Ein Straflager durch die rosa Brille
Die Hausoper der Bregenzer Festspiele, Umberto Giordanos „Sibirien“ fand, anders als das „Spiel auf dem See“ tags zuvor, bei schönstem Wetter statt. Die zahlreiche Prominenz inklusive des Bundespräsidenten Alexander van der Bellen und seiner Frau Doris Schmidauer hats gefreut, und alle feierten am Ende die eindrucksvolle Produktion.
Nach Sibirien reist man nicht im Sommer, denn da sind die Mücken zu aggressiv. Auch „die alte Frau“, in Sibirien geboren und nun in Italien lebend, reist mit der Urne ihres Bruders durch schneebedeckte Landschaften auf der Suche nach ihren Wurzeln, und zwar 1992, wo es westlichen Menschen erstmals möglich war, individuell in Russland unterwegs zu sein. Diese „alte Frau“ (Clarry Bartha) hat Regisseur Vasily Barkhatov eingeführt. Mit Filmsequenzen in Schwarzweiß begleitet er sie auf ihrer Reise, an deren Ende sie, gleichsam mit ihren Eltern vereint, in den Schnee sinkt. Diese hinzugefügte Handlung tut dem Werk wohl, denn es krankt an seinem konstruierten Libretto. Nebenbei bemerkt, die wesentlich bessere Oper Giordanos mit Russlandbezug ist „Fedora“, welche die Bregenzer Festspiele 1993 im Haus zeigten. Um 1900 war Russland in Mode, doch jetzt ist die Zeit schwierig geworden für dieses Stück. Aber in Giordanos „Sibirien“ geht es nicht um Politik, sondern um eine Liebe zwischen einer reichen Kurtisane und einem Mann aus dem Volk. So sehr liebt die verwöhnte Stephana ihren Vassili, dass sie ihm in ein Straflager nach Sibirien folgt und dort mit ihm Kinder bekommt. Sibirische Straflager wurden und werden literarisch vielfach hart und grausam geschildert. Weniger hier, denn die italienische Sprache wie auch die echt schöne Musik Giordanos setzen dem Publikum gleichsam eine rosa Brille auf. Dazu inszeniert Barkhatov gesellige Runden in sauberer Kleidung, und schließlich gibt es ein Osterfest. So verlässt er immer wieder die Ebene der Realität, unterstützt durch den Bühnenbildner Christian Schmidt, der seine Innenräume in andere Wirklichkeiten öffnet. Wie schon bei Puccinis „Butterfly, so beglückten auch hier die Wiener Symphoniker, diesmal unter der klaren Zeichengebung von Valentin Uryupin, mit wunderbaren Klängen. Großartig singt Ambur Braid die anfordernde, sehr dramatische Partie der Stephana, während ihr Geliebter Vassili, gegeben von Alexander Mikhailov, stimmlich und im Spiel eher zurückhaltend wirkt. Beeindruckend ist Frederika Brillembourg als Nikona, und der in Bregenz mehrfach bewährte Scott Hendricks singt, zuweilen etwas raustimmig, den Bösewicht Gleby.
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