Die Zusammenarbeit des Dirigenten Teodor Currentzis mit dem Regisseur Romeo Castellucci für Wolfgang Amadé Mozarts Don Govanni fanden mein Mann und ich so spannend, dass wir uns zum Besuch der Aufführung bei den Salzburger Festspielen entschlossen. Wir wurden nicht enttäuscht, denn wir erlebten eine höchst ungewöhnliche Version dieser oft gespielten Oper (ich habe sicher schon mehr als zehn verschiedene Inszenierungen des Don Giovanni gesehen), die uns insgesamt zutiefst beeindruckt hat, aber dennoch einige Fragen aufgeworfen hat.
Beim Erleben dieses Don Giovanni ist man gut beraten, wenn man alles vergisst, was man über diese Oper je gehört oder gelesen hat. Aber auch Menschen, die die Handlung nicht oder nur teilweise kennen, haben diese Aufführung anders erlebt als eine herkömmliche Oper. Denn hier wird das Gegenteil von dem abgewickelt, was man in guter englischer Regietradition das storytelling nennt. Bewusst wird keine Geschichte erzählt, sondern das Publikum erlebt eine Reihe von Bildern, Großteils wunderschön, aber immer wieder auch verstörend, aufwühlend, vielleicht gelegentlich sogar witzig gemeint. Natürlich sind diese Bilder nicht nur ein ästhetisches Ereignis, sondern haben eine Aussage, wenn etwa noch vor dem Beginn der Ouvertüre aus dem großen weißen Kirchenraum, der die ganze Zeit über das Bühnenbild ist, alle Andachtsgegenstände entfernt werden. Oder wenn beim Friedhofsbild im zweiten Akt schwarz gekleidete Frauen ihre Haare wie Klageweiber schütteln, oder wenn Don Giovanni sterbend sich in der alles beherrschenden weißen Farbe suhlt, um in seiner Umgebung unterzugehen. Oder wenn die einhundertfünfzig Frauen, die sich im zweiten Akt fast ständig auf der Bühne bewegen, Donna Anna schützend umringen, als diese in der wunderbaren Arie Non mi dir ihre Gefühle verteidigt. Und da sind wir bei der Musik und den Sängerinnen und Sängern, die, der so profilierten Regie zum Trotz, das Ereignis der Aufführung sind. Die gerade erwähnte Donna Anna wird von Nadezhda Pavlova gegeben, einer Sängerin zum Niederknien, die die Arie Non mi dir so dermaßen schön gesungen hat, wie man es sich bis dahin nicht vorstellen konnte. Überaus beeindruckend singt auch Federica Lombardi die Donna Elvira, eine vollklingende Stimme und intonationssicher in den schwierigen Koloraturen der Arie Mi tradí quel’alma ingrata. Anna Lucia Richter hat sich, seit ich sie vor mehreren Jahren in der Schubertiade Schwarzenberg gehört habe, fabelhaft entwickelt und gibt eine optisch wie stimmlich bezaubernde Zerlina. Von den Herren ist zuallererst Michael Spyres als Don Ottavio zu nennen. Es entspricht jedoch weder dem Charakter seiner Figur noch seinem wirklich herausragend schönen Gesang, dass er mit allerlei Kostümfirlefanz lächerlich gemacht wird. Und warum muss gerade bei der himmlischen Arie Dalla sua pace ein Pudel mit auf die Bühne kommen, der die Aufmerksamkeit auf sich lenkt und somit von der Musik wegzieht? Don Giovanni Davide Luciano und Leporello Vito Priante, beide tadellos singend, sind in dieser Regie von Beginn an bewusst so ähnlich, dass man sie verwechselt. Die Szene, wo das in der Handlung wirklich geschieht, wird somit, wie vieles, verwischt. Mika Kares als Komtur und David Steffens (letzterer übrigens aus Bad Reichenhall stammend und am Salzburger Mozarteum ausgebildet) beeindrucken jeweils mit klangvollem Bass. Teodor Currentzis am Pult hat Orchester und Bühne den ganzen Abend lang bestens in der Hand. Mit seinem Orchester MusicAeterna musiziert er ungemein spannungsgeladen, mit teils überraschend lebhaften Tempi, teils traumverloren entrückt und immer getreu der Partitur. Wie die Regie verweigert auch er den kontinuierlichen Sog, den man in diesem Werk durchaus entdecken könnte. Es gibt Pausen zwischen den Nummern, ungewöhnlich ausgedehnte Rezitative (ein Bravo der Hammerklavierspielerin) und sogar eingelegte Musikstücke. Das ist legitim, denn auch Mozart hat für neue Aufführungen Veränderungen vorgenommen, es irritiert aber doch die Hörgewohnheiten und dehnt die ohnehin lange Aufführung.
Noch viel wäre zu erörtern an dieser Produktion, etwa die vielen Zitate der Regie aus der Kunst- und Kulturgeschichte. Unbedingt zu erwähnen ist aber, dass Regisseur und Bühnenbildner Romeo Castellucci die riesige Bühne gemeistert hat, die eigentlich für das Werk völlig ungeeignet ist. Nicht umsonst hat man ja im Salzburger Festspielbezirk an die Stelle des früheren Kleinen Festspielhauses ein Haus für Mozart gebaut. Spannend bleibt, ob Teodor Currentzis und Romeo Castellucci ihre Zusammenarbeit fortsetzen.
(Foto Salzburger Festspiele Ruth Walz)
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