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Mit Nikolaus Harnoncourt: Dido und Aeneas am Salzburger Landestheater

 

Diesen Text habe ich geschrieben für das Buch „Oper sinnlich“ – er fiel, wie vieles, dem Rotstift zum Opfer. Darum sei er wenigstes hier veröffentlicht. Ich war damals festes Mitglied in Chor des Landestheaters Salzburg und habe diese Produktion also nahest möglich mitgemacht. Es war meine erste intensive Begegnung mit Nikolaus Harnoncourt. Und ich kann sagen, sie hat mein Denken und mein Erleben von Musik von Grund auf geändert.

In den Jahren 1981 bis 1986 war Federik Mirdita Intendant des Landestheaters Salzburg. Er fand bei seinem Antritt ein Ensemble in gutem Status vor, das vor allem im Bereich der Gesangssolisten und des Chores durch den musikalischen Leiter der vorigen Ära, Leopold Hager stark verjüngt und optimiert wurde. Federik Mirdita ist ein Freund von Nikolaus Harnoncourt bereits aus Schulzeiten und ist es all die Jahre durch geblieben. Er hat den Concentus Musicus vor allem in seinen Anfängen durch Rat und Tat begleitet und hat die erste Operninszenierung mit Harnoncourt und dem Concentus gemacht, Monteverdis Il ritorno di Ulisse in partia im Theater an der Wien.

Nun sollte also im Oktober 1982 und – als Wiederaufnahme – im Februar 1983 ein Henry Purcell gewidmeter Abend mit dem Titel Orpheus britannicus gezeigt werden, eine szenisch nahtlose Abfolge also einer seiner Masques und dann seine Oper Dido und Aeneas, mit Herrn Mirdita als Regisseur und Herrn Harnoncourt als Dirigent.

Federik Mirdita (wikimedia)

Es braucht kaum der Erwähnung, dass ohne die Freundschaft mit Mirdita Nikolaus Harnoncourt nie und nimmer am Salzburger Landestheater dirigiert hätte, obwohl er damals ja Professor am Mozarteum und an der Universität war. Herr Harnoncourt war sicher der mit Abstand bedeutendste Dirigent, der je am Pult dieses Theaters stand – einmal abgesehen von Gustav Mahler, der in diesem von Fellner und Helmer im neobarocken Stil erbauten Haus im Mozart-Jahr 1906 in einer sommerlichen Festwoche die Oper Die Hochzeit des Figaro dirigierte. Doch nicht die Arroganz, die das Ensemble oft von viel weniger kompetenten Dirigenten erleben musste, legte Herr Harnoncourt an den Tag. Vielmehr lud er schon in den Sommerwochen zuvor den Chorleiter Karl Kamper zu sich nach Hause ein und besprach mit ihm seine speziellen musikalischen Vorstellungen, und zudem – was in den insgesamt neun Jahren meiner Angehörigkeit zu diesem Chor nie ein Dirigent davor und danach getan hatte – kam Herr Harnoncourt zu uns in den Chorsaal und probte volle eineinhalb Stunden mit uns die Chorpartie, die ja in Dido und Aeneas sehr umfangreich ist. Besonders haften geblieben ist mir sein Umgang mit den langen angehaltenen Noten, die er wie „Glockentöne“ haben wollte. Also mit einem starken Beginn, wie wenn man eine Glocke anschlägt, und dann einem Ausklingen. Der Sinn dieses Artikulationsweise liegt auf der Hand: andere Stimmen die sich parallel zu diesem langen Ton bewegen, können besser gehört werden, der Satz wird transparenter. Herr Harnoncourt verbrachte sogar mit uns zusammen die Pause und interessierte sich für unsere speziellen Arbeitbedingungen in diesem Dreispartenhaus.

Bei den szenischen Proben war Herr Harnoncourt so gut wie immer zugegen, und vor jedem Probenbeginn ging Herr Mirdita in den Zuschauerraum und begrüßte eine schlicht gekleidete Dame. Es war Frau Alice Harnoncourt, die alle Proben von dort aus verfolgte. Wie stets bei Mirdita wurde sehr ernsthaft, ja man kann sagen, trocken, gearbeitet, doch das Ergebnis war wunderbar. Die Masque und die Oper Dido und Aeneas gingen ineinander über; erstere war ein Fest zu Ehren des trojanischen Helden am Hof der Königin Dido von Karthago. Dieses Fest war geprägt von üppigen barocken Kostümen – in meiner hoch getürmten Perücke befand sich etwa ein kompletter Vogelkäfig – und Tanz. Und Tänze bestimmten auch die viel schlichter gestaltete Oper nachher, so dass sich Mirdita und seine Ausstatter Hans Hoffer dazu entschlossen hatte, den gut 20köpfigen Chor in die Proszeniumslogen zu stellen und auf der Bühne das Ballett agieren und eben tanzen zu lassen. Harnoncourt ist es wichtig, dem Publikum das tänzerische Element sinnlich erlebbar zu machen. Das wurde klar bei seiner eigenen Inszenierung des Idomeneo 2008 in Graz, und er filtert ja der selbst aus den Kantaten von Johann Sebastian Bach Tänze heraus.

Auch wie Harnoncourt mit den Solisten arbeitete, war immer wieder frappierend. Da gibt es etwa im zweiten Bild ein Duett zweier Hexen. Die beiden Sängerinnen Jo Ella Todd und Jane Edwards sangen das sehr hübsch, aber ein wenig brav. Herr Harnoncourt meinte dann: „Denken Sie einfach Jazz, tanzen Sie dabei!“ Und die beiden schwangen die Hüften und ihr Gesang klang plötzlich so spannend! Als Aeneas war der erst dreiundzwanzigjährige Anton Scharinger besetzt. Er hatte damals schon alle jene Qualitäten, mit denen er später als einer der ersten seines Faches weltweit glänzte: seinen wunderbar warmen Bariton und eine durch und durch authentische Ausstrahlung auf der Bühne. Unvergessen ist der Schluss der Oper, als der leibhaftige Tod die vor Kummer um den Weggang des Aeneas sterbende Dido umarmte und durch die Wolken ins Jenseits trug. Der Chor sang dazu sein „With drooping wings Ye cupids come“, und den allerersten Einsatz wünschte Herrn Harnoncourt so zart, dass stets bei der einen oder der anderen Sopranistin der Ton brach. Erst später wurde mit klar, dass das genau das war, was er wollte, denn er sagt ja immer wieder, dass sie Musik umso schöner, ja berührender ist, je näher sie am Risiko ist.

Erstaunlich war, dass Herr Harnoncourt diese barocke Oper, die er später mit seinem Concentus musicus Wien auf Platte eingespielt hat, mit dem Mozarteum Orchester auf deren herkömmlichen Instrumenten musizierte. Allerdings verlangte er bestimmte Stricharten von den Violinen, die einige von ihnen nicht gerne ausführten, da sie der Schulmeinung widersprachen. Es war bewundernswert, wie souverän und ruhig, aber dennoch beharrlich Herr Harnoncourt mit diesen Widerständen umging.

Diese erste Opernproduktion Herrn Harnoncourts in Salzburg blieb nicht ohne Folgen. Federik Mirdita erzählte, dass Herbert von Karajan, damals omnipotenter Chef der Salzburger Sommer- und Osterfestspiele, ihn mitten in der Nacht angerufen habe und ihm Vorwürfe gemacht habe, dass er Harnoncourt nach Salzburg geholt hatte. Karajan hatte ja Harnoncourt während seiner ganzen Wirkungszeit in Salzburg systematisch verhindert. Andererseits fiel durch diese Produktion der damals wirklich hervorragende Chor des Landestheaters positiv auf. Herr Harnoncourt, der sich – wie wir nachher erst erfuhren – zuerst geweigert hatte, mit einem „normalen Opernchor“ zu arbeiten, zeigt sich begeistert, ebenso Claus Helmut Drese, der eine Vorstellung besucht hatte. Er holte den Chorleiter Karl Kamper nach Wien an die Staatsoper, und die Politik fragte bei Karajan an, warum er kostenintensive Chöre aus Wien hole, wenn am Ort so ein guter Chor wäre. Nach mehrmaligem Vorsingen war Karajan dann bereit, den Chor des Landestheaters vor allem in seine Osterfestspiele einzubinden. Und in den Sommerfestspielen war eine szenische Aufführung des Ensembles des Salzburger Landestheaters von Händels Jephta in der Kollegienkirche mehrere Jahre lang erfolgreich im Programm.

Ich darf diesen Blog-Eintrag mit einem persönlichen Erlebnis schließen. Ich glaube, es war Ostern 2011, wo unsere Tochter Aglaia Mika an einer Aufführung im Ca‘ Rezzonico in Venedig als Solistin mitwirkte, und es war wieder die Oper Dido und Aeneas von Henry Purcell. Mein Mann und ich waren für die Aufführungen angereist und warteten am Abend zuvor in einem Restaurant auf unsere Tochter, die noch Probe hatte. Da hörte ich wenige Tische weiter Österreichisch sprechen. Ich sah hin und glaubte zu träumen: da saß Karl Kamper, der Chordirektor, unter dessen Leitung ich in Salzburg genau diese Oper gesungen habe. Gibt es Zufälle?

 

 

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