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Sankt Gallens neue Traviata

In dieser Spielzeit bietet das Theater Sankt Gallen Neudeutungen bekannter Opern an, vor allem aus Frauensicht. Nach einer eher gelungenen „Zauberflöte“ durch Regisseurin Guta Rau im letzten Herbst kann man nun Verdis „La Traviata“ erleben. Szenisch wurde Die Neuproduktion betreut von Regisseurin Nina Russi und ausgestattet von Julia Katharina Berndt, mit bedauerlicherweise recht fragwürdigem Ergebnis. Jedoch ist die Freude an der Musik und den Stimmen ungetrübt, in der übrigens hervorragenden Akustik des “Umbau”.

Bei dieser „Traviata“ macht man am besten die Augen zu, oder man sollte sie konzertant geben. Denn zu hören gibt es Allerbestes. Die drei Hauptrollen sind glänzend besetzt. Vuvu Mpofu als Violetta führt ihren wunderschönen Sopran souverän und flexibel. Sie ist fähig, in ihrer Stimme das ganze Gefühlsspektrum dieses Frauenschicksals spürbar zu machen. Ihr Liebhaber Alfredo überzeugt mit seinem souveränen Tenor, wie auch Vater Germont mit dem Bariton Kartal Karagedik hervorragend besetzt ist. Purer Wohlklang, aber auch dramatische Wucht kommt aus dem Orchestergraben. Unter dem Dirigat von Modestas Pitrenas wird also fabelhaft musiziert und gesungen, auch vom Chor des Theaters.

Nun sollte eigentlich, so hatte ich es ursprünglich geplant, eine ausführliche Besprechung dessen folgen, was mir szenisch missraten erschien. Doch tagelang gelang mir das nicht. Zu stark liegt über allem das Bewusstsein, dass in einem anderen Theater in Europa am Tag der Premiere der „Traviata“ in Sankt Gallen dreihundert Menschen zu Tode kamen, die dort vor den Bomben eines wahnsinnigen Diktators Schutz suchten, vielleicht in der Annahme, dass ein Theater noch am ehesten ein Ort der Kultur ist, vor dem die Soldaten eines anderen Volks, das wahrhaftig eine große Kulturnation ist, Respekt haben könnten.

Unsere Theater hingegen können es sich leisten, auch einmal einer jungen Regisseurin für ihre neuen Ideen ein Experimentierfeld zu bieten – und leisten meine ich da durchaus auch monetär, denn so eine Opernproduktion kostet. Und das Publikum kann so frei sein, sich in der Pause, vielleicht bei einem „Chüpli“, lustig zu machen über die schrägen Ideen der Regie oder das „von Hornbach gesponserte“ Bühnenbild.

Es würde dem ukrainischen Volk nicht helfen, wenn wir unser Theaterleben aufgeben würden und mit ihm mitleiden würden. Im Gegenteil, es hilft, stark zu bleiben und den Gegenentwurf zu leben, den Gegenentwurf zu Lügen, Hass und Zerstörung, der sich ausdrückt in Schönheit, Großzügigkeit, Toleranz und mitmenschlicher Wertschätzung.

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