Weiblich – furios – multikulturell
Mitreißend temperamentvoll und zugleich hoch sensibel geriet das Bregenzer Meisterkonzert vom Freitag. Dirigiert hat Nil Venditti, Solistin war Sakaya Shoji, Violine.
Die Kunstmesse „Stage“, die dieser Tage im Festspielbezirk Bregenz abgehalten wird, war auch beim Bregenzer Meisterkonzert allgegenwärtig. Bis weit in die Hinterbühne blickte man auf diverse Objekte. Doch beim Auftritt des Stuttgarter Kammerorchesters wurde ein Bühnenvorhang heruntergerollt, eine Arbeit des Bregenzer Künstlers Uwe Jentsch mit dem Titel „Rette deine Seele“. Dann kam das Energiebündel Nil Venditti aufs Podium, die Dirigentin des Abends also, und erklärte, dass alle hier „crazy“, also verrückt seien, da wir die nächsten Stunden mit klassischer Musik verbringen. Als ob das nicht genug Inputs gewesen wären, führte das Stuttgarter Kammerorchester mit Fazil Says Kammersinfonie von 2015 in die brodelnde Welt der Metropole Istanbul. Der wirbelnde Kopfsatz wurde besänftigt durch den zweiten, denn „Romantik sei auch heute wichtig“, meint der Komponist, Pianist und Bürgerrechtlicher. Der letzte Satz zeigte uns den großen Bazar, wo einzelne Instrumentalsoli als Marktschreier fugierten, hervorgehoben von Venditti. Fazil Say kommt übrigens selbst zum übernächsten Meisterkonzert als Klaviersolist beim Klavierkonzert von Maurice Ravel. Als zweiter Programmpunkt war Mozarts Violinkonzert in A-Dur geplant, doch die Solistin Sakaya Shoji war so versunken in ihre Übungen in der Garderobe, dass sie ihren Auftritt verpasste und die Musiker die für nach der Pause angesetzte Streichersinfonie Nr. 10 von Felix Mendelssohn-Bartholdy vorzogen.
Nur vierzehn Jahre alt war damals ihr Komponist, Mozart, der ebenfalls Frühvollendete, war Neunzehn, als er das beliebte A-Dur Konzert schrieb, das nun doch erklang. So strahlend in ihrer Art die Dirigentin Nil Venditti sich präsentierte, so bescheiden wirkte die Geigerin Sakaya Shōji nun auf das Publikum. Mit einer langsamen Improvisation leitete sie das Hauptthema des ersten Satzes ein und ließ in der Folge mit einer ausgedehnten Kadenz aufhorchen. Der zweite Satz geriet zu einem zeitvergessenen Gesang von großer Tiefe. Das „Rondeau“, ebenfalls mit Improvisationen durchsetzt, schlug schließlich mit seinem „türkischen“ Einschub die Brücke zum ersten Programmpunkt des Abends. Wie intensiv sich die Zweiundvierzigjährige Geigerin mit ihrer Kunst auseinandersetzt, kann man übrigens aus ihrem Blog ersehen. Einziges, umso gewichtigeres und aussagestarkes Werk nach Pause blieb nun das „Divertimento für Streichorchester“ von Béla Bartók. Es zeugt von den Beunruhigungen seines Entstehungsjahres 1939, wenngleich es in einem Chalet in den Schweizer Alpen entstand. Wie sehr können wir das derzeit nachvollziehen! Wunderbar fein musiziert war der langsame Satz, allerdings vom Publikum ziemlich verhustet.
Endlich sei das Stuttgarter Kammerorchester mit seinem präzisen und dennoch glühenden Spiel gerühmt, dazu seine Dirigentin, die Temperament mit sauberster Arbeit zu vereinen weiß. Ein außergewöhnlicher Abend und eine Sternstunde der Bregenzer Meisterkonzerte!
Fotos: Udo Mittelberger
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