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Grischa Asagaroff über Nikolaus Harnoncourt: wenn er in einer Saison mal nicht kommt, fehlt etwas

Grischa Asagaroff

 

Dieses Gespräch war eines der ersten, das ich zur Recherche für das Buch „Oper, sinnlich. Die Opernwelten des Nikolaus Harnoncourt.“ im September 2008 führte. Nämlich mit Grischa Asagaroff, dem damaligen Oberspielleiter der Zürcher Oper – es fand in seinem dortigen Büro statt. Herr Asagaroff, geboren in München, kam nach Tätigkeiten der Opernhäuser von München, Dortmund und Düsseldorf im Jahr 1979 nach Zürich, in der Intendanz von Claus Helmut Drese. Mit diesem ging er 1986 an die Wiener Staatsoper und kehrte 1991 zu Alexander Pereira an die Zürcher Oper zurück. Asagaroff inszenierte auch selbst, sowohl in Zürich als auch international.

 

A.M.: Herr Asagaroff, Sie waren Regieassistent bei den Monteverdi-Inszenierungen von Jean-Pierre Ponnelle?

G.A.: Erst bei den letzten, und nicht im ersten Glied. Ich kann damals erst aus Düsseldorf hierher, und die Gruppe, die den Monteverdi mit Ponnelle machte, war teilweise noch da. Ich bin da mit eingestiegen.

Als Assistent?

Nein ich war mehr der Spielleiter. Assistenz habe ich bei Mozart gemacht, bei Monteverdi habe ich mehr organisiert, ich war in Milano beim Gastspiel dabei, in Hamburg. Was in meiner Zeit neu war, war Ulisse, da war das Team von Poppea, ich im Hintergrund. Und dann kam das Madrigalbuch, was genial war, wo aber leider nichts erhalten ist, nicht einmal eine Bilddokumentation, von allem anderen gibt es ja Videos, DVDs. Eine Aufzeichnung scheiterte damals an den Forderungen einiger weniger Sängern, und ein Hausvideo gibt es auch nicht, das Videozeitalter begann dann erst (Anm.: Zürich – und sicher alle anderen Opernhäuser – stellt von jeder Produktion ein „Hausvideo“ her, das dann auch Sänger bekommen, die einspringen, oder man rekonstruiert damit Wiederaufnahmen).

Wer waren die Sänger?

Trudeliese Schmitt, Werner Hollweg, Peter Straka, die Truppe von Monteverdi halt….

Herr Asagaroff, wie sind Ihre Erinnerungen an die Arbeit von Jean-Pierre hier in Zürich?

Die sind fantastisch! Ich habe zuallererst den Orfeo in Hamburg gesehen, ich war einfach baff, den ganzen Zyklus habe ich dann in Milano gesehen. Poppea war etwas vom größten für mich, bis zu heutigen Tag. Es ist ja so wertvoll, dass diese Inszenierungen aufgezeichnet wurden!

Auch für die neue Generation!

(Intendant Pereira platzt herein und wird weggeschickt, Anm.)

Sie interviewen ihn schon auch?

Wir sind in Verhandlung (siehe das Interview mit Pereira auf diesem Blog, Anm.)

Harnoncourt ist ja einer der wenigen Kulturpreisträger in Zürich, er hat die Nägele Medaille erhalten und dann hat er ja diese Stiftung bekommen, die er jährlich verleihen darf.

Harnoncourt hat das Opernhaus Zürich groß gemacht und das Opernhaus ihn. Kann man das so sagen?

Schon, vielleicht sollte man besser sagen, dass er dem Haus nochmals einen Schub versetzt hat. Man soll nicht vergessen, dass die Zürcher Oper auch in den 1970ern einen gewissen Ruf hatte. Aber mit Monteverdi kam Zürich in eine andere Liga, das stimmt schon, und es kamen auch andere Sänger, das war so eine Einheit.

Und diese Gastspiele über ganz Europa und dann gleich die Fortsetzung mit dem Mozartzyklus, mit dem unbekannten Mozart, zuerst nämlich Idomeneo. Und da waren diese Jugendkrawalle. Die Oper wurde damals umgebaut, und der Stadtpräsident hat der Oper ein Gebäude auf der anderen Seeseite gegeben, das eigentlich der Jugend versprochen war. Damit begannen die Krawalle. Bei Idomeneo war ich voll mit dabei. Wir mussten die Arbeit abbrechen, denn sie haben uns die Sachen vor der Türe verbrannt.

Es sind ja damals Ziegelsteine geflogen.

Ja, hier war alles kaputt im Haus.

Und dann mussten wir zum Proben woanders hin, haben in den verschiedensten Sälen in der Stadt probiert.

Und wo war dann die Aufführung?

Schon im Haus, das war ja vor dem Umbau, der war erst projektiert. Es gab dann die Abstimmung, und die haben wir durch die Revolte erst eigentlich gewonnen, und das knapp: 1200 Plusstimmen sind wenig.

Dieser Idomeneo wurde ein Triumph, das war eine Mozart-Oper, die damals keiner kannte, nicht hier und auch in der Welt nicht. Es hat zwar der Karl Böhm nicht lange vorher einen Idomeneo in Salzburg gemacht, ich fand aber diese Aufführung furchtbar langweilig! Ich bin wirklich eingeschlafen!

Mit Ponnelle haben wir Idomeneo schon in Köln gemacht, und Gastspiele in San Francisco und Chicago. John Prichard hat dirigiert, er machte das Ganze auch schon interessanter als Böhm. Als Harnoncourt dann den Mozart dirigierte, war es nochmals neu, denn es war ein neuer Klang. Die Besetzung war genial: Werner Hollweg, Rachel Yakar, Trudeliese Schmitt….phänomenal!

Was war für Sie das Neue bei Harnoncourt?

Seine Klangvorstellungen, die er hatte, und die originalen Instrumente, die Prichard auch nicht hatte. Und wie Harnoncourt die Rezitative machte!

Böhm eben hatte da alles nicht, schrecklich langweilig! Plötzlich nun war es soooo spannend! Und Ponnelle hatte seine Ideen von Köln noch weiter ausgebaut hinsichtlich des Bühnenbildes und der Chorregie, großartig! Nur gab es die Diskrepanz, die auch jetzt aktuell wieder zur Sprache kam: er hat die Ballette am Schluss und zwischendrin nicht gemacht, Ponnelle war kein Ballettfreund. Er hatte früher als Kostum- und Bühnenbildern sehr viel Ballett ausgestattet, und dann was Schluss, in keiner Oper wollte er Ballett! Er hat in Köln auch den Orpheus von Gluck gemacht und hat selber den Chor choreographiert, wollte also da auch kein Ballett. Alles wurde vom Chor gemacht und auch hier bei Idomeneo, im Finale I.Akt und im Finale II.Akt gab es eine ungeheure Choreografie des Chores, aber wollte kein Ballett hereinnehmen. Und als es um den Schluss der Oper ging, die Chaconne, da sagte er zu Nikolaus: OK, wenn Du das willst, dann machen wir es, und alle hören zu. Und er ließ das ganze Ensemble an die Rampe kommen, die erste Reihe setzte sich hin, die anderen standen. Und die Musik wurde mit Strichen gespielt, nicht so offen wie in Graz – Pereira und ich waren in Graz drin, denn wir beabsichtigen die Aufführung zu übernehmen, aber das ist noch nicht fix, es war ja auch unser Ballett.

(Inzwischen wurde es fix, Februar 2010 kam Idomeneo nach Zürich. Dieser Idomeneo wurde in der Regie und dem Dirigat von Nikolaus Harnoncourt, in Zusammenarbeit mit seinem Sohn Philipp Harnoncourt, für die styrairte Graz 2009 erarbeitet. Anm:)

Ich habe ja auch den Wiener Idomeneo mitgemacht, worüber sich Harnoncourt gefreut hat, und ich habe auch in Wien Die Zauberflöte mitgemacht, die nicht so unter einem glücklichen Stern stand.

Sie waren mit Drese also in Wien?

Ja, und dieser Zürcher Idomeneo war so ein Erfolg, und daraus wuchs hier in Zürich als nächstes Mozarts Mitridate, wunderbar, genial, mit einer Besetzung die sie heute kaum noch bekommen, Rachel Yakar, Yvonne Kenny, Eric Tappy. Peter Straka, der ja so viel mit Harnoncourt gemacht hat…

Und dann Lucio Silla als dritte Mozartoper. Das sollte auch in Wien mit Harnoncourt kommen, doch er hat das dann abgesagt, es kam dann Arnold Östmann aus Drottningholm. Die Gruberova war sooo sauer über die Absage.

Das Orchester machte ja in Wien Probleme, die Philharmoniker waren nicht bereit für Harnoncourt. Mit Idomeneo ging es halbwegs, da hatten wir eine Einteilungsbesetzung im Orchester. Das einzige Mal wo Drese das durchsetzen konnte, dass die Dienste nicht gewechselt wurden, und das einzige Mal bis heute, so weit ich weiß. Bei der Zauberflöte dann gingen das ja schon los, dass es eher nicht den Vorstellungen von NH entsprach, und Lucio Silla hat er dann zurückgelegt. Gruberova hat das dann aber doch gemacht.

Wir habe es ja als Hommage für Ponnelle hier nochmals gemacht, 1998, da habe ich die szenische Einstudierung geleitet. Die Besetzung war nicht ganz so genial – die Gruberova zu ersetzen ist einfach schwer –  aber es hat Freude gemacht. (Gruberova hatte die Rolle der Giunia, die dann Ljuba Orgonasova gesungen hat, Anm.). Statt Eric Tappy war dann Reinaldo Macias, und da waren doch gewisse Unterschiede.

Aber ich war froh, dass das zustande kam.

Es gab zwei Sachen, wo ich als Regisseur mit Harnoncourt allein machte: das war auch noch Mozarts Figaro nach Ponnelles Tod aus Salzburg. Ponnelle wollte ja einen neuen Figaro für Zürich machen. Nach seinem Tod haben wir dann überlegt, Christoph Groszer war der Intendant, sein letztes Jahr. Ich sagte damals: schauen Sie, das Salzburger Bühnenbild ist riesig, aber man kann es verkleinern. Ich kenne die Inszenierung in und auswendig, traue mich das hier einzustudieren. Ich habe die Produktion auch in Wien betreut. Und dann kam es dazu und es war wirklich schön. Mit Hakan Hagegard oder Roberta Alexander oder die Lucia Popp, (beide waren vermutlich Gräfin, Anm.) Barbara Bonney und Anton Scharinger – Bonney und Hagegard waren damals noch ein Ehepaar. Und nicht zuletzt Bartoli als Cherubino, ihr großer Einstieg! Eigentlich ihr richtiges großes Debüt, und das war ungeheuer! Wie die mit dieser Art Löwenperücke auf dem Bett stand und die erste Arie sang, die Leute sind ausgeflippt. Die war damals 21, ungeheuer!

Den Figaro hatten wir dann lange im Repertoire gehabt, bis Pereira seinen eigenen haben wollte und der von Flimm kam.

Da kam ja zuvor noch Ponnelles Don Giovanni?

Da war ich mehr oder weniger schon in Wien. Aber vorher war noch die Cosi, die war großartig, denn die hat er ja entschlackt, und so wollte er auch den Figaro machen.

Ich kannte ja seine alte Cosi, habe sie in Amerika für ihn betreut. Doch die neue war technisch entschlackt, ganz schlicht, und sie war bildschön! Mit Ann Murray, Roberta Alexander, Gösta Winbergh und Thomas Hampson.

Und erstaunlicherweise Julia Hamari als Despina!

Die war unser Rossini-Star in Düsseldorf. Harnoncourt wollte immer eine ältere Sängerin und hat Hamari dann akzeptiert.

Er hat ja die Theorie, dass ein junges Mädchen garnicht so verrucht sein kann…

…ja und er wollte immer eine Mezzo, was funktioniert. Mit dem Claudio Nicolai als Alfonso zusammen war das toll. Wir haben diese Inszenierung ewig gehabt, alle gingen da durch, Rod Gilfry, Bo Skovhus, William Shimell, Alan Titus…

…und die Despina wurde immer jünger.

Ja sie wurde immer jünger, doch Hamari kam zurück, als sie schon als Lehrerin pensioniert war. Es waren aber dann auch die Nichiteanu und zuletzt Janková.

Die Zauberflöte war in der Ära Groszer. Da gab es Krach mit dem Orchester, was Ponnelle wiederum sehr sauer machte. Die Schlange mit den Kindern und auch Papageno agierten ja um das Orchester herum, doch die wollten das nicht, bis heute wollen sie sowas nicht. Die Umbauung des Grabens war noch bei der Premiere, wurde aber dann weggenommen.

Ponnelle hat sich dann von der Aufführung distanziert, und es wurde seine letzte Inszenierung am Haus, er starb ja dann. Mit Groszer konnte er nicht so gut…

(Ich erzähle von meiner Tochter, die in dieser Zauberflöte mehrere Jahre in der Kinderstatisterie war.)

Ich habe die Zauberflöte von Ponnelle oft in Salzburg gesehen, die war die beste, und in Köln war sie auch besser als in Zürich. Hier war die Situation wohl zu dieser Zeit nicht so für ihn.

Es war ein großer Fehler von Mortier, Die Zauberflöte von Ponnelle abzusetzen, man hätte sie als Salzburger Dokument belassen sollen. In Salzburg sind sämtliche Regisseure seither mit der Zauberflöte abgestürzt! Alle, ein Horror nach dem nächsten. Die von Ponnelle war die Musteraufführung der Zauberflöte, die man gut heute noch haben könnte! Jeder konnte hinein.

Mortier hatte ja die rechte Seite der Felsenreitschule, die Ponnelle einbauen ließ, wieder herausgerissen, schlimm! Ponnelle hatte da sein Herzblut.

In Salzburg hat man bei der 20jährigen Wiederkehr von Ponnelles Tod in diesem Sommer nicht eine Zeile der Würdigung gehabt für ihn, das sind ja alles seine Konkurrenten, auch Herr Flimm ist ein Konkurrent! Wenn man bedenkt, was für ein Theater momentan um Karajan gemacht wird! Gut Karajan ist Karajan…

…aber Ponnelle ist auch Ponnelle.

Ja klar, und die Presse! Früher griffen sie ihn an, dass er so manieriert sei, jetzt heißt es, hätten wir doch wieder einen Ponnelle. „Man müsste wieder Regisseure in Bayreuth haben, die so ernsthaft arbeiten wie Herr Ponnelle oder Herr Kupfer, oder Chereau oder Götz Friedrich.“ Eben solche, die auch was von Musik verstehen!

„La clemenza di Tito“ mit Johne Dew, haben sie den mitbekommen?

Nein da war ich mit Drese in Wien. Ich kam mit Pereira 1991 zurück.

Und da kamen hier in Zürich gleich die wunderbaren Produktionen von Fidelio und Freischütz.

Freischütz wird in der kommenden Saison wieder aufgenommen, leider ohne NH! Es ist die letzte Berghaus Inszenierung die wir hier in Zürich noch haben.

Harnoncourt und Berghaus haben sich richtig gut verstanden, er ging auf sie so ein und sie auf ihn, es war eine so gemeinsame Sache. Man hätte versuchen sollen das fortzusetzen.

Geht NH Ihrer Meinung nach grundsätzlich auf Regisseure ein?

Ja schon, er sagt das und diese das, es ergibt eins das andere. Und die Berghaus war musikalisch, auch ihr Mann. Sie war ja Tänzerin und Choreografin. Sie liebte es zu wissen, warum gibt es hier ein Piano und hier ein Crescendo. Wie Ponnelle, der immer mit der Partitur arbeitete. Sie haben das zusammen erarbeitet.

Da sollten Sie noch mit Gudrun Hartmann reden! Die hat das alles mit ihm gemacht. (Das Interview mit ihr ist in Kürze hier zu lesen, Anm.)

Und mit Marco Arturo Marelli hat er dann Schubert „Des Teufels Lustschloss“ gemacht.

Schubert liebte er ja! Ich fand Alfonso und Estrella besser, das Lustschloss mit Marelli war nicht so stark, man wusste nicht ganz wo es hinzielt, nicht von Harnoncourt, von der Szene meine ich das, ein bisschen gemischt zwischen Kitsch und Moderne. Es ist ein schweres Stück.

Und dann gab es das Gastspiel am Theater an der Wien, da hat mir Robert Holl erzählt, dass es da Probleme gab.

Ja, weil das Bühnenbild nicht hinein passte. Das ging fast nicht. Mit Lucio Silla hatten wir dort auch ein Gastspiel. Da hat die Feuerpolizei Probleme gemacht, die meinten, diese Prospekte entsprächen nicht den Bestimmungen. Die nahmen ein Stück zur Probe und das brannte und da hätten wir beinahe nicht spielen dürfen. Die Imprägnierung entsprach nicht den Wiener Bestimmungen. Gottseidank hatte Dr.Drese damals einen Draht zu jemandem von der Stadt, Zilk oder so jemandem.

Und Nikolaus wird ihnen bestätigen: ganz toll war das Gastspiel 1984 mit Idomeneo in Athen im Theater Herodes Atticus, das war ungeheuer. Ponnelle sagte, wir nehmen die vorhandenen Mauern, nehmen nur unsere Kostüme, unglaublich spannend, wunderbar. Wir spielten dort Ponnelles Carmen mit Baltsa und Carreras und eben den Idomeneo in der Premierenbesetzung, nur je eine Aufführung. Es waren 8000 Leute da, es war unglaublich.

Wie hat sich eigentlich das Opernorchester in Zürich mit Harnoncourt zusammengefunden?

Das fing damals mit Monteverdi an. Er hat nach und nach sein Orchester hingekriegt. Und unter Pereira wurde ja daraus das richtige Barockorchester. Früher waren das nur die Gewissen, die das wollten, und dann bildete sich „La Scintilla“. (Genauer zu lesen im Gespräch mit Erich Zimmermann, Anm.)

„La Scintilla“ sind doch nur Leute vom Opernorchester?

Nein, es sind ein paar Zuzüger dabei, und natürlich machen es auch nicht alle vom Orchester mit. Also eine gewisse Gruppe und einige von Außen.

 Und wie genau hat sich das gebildet, war das die Initiative von NH?

Nein, es kam aus dem Orchester heraus und von der Konzertmeisterin Ada Pesch. Die machen heute ein ungeheueres Geschäft. Sie zogen mit der Bartoli durch die Welt, und mit Minkowski und Christie, nur mit den beiden noch spielen sie, und jetzt haben sie Bellinis Sonnambula mit der Bartoli eingespielt, eben auch in der Originalfassung.

Und dann hatten wir ja den Fidelio 1992, eine wunderbare Aufführung! NH hatte ihn ja bis dahin nur konzertant gemacht, in Feldkirch bei der Schubertiade 1996, das habe ich gehört. (stimmt nicht, NH hatte Fidelio 1988/98 in der Inszenierung von Peter Palitsch an der Hamburgischen Staatsoper dirigiert, Anm.)

 Da hatte doch der Wolfgang Reichmann diese Erzählung von Walter Jens gelesen, an Stelle der Dialoge!

Ja, ich glaube sie haben recht! Apropos Reichmann! Diese Entführung aus dem Serail, wo Reichmann der Bassa war, war ja auch genial, diese Besetzung: Das war eine verschobene Premiere 1982, da wurde Ponnelle krank. Ich inszenierte stattdessen den Barbier.

Ponnelle hat den Bassa Selim in Verbindung zu Joseph II gebracht, so faszinierend! So hatte er es auch schon in Köln gemacht.

Und dann kam ja der Mozart-da Ponte-Zyklus mit Flimm, mit Flimm konnte NH ja gut, und die Inszenierungen waren gut, vor allem der Figaro war wirklich sehr, sehr gut. Es war dann eine neues Mozart-Ensemble, das auch Don Giovanni und Cosi fan tutte sang. Beim 2.Akt Giovanni fand ich das Bühnenbild seltsam, zu viel Metall auf der Bühne., manche bevorzugten dann den von Ponnelle.

Die Bartoli war die Elvira, hatte sich kurz vor der Premiere das Bein gebrochen und war dann mit Krücken auf der Bühne.

Und dann kam die Cosi, interessant aber ein bisschen schwieriger. Agnes Baltsa sang damals zum ersten und einzigen Mal Mozart mit NH, und die beiden fanden sich gut zusammen. Für sie war es ein „Gag“ wie sie sagte. Warum sollte sie die Despina singen? Sie hat wahnsinnig gelacht, wie wir ihr das angeboten haben, und meinte schließlich „Warum nicht“. Zu dieser Zeit sang sie Carmen, Fedora, immer noch Die Italienerin in Algier, das war schon lustig! Und er wollte sie als Orlowski…

…den sie ja am Theater an der Wien gemacht hat!

Hier leider nicht!

Und dann war doch noch dieser Zigeunerbaron!

Ja mit Jean-Louis Martinotty als Regisseur. Ich war damals mit Drese in Wien, aber ich habe gehört, dass es schwierig war. Doch was sich Harnoncourt gewünscht hatte, und der es für ihn gemacht hat, war der Rudolf Schasching als Zuppan. Ein Tenor als Zuppan und nicht ein Bariton, das hat bis dahin keiner gemacht, das war neu! Den Schasching liebt er ja, als Typ, den hat er weiter gezogen, er wollte ihn auch unbedingt als Monostatos.

Und er war in Graz im Idomeneo der Oberpriester.

Was diese Zauberflöte mit Martin Kušej angeht, da bin ich schon sehr erstaunt, dass NH dieses Konzept so verteidigt hat, gegen alle Angriffe, von denen es viele gab. Die Auslastung ist ja auch an der Grenze, viele wollen das nicht sehen. Kinder können nicht hinein, und er hat das soooo verteidigt.

 Ich habe letzte Woche mit Julia Kleiter geredet und sie hat mir erzählt, dass NH nach dem Ende der Serie sagte: „wir sind der Zauberflöte nie so nahe gekommen.“

Wie kann man es erklären, dass er diese Inszenierung so mochte?

Ich weiß es nicht! Vielleicht sieht er die Zauberflöte anders. Kušej ist ja musikalisch, arbeitet nicht gegen die Musik. das muss man schon sagen, aber er hat eine eigene Machoart, sich durchzusetzen. Und er ist sicher kein Freund von schönen Bildern. Auch sein Giovanni in Salzburg ist ja dergestalt, ich mochte ihn aber wesentlich mehr wie den jetzigen Salzburger mit dem Wald (von Claus Guth, Anm.). Auch NH war in Salzburg gut! Obwohl er nie so ankommt in Salzburg wie er hier ankommt, ich weiß nicht, liegt das an den Orchestern? Ich habe den Figaro mit Luc Bondy gesehen, mit Horostowsky, die Produktion hat mir übrigens garnicht gefallen, und da waren die Tempi sehr langsam, hier ist er schneller.

Die Leute fragen: warum hat er in Zürich so viel Erfolg und hier ist es ein Misserfolg? Ich sage dann, bei uns klingt es einfach anders, vielleicht liegt es an den Orchestern, oder am Ensemble? Das fragen die Leute schon, auch beim Figaro vor zwei Jahren in Salzburg.

Aber da kam er ja super mit der Netrebko zurecht. Er hat ihr ja sogar sagen können, welche Rolle sie zu singen hat.

Sie weiß was sie an ihm hat, er hat sie ja groß herausgebracht.

 Aber ich glaube sie werden zusammen nicht mehr so viel machen, denn vermutlich wird sie nicht mehr so viel Mozart singen in Zukunft

..und wer weiß wie lange wir ihn noch haben als Dirigent.

Ja sicher, aber wie schade! Jetzt in Graz beim Idomeneo, was da mit ihm für eine Kraft, eine Power am Pult stand – ungeheuer!

Bitte sprechen wir noch von den Produktionen an der Staatsoper in Wien!

Der Idomeneo war gut. Mit Regisseur Johannes Schaaf hat er sich auch gut verstanden. Der Schreier war der Idomeneo, Ilia, das war die Mary MacLaughlin, Delores Ziegler der Idamante… Bei Ion Hollender, Intendanten nach Drese in Wien, haben sie die ganze Produktion auseinandergenommen. Sachen gestrichen, die Arbace Arie z.B., und da fand ich schon die Lösung mit dem großen Barockballett am Ende sehr schön, auch barock choreographiert, allerdings nicht in der vollen Länge.

Gab es bei dieser Aufführung die Zwischenaktmusiken?

Nein die nicht, weil der Schaaf auch mit denen nichts anfangen konnte. Die hat er in Graz überhaupt zum ersten Mal gemacht.

Ich fand nicht so toll diese Poppea in Salzburg mit Flimm, 1993. Wir sind natürlich „geschädigt“ durch Ponnelle hier, aber da konnte ich damit kaum was anfangen.

 Also ich muss sagen, ich mochte sie. Womit ich Probleme hatte war die Poppea hier in Zürich…

Was heißt Probleme, die war scheußlich! Ich habe die zweimal angesehen und dann nie wieder. Nicht wegen NH, aber wir sind ja hier sooo verwöhnt!

Was macht man mit so einer Produktion, die eindeutig misslungen ist?

 

Wir haben sie sehr schnell abgesetzt, weg damit! NH wollte sie auch nicht mehr machen.

Die Großherzogin von Geroldstein von Offenbach war phantastisch! Erst in Graz dann hier bei uns, und die Belle Hélène, Gott war die gut! Da stimmte alles, Vesselina Kasarova, Deon van der Walt, und er im Orchestergraben mit seinem Charme. Wir haben es dreimal wiederaufgenommen und dann – ohne ihn natürlich – nach Israel verkauft.

La Perichole war auch gut, wobei Pereira sie nicht so mochte.

Sie sehen was er hier alles gemacht hat!

 Aber in Wien, da gab es dann Probleme?

Nicht bei Idomeneo, aber Die Zauberflöte ging schief.

Ich nenne den Namen nicht, aber ich weiß von einer Sängerin, dass er damals auch mit den Sängern so hart war, dass es ganz schwierig war.

Es gab halt Sänger, die ihn nicht gewohnt waren. Aber es stimmte hinten und vorne nicht, NH konnte mit Otto Schenk nicht. Da kamen zwei so Typen aufeinander…Drese hatte gedacht das wird klappen, eine Wiener Zauberflöte. Schuld war auch, man wollte den Michael Melby als Papageno, der kam frisch aus Dänemark, er war sehr gut, aber ein Wiener Papageno war er nun wirklich nicht! Auch das Bühnenbild, es hakte an allen Ecken und Enden.

Und dann das Problem mit dem Orchester, dass die immer wechseln und NH deswegen sauer war – und hat Schluss gemacht!

 Kam Cosi vorher?

Ich glaube ja!

 Und dann die Entführung mit dem Ehepaar Herrmann!

Ja das war für ihn ein Horror, die dauerte vier Stunden, mit den Texten von Herrn Tate dazu. Das zog sich wie ein Kuchenteig. Und  Harnoncourt konnte mit den Herrmanns nicht.

Die Besetzung der Konstanze mit der Aga Winska war auch nicht wirklich glücklich

Genau, und die Szmytka war drinnen. Es war das Ganze nicht so genial, eigentlich furchtbar.

Die Cosi war noch garnicht so schlecht. Aber wir wollten das ja neu machen, und dann hatten wir ja in diesem Jahr die Geldprobleme. Und da wurde uns eine Produktion aus London ganz gut geschildert, und dann kam die und war so eine Ikea-Dekoration – sah wirklich so aus. Besetzung war ok, Delores Ziegler als Dorabella…wer war eigentlich Fiordiligi?

Eva Johannson, nicht?

Ja genau, die große Eva, die jetzt Wagner singt, unsere Brünnhilde im Ring momentan.

Aber auch da waren die Wechsel im Orchester.

 Mit Johannes Schaaf hat er ja hier in ZH die Aida gemacht.

 

Ach ja richtig! Die war natürlich auf beiden Seiten schwierig, denn NHs Lesart ist ja schon eigenwillig. Fragen Sie mal die italienischen Dirigenten, was die davon halten! Mein Gott, haben die sich aufgeregt!

Die Bühne war ja auch besonders, die moderne Deutung, der brennende Bus, doch es war eine interessante Arbeit. Und NH ist da voll eingestiegen, hat ja extra die Fanfaren für den Triumphmarsch in Basel machen lassen, er wusste genau was er wollte. Und dann machte er ja eine Aida CD mit den Wiener Philharmonikern (Für die die Schreiberin dieses Blogs einen Bookletbeitrag verfasst hat, Anm.)

Und dann kam die Schumanns Genoveva, die war genial, und ein riesiger Erfolg. Das dachte man nicht, aber Kušej war nicht so extrem wie sonst, nicht wie bei der Zauberflöte. Und dann kommt noch The Rake‘s Progress von Strawinski mit den Beiden.

 Warum glauben Sie, mögen sich die Beiden so?

Ich weiß nicht, vielleicht die beiden Österreicher, ein Kärntner, ein Steirer. Und dann braucht NH die Musikalität, und die hat der Kušej. Und dem NH ist eine harte extreme Sichtweise lieber als eine verspielte.

(Martin Kusej hat eine Erklärung dafür, siehe das Interview mit ihm, Anm.)

Es hätte mit Johannes Schaaf gut gehen können, denn der ist hoch musikalisch, spielt besser Klavier als viele Repetitoren. Doch vermutlich nahm NH dem Schaaf diese Wiener Cosi übel.

Und ganz schön war Schuberts Alfonso und Estrella, doch es hat keine Wellen geschlagen. Mehr Publikumserfolg hatten wir mit dem Fierrabras mit Welser-Möst. Bei Schubert hält sich das Publikum zurück, aber Genoveva war immer voll.

Harnoncourt hat das Haus ja wirklich geprägt, nun schon in der dritten Intendanz. Wenn er ein Jahr mal nicht da ist, fehlt was.

Il trionfo del tempo e del disinganno von Händel? Warum kam er nicht?

Er war krank, aber zuerst war die Armida von Haydn geplant. Nikolaus hat uns die Produktion abgesagt.

Die Dekorationen waren fertig, wir standen mit dem Rücken zur Wand. Da sagte Flimm: wir gehen in Klausur mit Frau Hartmann und Frau Dietrich! Und dann sind sie gekommen und haben dieses neue Stück gebracht, Marc Minkowsky hat dirigiert, es wurde ein Publikumserfolg. Drei Wiederaufnahmen, jetzt geht es nach Madrid.

 Da hat in der Premierenfeier Minkowski nur einen einzigen Satz gesagt: „Ich verdanke alles Harnoncourt“. Wissen Sie da was Näheres?

Nein, nicht. Ob er das wegen der Produktion gemeint hat oder allgemein als Vorreiter der Alten Musik, weiß ich nicht. Ich habe keinen so engen Kontakt zu ihm.

 

Verändert sich die Atmosphäre, wenn NH im Haus ist?

Er verbreitet eine sehr angenehme, wenn auch professionelle Atmosphäre. Er weiß genau was er will, und das muss stimmen, das ist klar, die Besetzungen werden diskutiert.

Und bei den Aufführungen, die Sänger singen so gerne mit ihm, er atmet mit, er spricht mit, er schaut mit. Und das Orchester liebt ihn, denn er erklärt die Sachen, quasi jeden Takt. Da sind andere schon gestürzt drüber, die das nicht können. Er hat das Orchester sozusagen „verdorben“, weil die wissen, wie man ein Werk erklärt.

Er erzählt ja auch dem Orchester die Handlung, was nicht selbstverständlich ist.

Und das mit seinen eigenen Worten, was oft sehr komisch ist. Und er erklärt in der Musik Sachen, dabei erfindet er selber was und da kann man sich sehr amüsieren. Das ist für das Orchester schön, und wenn dann einer kommt der nur heruntersagt: bitte besser intonieren, das reicht ihnen nicht.

Und die Rezitative, er leitet jedes Rezitativ, keines läuft ohne seinen Finger.

 Und dann der hoch gefahrene Graben!

Ja das hat er gemacht. Das war bei Monteverdi, da waren alle Musiker sogar im Kostüm, und bei Mozart war es noch im Kostüm am Anfang, Silla, Mitridate, Idomeneo. Dann wurde es gelassen, das kostet ja auch extra Geld. Und wenn Harnoncourt sich verkleidet, hat er Spaß damit. Haben Sie gesehen: Bei Geroldstein war er in Uniform. Und er spielt ja mit, bei der Zauberflöte hat er immer das „Zurück“ gerufen oder spielte die Flöte, bei Hélène tanzte er am Ende oben mit beim Cancan, bei jeder Aufführung. Er verbreitet immer ein gutes Klima.

Herrn Asagaroffs Telefon klingelt, Eva Wagner-Pasquier, frischgebackene Chefin aus Bayreuth ist dran und erfragt einen Rat wegen Chorsolistengagen. Damit war der sachbezogene Teil des Gespräches zu Ende, ich bekomme dann noch den Tipp, Herrn Zimmermann, Fagottist des Orchesters, zu interviewen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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