ich habe früh zu proben begonnen, und irgendwann kamen die Sänger. Und dann sagte ich zu den Schauspielern, so jetzt machen wir denen vor, was wir schon gearbeitet haben. Und die Sänger saßen da, kreidebleich und applaudierten. Und der Michael Schade sagte: Jetzt müssen wir uns aber anstrengen. Und dann stiegen die ganz toll ein, die Bonney, der Schade und die Isabel, wirklich ganz toll!

Eben Schauspieler und Sänger in Deckung zu bringen…

Ja eben, so ging das zusammen es war wie aus einem Guss. Das sehen Sie auf dem Video. Und das ging noch weiter. Später kam noch der Chor, -Chorvereinigung Wiener Staatsoper, die sind viel besser als der Arnold Schönberg Chor – dazu. Und ich sagte: setzt euch mal hin und schaut was wir gemacht haben. Und dann kriegten die…Sie wissen schon. Da kam eine einmalige Situation. Der Chorvorstand kam und sagte: „Jürgen, wir müssen über die Tanzproben reden“ Und ich dachte, was jetzt schon wieder, um Gottes Willen! Dachte die können nicht, wollen nicht..

Und dann sagte der: „Wir brauchen mehr Proben“. Das ist eine wirklich einmalige Situation, das geht ein in die Theatergeschichte!

Und dann kam das Orchester und es war sofort in einer guten Stimmung, und alle sagten: das Ding knallen wir jetzt hin. Es war wirklich toll!

Da waren ja so Scherze, Barbara dirigierte das Publikum, und die sangen tatsächlich. Und Michael Schade war ein Rocksänger. Nikolaus sagte: das ist der erste Rocksong, und übrigens sagte er mir vor den Proben: Das ist das erste Musical der Geschichte. Und da sagte ich: Das hast Du nicht umsonst gesagt, mein Lieber, und da haben wir echt auf dem Putz gehaut.

In der Generalprobe war das Publikum schier verrückt, und dann kam die Premiere und die war ein riesen Flop. Da saßen die weißen Dinnerjacketts, denen war das völlig fremd, die wollten den gediegenden Mozart: Standbein Spielbein oder ein nettes Konzertchen, und auf einmal ging das damit los!

Und dann kam ich auf die Bühne und kriegte Buhs, tatsächlich! Ich dachte das ist doch hier eine putzige Sache, ich habe die doch nicht erschreckt. Aber ich hab sie wohl doch erschreckt. Und – aus dem Moment heraus – hab ich mir ans Herz gegriffen und bin umgefallen. Pahhh! Und der der Buh gerufen hat, hat sofort aufgehört. Sowas kann man nur einmal im Leben machen.

Und schließlich wurde es ein Riesenerfolg, die Leute haben sich um die Karten geprügelt. Eine Dame schrieb mir, sie hätte sich gefühlt, als wäre sie im Publikum ein Teil des Ganzen. Das war einer der schönsten Briefe, die ich je bekommen habe.

Das steht auch in dem Buch „Theaterbilder“.

Ja, vielen herzlichen Dank, Herr Intendant, das waren alle Stücke, alle meine Fragen!

Zu Nikolaus generell will ich sagen: Jede dieser vielen Aufführungen war eine musikalische Reise, ich hab jedes mal unendlich viel gelernt.

Zum Beispiel habe ich ihn mal bei einer Cosi-Probe gefragt, was es auf sich habe mit den Trompeten bei Mozart. Und dann hat er mir erklärt von den Signaltrompetern, dass die von der Militärmusik ausgeliehen wurden, dass sie so teuer waren und dass ihnen die Zunge abgeschnitten wurde, wenn sie mehr als einen Schüler hatten. Das weiß der alles, weiß es einfach! Er ist nicht nur ein toller Musiker, sondern auch ein toller Wissenschaftler, macht nichts ohne Grund. Das ist nicht einer der angereist kommt, die Arme hochhebt und dann wars das. Bei ihm ist es jedes Mal ein existenzielles Ereignis.

Und schließlich sagte ich zu ihm: Bei deiner langen Reise durch die Musik musst Du bei Alban Berg ankommen, da ist noch die Wiener Schule drin. Ich hätte lieber Wozzeck gemacht, aber er meinte, den kenne er nicht so gut, das schafft er nicht mehr. Lulu kennt er besser.

Sie machen sicher die Urfassung?

Ja, kein Cerha!

Und wer ist Lulu?

Die Petibon.

 2010 ist NH 81 Jahre alt!

Ja aber er ist so gut in Schuss, Leute, die halb so alt sind wie er, sind schneller erschöpft. Ein wunderbarer Mensch, wir sind alle froh ihn zu haben!

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Wie wir wissen, kam diese Lulu nie, warum, ist mir nicht bekannt. Jürgen Flimm begleitete mich noch zum Ausgang und wies persönlich den Portier an, mir ein Taxi zu bestellen. Zum Abschied sagt er: „Das war ein sehr gutes Gespräch“. Dieses Kompliment ist sehr kostbar für mich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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