Loading...
X

Gudrun Hartmann über Nikolaus Harnoncourt

Gudrun Hartmann war viele Jahre lang Regieassistentin und Spielleiterin am Opernhaus Zürich. Zur Zeit des folgenden Gespräches, also im Jänner 2009, war sie Leiterin des Internationalen Opernstudios am Opernhaus Zürich, der Ausbildungsstätte für junge Sänger und Sängerinnen. Seit 2012 ist sie an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin, am Teatro alla Scala in Milano und bei den Bayreuther und Salzburger Festspielen tätig.

Wie alle Interviews dieser Rubrik diente auch dieses der Recherche für das Buch „Oper, sinnlich. Die Opernwelten des Nikolaus Harnoncourt“, das im Dezember 2009 zum 80.Geburtstag des Dirigenten in Residenzverlag Salzburg erschien. Die Autorinnen sind Johanna Fürstauer und ich, Anna Mika

A.M.: Frau Hartmann, ich muss Sie fragen, bei welchen Produktionen mit Nikolaus Harnoncourt Sie mitgearbeitet haben. Erinnern kann ich mich an den Freischütz von CArl Maria von Weber, und da wären Ihre Informationen sehr wertvoll, da ich Frau Berghaus nicht mehr selbst befragen kann.

G.H.:   Bei sämtlichen Inszenierungen, die Ruth Berghaus in Zürich gemacht hat, war ich ihre Assistentin. Ich hatte eine durchaus engere Beziehung zu ihr, war auch öfters bei ihr zu Hause in Berlin, um dort sehr konzentriert mit ihr zu arbeiten.

Was hatte Frau Berghaus für eine Beziehung zur Musik?

Nun zuerst: sie war mit dem Komponisten Paul Dessau verheiratet, Musik lag also quasi in der Familie. Und dann war sie ja ursprünglich Tänzerin, kam vom Tanz, von der Bewegung her.

Sie entwickelte ihre Inszenierungskonzepte sehr genau vom Inhaltlichen, vom Text und von der Musik her. Ihre Bühnensprache enthielt dann viele choreographische Elemente, sowohl was die Bespielung von Räumen als auch die Bewegungsprofile der Sänger betraf. Ihr war die Reduktion auf die wesentliche Aussage extrem wichtig.

Und wie hat sie sich da mit Harnoncourt gefunden?

Sie haben sich wunderbar verstanden, gaben einander die Ideen in die Hand, sozusagen. Sie sagte etwas, er gab seine Meinung dazu und umgekehrt. Sie inspirierten sich gegenseitig. So sollte die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Dirigent funktionieren. Harnoncourt ist ja ein Dirigent, der, wenn immer möglich, bei den Regieproben dabei ist. Dadurch entstehen erst gar nicht diese Situationen, dass man kurz vor der Premiere noch etwas umstellen muss, weil es dem Dirigenten nicht passt. Sie haben sich so gut verstanden – leider kam es nicht mehr zu einer weiteren Zusammenarbeit.

 Was nun war Ruth Berghaus wichtig beim Freischütz?

Für sie war es ein Stück, das in einer Nachkriegssituation spielt, konkret hier nach dem Dreißigjährigen Krieg, aber wir können uns auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg befinden. Die Leute, Frauen wie Männer, waren nicht hübsch gemacht, praktisch musste es sein, man musste Trümmer wegräumen können, kurze Röcke, warme Mäntel, Stiefel, und alles war zu groß geworden, zu essen hatte man auch nicht genug. Auch das einheitliche Grau, Schwarz, Anthrazit der Kostüme spielt in diese Richtung. Und: es gab viel mehr Frauen als Männer – die waren gefallen……

Weber: Der Freischütz
Inszenierung Ruth Berghaus

 

Kaspar ist ein typischer Kriegsteilnehmer, traumatisiert, alle waren auf ihre Art traumatisiert.

Absolut genial war die Wolfsschlucht. Diese schwarzen Gestalten, die auf den hellen Schrägen wie die Ameisen ihre Straßen zogen – da läuft mir heute noch ein Schauer über den Rücken.

Mich hat diese Szene direkt erinnert am dieses berühmte Ameisenbild von Mark Escher, diesem Surrealisten.

Ich weiß was Sie meinen, ja, daran könnte man denken.

Man hat dieser Inszenierung vorgeworfen, dass sie das wesentliche Element der Oper, den Wald, verleugnet. Er war aber doch da, finde ich, nämlich in dem Grün und Gelb des Bühnenbildes, und auch bei der großen Arie der Agathe, wo es in der Partitur heißt „tritt auf den Altan“, das wurde ja wirklich gemacht. Also das Wesentliche der Oper, die Natur, das Heraustreten ins Freie, der Wald, alles war da.

Genau! Das ist richtig. Ruth Berghaus hat sich zu dieser Zeit überhaupt sehr mit der deutschen Romantik auseinandergesetzt, ein zentrales Thema dieser Epoche war für sie  d i e  S e h n s u c h t.

Die Sehnsucht nach etwas Metaphysischem? Unerreichbarem? Könnte man dies in den beiden Frauengestalten finden?

Nicht nur in den beiden Frauengestalten, in sämtlichen Charakteren. Die beiden Frauen sind äußerlich sehr verschieden, Ännchen die eher praktisch veranlagte Lebenskünstlerin, Agathe die kontemplativere, zum Depressiven neigende. Aber ihre Sehnsüchte – nach Leben, nach Liebe, nach allem, was sie entbehrt haben und entbehren, sind dieselben.

 Da gab es ja dann so szenische Andeutungen, dass Ännchen mit Kaspar einmal liiert war. Ganz am Ende sind sie sich einmal ganz kurz so besonders gegenüber gestanden…

… und bei der ersten Arie hat sie seinen Mantel angezogen und seine Flinte genommen. Das war aber nur eine Andeutung, im Sinne von: es könnte gewesen sein; es wird nicht gesagt, es war so.

Was Ruth Berghaus noch herausarbeiten wollte: die Macht von Staat und Kirche. Am Schluss, alles ist geregelt, schütteln sich Ottokar, die Verkörperung der staatlichen Macht und der Eremit, die klerikale Macht in bestem Einvernehmen die Hände. Diese zwei Institutionen werden es sich schon richten…….Und das Volk soll schauen wo es bleibt…….

Am gänzlichen Ende hatte man das Gefühl, es könnte alles von Vorne beginnen…..

Genau. Diese Inszenierung war großartig. Es ist so schade, dass Ruth Berghaus und Nikolaus Harnoncourt nie mehr miteinander gearbeitet haben. Nächstes Jahr nehmen wir den Freischütz wieder auf, allerdings nicht mit Harnoncourt am Pult.

Was war Ruth Berghaus für ein Mensch?

Sie war sehr genau in ihrer Arbeit, probierte Szenen wieder und wieder, bis es so war, wie sie es haben wollte. Sie war aber nicht unangenehm dabei, ging durchaus auf die Ideen der Sänger ein. Sie strahlte eine sehr starke Autorität aus, dadurch entstand auch eine gewisse Distanziertheit. Sie war auf der Probe so gar kein Kumpeltyp.

Privat war sie unglaublich nett und auch witzig. Die Arbeitstage in ihrem Haus am Zeuthener See waren sehr konzentriert, aber auch entspannt, sie hat beispielsweise immer wunderbar gekocht.

Waren Sie auch schon beim Mozart Zyklus mit Jean Pierre Ponnelle dabei?

Ja, ich habe mit Ponnelle und Harnoncourt Die Entführung aus dem Serail und dann die drei Opern mit dem Text von Lorenzo da Ponte, also Le Nozze di Figaro, Don Giovanni und Cosí fan tutte gemacht und viele Jahre lang betreut. Und danach habe ich auch noch die Inszenierung von Cosí von Jürgen Flimm, die ja auch Harnoncourt dirigiert hat, betreut.

Ach, das ist interessant, sie können die beiden Inszenierungen also vergleichen.

Das Besondere an den Ponnelle – Inszenierungen war, dass er extrem die musikalischen Strukturen in szenische Strukturen übersetzt hat. Und dann hat er die Rezitative wirklich unglaublich genau, wie im Schauspiel, gestaltet. Er sprach sehr gut Italienisch, konnte wirklich mit dem Text spielen. Sein Credo war: die Rezitative gehören dem Regisseur, da hat der Dirigent nichts zu sagen. Da habe ich wirklich für mein Leben draus gelernt!

Da erinnere ich mich auch: als die Mädchen bei Abreise ihrer Geliebten so traurig sind, befehlen sie ja der Despina, die Vorhänge zu schließen. Und da sind in der Musik so mehrere Wischer, und es waren genauso viele Fenster auf der Bühne wie dieses Motiv vorkam, und es waren Jalousien.

Ja, genau so etwas. Und diese Cosí war geradezu choreographisch klar, wie ein Brettspiel, in den Figuren und ihren Beziehungen zueinander. Wir hatten auch über die Jahre wunderbare Sänger: Thomas Hampson, Gösta Winbergh, Deon van der Walt, Rodney Gilfry, Lucia Popp, Roberta Alexander, Vesselina Kasarova ……die Liste ließe sich fortsetzen…….

Aber bei Flimm gibt es diese Anlehnung der Regie an die musikalische Rhetorik nicht, oder kaum?

Ganz anders. Vorweg vielleicht: Jürgen Flimm ist meiner Einschätzung nach der einzige große, Schauspielregisseur, der auch ein großer Opernregisseur geworden ist. Er ist sehr musikalisch, ist selbst Instrumentalist. Er inszeniert eigentlich einen Text – und das sehr genau – und die Musik gibt ihm eine eher assoziative, emotionale Ebene dazu. Auf die Art und Weise hat er fantastische Inszenierungen hervorgebracht – ich habe viele mit ihm erarbeitet.

Bei der Zürcher Cosí waren die Umstände aus verschiedenen Gründen nicht ganz einfach, so gab es einige merkwürdige neben sehr schönen Szenen, der Gartenszene beispielsweise…….

Was meinen Sie, wie ist die Konstellation der Paare nach dem Ende der Oper?

Alles ist kaputt, sie können sich nicht mehr vertrauen, keiner kann dem anderen mehr vertrauen, das gilt für Jede und Jeden. Ein trauriges Stück……

Aber könnte man nicht annehmen, dass Fiordiligi und Ferrando zusammenkommen, da ist doch ein echtes Gefühl da?

In der Musik kann man das hören, ja. Aber das kann nichts von Dauer sein, da eben das Vertrauen fehlt.

Also ganz und gar kein lieto fine (fröhliches Ende)!

Nein, natürlich nicht. Flimm hat das auch gezeigt, diese unglaubliche Kälte zwischen den Menschen am Ende……

Und bei Ponnelle gehen alle, nachdem sie ausgesungen haben in verschiedene Richtungen und jeder bleibt für sich allein…..

Wir können auch noch reden über den Fidelio, da habe ich die Wiederaufnahme mit der DVD-Aufzeichnung betreut.

Wunderbar! Bitte!

Das war eine der ganz gelungenen Arbeiten von Jürgen Flimm! Er hat ja Fidelio auch noch in New York und London gemacht, aber da etwas anders. Diesen Fidelio hatten wir so lange im Spielplan, auch mit anderen Dirigenten, unter anderem mit Adam Fischer.

Adam Fischer ist ja der Dirigent, dem Harnoncourt gerne seine Einstudierungen übergibt.

Er ist anders, aber er ist jemand, der die musikalische Sprache Harnoncourts sehr gut versteht. Er hat auch die Mozart-Opern nachdirigiert, das ging alles immer wunderbar.

Und dann habe ich auch noch mit Flimm/Harnoncourt Die Großherzogin von Geroldstein von Jacques Offenbach gemacht, erst bei der Styriarte in Graz und dann in Zürich. Das war ein Spaß, unglaublich. Wir wussten nicht, dass Nikolaus Harnoncourt eine solch komische Seite hat….

Ich tue mich, muss ich sagen, schwer mit dem Offenbach, und ich glaube auch nicht, dass es Harnoncourt ausschließlich um den Spaß ging.

Und Jürgen Flimm auch nicht! Natürlich sind diese Operetten eine teilweise sehr dezidierte Kritik an damaligen politischen Verhältnissen. Man muss die Kritik allgemeiner deuten – und Kritik am Militär war damals Kritik am Militär und ist heute Kritik am Militär……

Noch eine kleine Geschichte dazu: in Graz hatten wir es sehr schön, und da passierte Folgendes: Drei von uns überlegten, was wir am Wochenende tun könnten, und Nikolaus Harnoncourt kam dazu und sagte: „ach, geht doch in die Bärenschützklamm, das ist ganz hübsch und nicht schwierig, ein Sonntagnachmittagsspaziergang, da gehen die Familien mit den Kindern hin.“

Wir machten diese Wanderung, doch das war alles andere als leicht, das letzte Stück war eine irre Kletterei mit Treppen und einem schwindelerregenden Blick in die Tiefe. Die anderen Beiden blieben von vorneherein unten. Ich bin dann als Einzige bis zu Ende gegangen, in die Klamm hinauf, und es war wundervoll, aber eine echte Herausforderung.

Und er sagte: „Sonntagsspaziergang“!

(Dazu eine Anmerkung: von Harnoncourts Bruder, dem Theologen Philipp Harnoncourt, habe ich erfahren, dass Nikolaus Harnoncourt und seine Frau Alice sehr gute Bergsteiger waren, ja, in ihren jüngeren Jahren seien sie sogar geklettert, vor allem Frau Alice)

Frau Hartmann, da Sie jetzt Leiterin des Internationalen Opernstudios am Opernhaus Zürich sind: hat Sie die Arbeit mit Nikolaus Harnoncourt geprägt?

Natürlich, sehr! Mozart kann ich gar nicht mehr anders machen – und auch nicht anders hören! Auch Thomas Barthel, der musikalische Leiter des IOS, ist geprägt von Harnoncourts Art der Interpretation. Beispielsweise arbeiten wir im Studio sehr viel an Rezitativen, und das haben wir bei Harnoncourt gelernt. Frei, dem Sprachduktus folgend, nicht zu gesungen. In den Rezitativen passiert ja die Handlung, es ist wichtig, dass man das versteht.

Natürlich gibt es völlig andere musikalische Interpretationen, ich will das nicht werten, ich kann nur für mich sagen, dass Harnoncourts Ansätze mich auch für die szenische Umsetzung am meisten überzeugen. Oder jedenfalls für meine Idee der szenischen Umsetzung.

Apropos deutsch: Herr Harnoncourt hat einmal in einem Vortrag gesagt: wenn man die Mozart Opern auf Deutsch macht, dann soll man die Rezitative nicht singen, sondern als Dialoge sprechen.

Das ist gar kein dummer Gedanke, wirklich sehr bedenkenswert!

Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

0 Overall Score
0 Reader Rating: 0 Votes
0 Comments
Leave a Reply
Top