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Anekdoten in Verbindung mit Nikolaus Harnoncourt

Anekdoten

Nikolaus Harnoncourt ist bekannt für seine Anekdoten. Sabine M. Gruber, Mitglied des Arnold Schönberg Chores, hat sie sogar in Buchform veröffentlicht. Da ich selbst immer wieder die Gelegenheit hatte, bei Proben von Harnoncourt dabei zu sein, möchte ich hier einige Anekdoten beziehungsweise typische Geschichten hinzufügen, die meines Wissens bisher nicht die Runde gemacht haben.

Im Jänner 1989 durfte ich bei einer Orchestersitzprobe in Zürich für Mozarts Don Giovanni dabei sein, dank meiner Freundin Gabriele Sima, die die Zerlina war. Es war eine glänzende Besetzung: Edita Gruberova, Gösta Winbergh, Laszlo Polgar, um nur wenige zu nennen.

Die erste Geschichte: Nach etwa 20 Minuten Probe meldet sich einer der Blechbläser, die ja in diesem Stück wenig zu tun haben. Er meinte, er hätte bis dahin keinen Ton gespielt, und ob er eigentlich noch drankäme. Harnoncourt meinte ganz betroffen, aber vielleicht auch ein wenig ironisch: „Ach, dass ich Sie vergessen habe! Nächstes Mal bringe ich Ihnen ein Buch mit für einen solchen Fall. Zum Beispiel Die Brüder Karamasow, ein großartiger Roman. Kennen Sie ihn?“

Die zweite Geschichte ist dem Sinn nach wohlbekannt. Hier verlief sie so: Die fantastische Soloflötistin des Zürcher Opernorchesters, Maria Goldschmidt, spielte eine markante Stelle, leider weiß ich nicht mehr, welche. Harnoncourt unterbrach und bat sie, diese Stelle leiser zu spielen. Sie meinte: „Aber dann ist es ein Risiko“. Er darauf (und jeder Harnoncourt-Fan, weiß, was jetzt kommt): „Wunderbar! Musik ist am schönsten, wenn sie mit Risiko einhergeht.“

An dieser Stelle erzähle ich aus meiner eigenen Arbeit mit Harnoncourt. Das war in der Saison 1981/82 am Salzburger Landestheater. Es war ein Programm mit Henry Purcell, vor allem seine Oper Dido und Aeneas. Beim Tod Didos singt der Chor: „With drooping wings ye cupids come“, und da musste der Sopran polyphon auf einem g‘‘ einsetzen. Harnoncourt wollte diesen Gesang sehr zart, so sehr, dass mir immer wieder einmal die Stimme brach – nicht so schlimm, denn wir waren ja mehrere Soprane, etwa sieben. Aber ich schämte mich immer sehr dafür. Viel später begriff ich, dass Harnoncourt genau dies wollte: dass man am Rande des Versagens der Stimme singt, als wenn man weinen würde.

Da fällt mir dazu eine weitere Anekdote ein, die mir Eva Mei erzählte. Sie probte mit Harnoncourt Mozarts Figaro, die erste Arie der Gräfin. Diese ist bekanntlich am Anfang sehr traurig, weil ihr Mann sie hintergeht („Porgi amor, qualche ristoro“). Harnoncourt sagte zu Eva: „Sie müssen das singen, als hätten Sie die ganze Nacht geweint“. Eva darauf: „Und, was meinen Sie, schreiben dann die Kritiker?“

Nun eine kleine Geschichte, die mir der kürzlich verstorbene Günter Fetz erzählt hat, Vater einer Geigerin des Concentus Musicus Wien. Diese Begebenheit liegt schon eine Weile zurück, sie spielte sich ab, als Leggings in Gebrauch kamen. Da muss man zum einen wissen, dass Nikolaus Harnoncourt alles andere als modebewusst war, zum anderen muss man wissen, dass unter den Geigerinnen des Concentus welche waren, die besonders hübsche lange Beine hatten. Nun also: bei einer vormittäglichen Probe saß die Stimmführerin der zweiten Geigen in attraktiv gemusterten Leggings am Pult. Herr Harnoncourt probte, aber sah immer wieder irritiert in ihre Richtung. Schließlich nahm er sie in der Pause beiseite und raunte: „Um Gottes willen Anita, Du hast vergessen, Dich umzuziehen. Du hast ja Deine Pyjamahose noch an.“

Bei der Bühnenorchesterprobe zu Beethovens „Fidelio“ in Zürich Anfang der 1990er Jahre war das Schlussbild an der Reihe. Der Chor fing an mit „Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde“ Bei den Einwürfen der einzelnen Stimmen mit „Heil“ haperte es, die Sänger und Sängerinnen brachten diese hoch-präsente Attacke nicht zustande. Chordirektor Karl Kamper wanderte nervös im Parkett herum. Nicht nur ich dürfte bei dieser Probe zuhören, sondern es waren auch zwei junge Frauen mit einem Kleinkind drinnen. Auf dem Höhepunkt der Ratlosigkeit, wie mit dieser Stelle umgehen (Beethovens Anforderungen an Gesangstimmen sind ja berüchtigt!), fing das Kind lauthals zu krähen an. Die Mutter stürzte eiligst dem Ausgang zu, doch Nikolaus Harnoncourt drehte sich lächelnd zum Kind um und sagte dann zum Chor: „Hören Sie sich das an, so müssen Sie das singen! Einfach loslegen. Baaahh“ Alle lachten und die Stelle klappte, bei dieser Probe und auch in der Premiere.

Diese Begebenheit ist jetzt weniger humoristisch, aber bezeichnend für Nikolaus Harnoncourt geistige Haltung. Es war 1998. Zum zehnten Todestag von Jean Pierre Ponnelle rekonstruierte man am Opernhaus Zürich dessen Inszenierung von Mozarts „Lucio Silla“, in Bühnenbildern nach den Skizzen des Architekten Palladio. Harnoncourt dirigierte. Bei der Premierenfeier, die in Zürich wie immer auf der Hinterbühne im Beisein der Künstler wie auch des Publikums (jeder war eingeladen) stattfand, hielt Intendant Alexander Pereira – wie üblich – eine Rede mit Dank an alle Mitwirkenden. Als die Reihe an Nikolaus Harnoncourt kam, sage Pereira: „Das war so wunderbar, wir knien uns jetzt alle einmal vor Nikolaus nieder.” Ein Moment des verblüfften Schweigens, in dem man tatsächlich schon das Rascheln hörte, das anzeigte, dass sich mache zum Knien anschickten. Da rief Nikolaus Harnoncourt: „Nein, lassen Sie das, das ist ja blasphemisch!“

Es war in den frühen 1990ern, wo Nikolaus Harnoncourt sehr oft am Opernhaus Zürich dirigierte. An einem Abend hielt er einen Vortrag in einer großen Buchhandlung nahe der Bahnhofstraße. Dieser Vortrag verlief ziemlich locker, denn es meldeten sich von Beginn an Zuhörer, die Fragen hatten oder etwas beitragen wollten. Im Wesentlichen ging es an diesem Abend um die drei Da-Ponte-Opern Mozarts, und hier konkret um „Le nozze di Figaro“, was damals in einer rekonstruierten Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle in Zürich herauskam – Ponnelle war ja 1988 verstorben. Eine Dame aus dem Publikum meldete sich und wollte wissen, warum eine der Figuren gerade aus dieser Türe kam und nicht aus einer anderen – bekanntlich spielen Türen im ersten Akt dieser Oper eine nicht unwesentliche Rolle. Harnoncourt beantwortete die Frage. Bald darauf meldete sich die Dame erneut mit einer Frage, die Türen betreffend. Geduldig gab Harnoncourt die Antwort. Als diese Zuhörerin schließlich zum dritten Mal eine ähnliche Frage stellte, sagte Harnoncourt: „Liebe Dame, der Figaro ist nicht von Agatha Christie.“

Weitere Anekdoten folgen

 

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