Georg Nigl über Harnoncourt
Das Gespräch mit Georg Nigl fand im Dezember 2008 am Telefon statt. Wir kannten und aber schon persönlich, denn er hatte schon mehrfach bei den Bregenzer Festspielen gesungen sowie die Titelrolle in Mozarts „Don Giovanni“ unter Thomas Hengelbrock bei dessen damaligem „Feldkirch Festival“.
Georg Nigl gilt als Spezialist für Alte wie gleichermaßen für Neue Musik. In der Zeit unseres Gesprächs sang er gerade in Venedig Schönbergs Oper „Von heute auf morgen“. Und derzeit, also im Frühsommer 2022 brilliert er als Orfeo in Monteverdis gleichmäßiger Oper an der Wiener Staatsoper.
Der spontane Gesprächsstil wurde bewusst beibehalten.
Herr Nigl, gern würde ich zuerst über Carmen bei der styriarte sprechen. Sie haben in dieser Oper den Dancairo und auch den Morales gesungen. Wie war die Zusammenarbeit von der Regisseurin Andrea Breth mit Nikolaus Harnoncourt?
(siehe das Gespräch mit Andrea Breth auf diesem Blog, Anm.)
Trotz aller ihrer genauen Vorbereitung hat Frau Breth alles mit NH abgesprochen, wäre auch immer bereits gewesen etwas zu ändern – es gab von Beiden einen sehr großen Respekt vor der Arbeit des jeweils anderen. Soweit ich das mitbekommen habe, haben die beiden sehr genau das Konzept abgesprochen. Es war auch klar das Graz ein gewünschter Ort war, es fand nicht durch Zufall dort statt, sondern es war ein gewählter Ort..
… auch die Helmut List Halle, die ja von der Bühnentechnik her nicht alle Stückln spielt?
Na ja, man kann sagen, es ist eine echte Aufgabe, mit dem Wenigen, was dort an Bühnentechnik da ist, was zu machen. Ich kenne diese Halle ja von drei Aufführungen: einmal beim steirischen Herbst, und dann Carmen und dann Offenbachs Großherzogin von Geroldstein. Die beiden Opern hat ja Annette Murschetz ausgestattet, das ist die Ausstatterin, die besonders gut mit Einraumtheatern umgehen kann, die da noch was draus machen kann. Da ist ihnen extrem viel gelungen.
Es war allen klar, dass der Firlefanz von Folkkore wegmuss. Da muss man gar nicht weiterreden. Und dann hatte Harnoncourt (im folgenden auch NH) einen ganz besonderen Zugang. Er hat, etwa beim Quintett der Schmuggler an Anfang des zweiten Akts, von Chansongesang gesprochen, also den der 50er, 60er Jahre in Frankreich. In Berlin wären das die Comedian Harmonists, aber das ist nicht vergleichbar, da gab es in Frankreich eine spezielle Gruppe.
Beim Finale 1.Akt, wenn die Carmen abhaut, das war die Pranke der Breth pur, das war Theater pur, ich habe sowas selten auf der Opernbühne gesehen. Zwischen dem inzwischen leider verstorbenen Kollegen Rudolf Hartmann, der Nora Gubisch und dem Kurt Streit, diese zehn Minuten, die waren magisch. Und was NH betrifft, was der aus der Partitur heuausgeholt hat, war auch unglaublich!
Diese beiden Orchesterschläge nach dem so genannten Schicksalsmotiv, die sind mir jedes Mal von neuem durch Mark und Bein gefahren.
Dasselbe war bei Offenbach, Geroldstein, das Finale I, das ist ganz ähnlich Finale I von Mozarts Cosi fan tutte, das ist einfach unglaublich gute Musik. Dieses ganz Starke sind die Brüche, die NH herausarbeitet aus der Musik, auch die Farben, die er herausholt, trotzdem immer bedacht auf den Sänger, was der mit der Stimme bringen kann, sei es im Volumen, in der Begabung die er eben hat, das ist er ganz nah bei uns. Du merkst, dass er selbst Musiker ist. Das hat wahrscheinlich mit seinem Cellospiel zu tun, mit den Rezitativen, mit der Basslinie. Es ist halt ein ganz anderer Untergrund. Und was so toll ist, er atmet mit einem. Da können einen ja viele Dirigenten abwürgen, wenn sie das nicht tun.
Bei der Ouvertüre der Geroldstein, da bin ich absichtlich einmal in den Zuschauerraum gegangen, denn ich dachte immer: was spielt da nur für ein Instrument? Und das war dann eine Kombination der Holzbläser, die atemberaubend war!
Wir haben bei dieser Produktion – auch mit dem Jürgen Flimm, der da die Regie führte (siehe das Interview mit Flimm, Anm.) – oft über das Lachen geredet, und über die Art des Lachens. Und NH hat gesagt, dass das Lachen oft etwas Erschreckendes ist. Also wenn Menschen laut lachen, so ist es oft so dass sie jemand auslachen. Also diese Art des Lachens ist eine, die gefährlich ist.
Immer wieder kommen bei NH Sachen, wo man lange nachdenkt. Man überlegt dann: ist es so oder ist es nicht so? Ich bin nicht jemand, der solchen Aussagen sofort folgt. Aber wenn man die Gesamtheit sieht, die einen Menschen ausmacht, öffnen einem NHs Aussagen immer wieder die Augen für bestimmte Dinge. Und für uns als Musiker ist das umso interessanter, weil es oft mit Musik zu tun hat.
Ich wollte Sie eben fragen, was sie glauben, dass der Antrieb ist für NH, Offenbach aufzuführen. Alle sagen nur, wir hatten es soooo lustig, es war so ein Spaß. Aber das Spaß zu haben ist doch sicher nicht der Grund, warum NH das macht.
Nein, nein sicher nicht! Schauen Sie: Schubert: Alfonso und Estrella: ist das nun eine gute Oper oder ist sie es nicht? Ich weiß jetzt, dass Alfonso und Estrella zu meinen absoluten Lieblingsopern zählt, genauso ist das mit Offenbach. Das sind diese Stücke, die nicht ins Repertoire aufgenommen wurden. Zu Unrecht nicht, und zwar deswegen, weil wir Interpreten über die letzten hundert oder hundertfünfzig Jahre diesem Werk nicht nahe gekommen sind. Offenbach wird immer nur als oberflächlich lustig gesehen, doch es ist exzellente Musik, und das versteht NH herauszuholen. Wenn Sie in ein Stück von Offenbach gehen, und sie gehen wegen der Unterhaltung, so muss ich Sie zurechtweisen und sagen: das ist falsch!
Es ist dieser schwerst abgründige Humor, der nichts mit Schenkelklopfen zu tun hat. Sie dürfen ja nicht vergessen, wann die Geroldstein geschrieben wurde. Da war wie jetzt eine Weltwirtschaftskrise und der Deutsch-Französische Krieg! Und da darf man nicht vergessen: ein Kölner in Frankreich. Dasselbe ist ja mit Nestroy, oder wenn der Papageno sagt: „Bin ich ein Narr, dass ich mich schrecken ließ! Es gibt ja schwarze Vögel, warum nicht schwarze Menschen!“ Da muss einem das Lachen im Halse stecken belieben.
Das Bild, das wir Konsumenten von Offenbach haben, das ist einer der Gründe, warum NH hergeht und das dirigiert. Doch selbst jemand wie Harnoncourt ist dann zu schwach in seiner Stimme, dass die Menschen wirklich erkennen, dass das eine hervorragend gemachte Musik ist. Und ob das dann den Unterhaltungswert hat, den die Menschen erwarten, ist dann eine andere Frage. Das ist ja auch bei Franz Schubert gewesen, oder bei Haydns L’anima del filosofo. Carmen war das Stück mit dem größten Popularitätserfolg, das ich mit Harnoncourt machen durfte. Da kann ich den Bogen spannen zu Neuen Musik: das was ich bei den drei Stücken Offenbach, Schubert, Haydn, gelernt habe, nämlich dass ein Stück an jedem Abend eine Uraufführung sein muss! Dass man alle Kräfte bündelt und versucht das Beste zu machen, um dem Werk gerecht zu werden!
Und das macht mir auch Sorge, und das macht mir Angst: wer wird in Zukunft, wenn eine Stimme wie NH einmal nicht mehr ist, wer wird das füllen? Nämlich dass er mit seinem Namen, seinem Können das Brennglas auf solche Stücke richtet, die wir einfach in der Repertoiregeschichte seitlich liegen lassen.
Ich hatte auf Grund der langen Probenzeit die Werke ziemlich gründlich kennen gelernt, das ist ähnlich wie bei der Neuen Musik. Da pfeife ich ja dann auch auf der Straße Melodien, bei denen mich die Leute komisch anschauen – natürlich ist das auch auf Grund der besonderen Interpretation von NH. Aber das „Lied vom Wolkenmädchen“ aus Alfonso und Estrella kann man getrost mit allen anderen großen Arien in eine Reihe stellen, meinetwegen mit der Arie des Germont in La Traviata, oder vielleicht ist es von der Melodie her sogar noch großartiger. Oder die ganzen Angriffszenen bei Alfonso und Estrella, die Darstellung des Leids, wo NH uns dann oft aus seiner Kindheit erzählt hat.
Also was NH meiner Meinung nach wirklich ausmacht, was ich in den vier Mal wo ich mit ihm Oper gemacht habe, kennen gelernt habe, ist das:
Es geht ihm nicht um eine Kunstfertigkeit, nicht….(sucht lange nach dem Wort)
Also so: wenn in der Oper Leid vorkommt, dann wird das dargestellt und nicht überzuckert, es wird herausgearbeitet, ziseliert, seziert. Es wird auf das Innerste des Kerns geschaut. Und dieser Brennpunkt ist immer das Menschliche, das was uns ausmacht, im Kern. Und das ist nicht der Zuckerguss, das ist kein Schenkelklopfen bei Offenbach und eben nicht der romantische Biedermeierkomponist Schubert und auch nicht der alte Onkel Haydn, sondern es ist die Kraft der Musik, die zum Atmen kommt.
Das war immer das Spannende, auch bei der Carmen. Und das war auch der Grund, warum ich Kleinstrollen übernommen habe. Zum Beispiel bei Geroldstein, da hatte ich ja eine Pipifax-Rolle. Ich hätte zur selben Zeit eine große Partie in Italien singen können, doch ich habe mich herausgekauft, die kleine Partie mit NH war mir wichtiger.
NH hat viel angestoßen, ich glaube auch dass ein Wagner, ein Verdi auch einer neuen Rezeption bedarf. Aber das kann und das will er selbst wohl nicht mehr leisten…
….nun Verdi hat er ja gemacht, Aida…
…und daran ist er gescheitert!
Ach, würden Sie das sagen?
Nun, er hat es so erzählt! Dass nämlich bei der Generalprobe der Radames es noch so gesungen hat wie ausgemacht, und bei der Premiere hat er dann so gesungen, wie es landläufig gemacht wird. Und nun stellen Sie sich vor, es kommt einer, der nicht Harnoncourt heißt, und versucht da was zu arbeiten. Die Blödheit ist ja nicht nur im Publikum, sondern auch auf der Bühne oben.
Harnoncourt hat nicht nur die Rezeptionsgeschichte aus ihrer Verankerung gezogen, sondern hat sie auch erweitert. Er hat uns Musiker und auch das Publikum aufgefordert, die Dinge neu anzuschauen. Er hat die Musik und den Menschen in den Mittelpunkt gerückt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Foto Portrait: Machreich Artists
Foto Orfeo: Wiener Staatsoper
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