Das folgende Gespräch fand im Hotel Weitzer in Graz statt, im Sommer 2009, nach der Generalprobe zu George Gershwins Porgy and Bess, deutsch und englisch gemischt.
Frau Alexander, wie kam es zu Ihrer Mitwirkung bei Porgy and Bess?
Vor einem Jahr hat Nikolaus Harnoncourt mich angerufen, mich zu sprechen. Seine Frau und er hatten ein kleines Appartement gemietet im Amsterdam, weil sie ein Konzert dort hatten, und ich lebe ja in Holland. Wir haben uns getroffen und sie haben mir erzählt von dem Projekt Porgy. Ich brauchte ein, zwei Tage, um nachzudenken, denn ich habe alle drei Sopranpartien in dem Stück gesungen, aber niemals Maria, die ist ja ein Mezzosopran. Zuerst hatte ich ihm gesagt: ich bin doch kein Alt! Das wusste Harnoncourt natürlich, aber er hat dann gesagt: ich will sie als Persönlichkeit in genau dieser Rolle. Und das war die ganzen Jahre, in denen ich früher mit ihm gearbeitet habe so, dass er eine ganz bestimmte Persönlichkeit für eine ganz bestimmte Rolle wollte.
Zum Bespiel die reifere Mezzosopranistin Julia Hamari als Despina in Cois fan tutte!
Das war wunderbar, sie war genau die richtige Persönlichkeit für diese Rolle. Normalerweise ist da ja eine so dümmliche Partie, man denkt dauernd, warum? Warum tut sie das und jenes, was beabsichtigt sie? Und diese Rolle ist ja sehr wichtig für dieses Stück. Aber das war natürlich auch Ponnelle!
Ihre Gedanken zu Gershwins Porgy?
Ich habe nie Maria gesungen, aber Bess, ich habe eine richtige Produktion gemacht an der Met, es war dort das erste Porgy and Bess 1985, mit Simon Estes, Baker als Crown, es waren fast dreißig Vorstellungen. Aber konzertant habe ich oft und oft die Suite gesungen. Da gibt es einen Sopran, eine Tenor, einen Bass, und wir sangen alle die verschiedenen Partien. Das habe ich hunderte Male gesungen. Doch die Maria habe ich nur gehört, und das vor fünfundzwanzig Jahren.
Was meinen Sie, hat Harnoncourt den Zugang gefunden zu Gershwin? Hat er das Werk gut gemacht?
Es ist so toll!! Wie immer bei ihm, ist auch hier die Musik wirklich heilig, nichts anderes, kein Ego, nur das Werk. Es war nie anders!
Das Orchester war umwerfend gut. Aber wie kamen die anderen Sänger, fast alles Farbige aus den USA, mit ihm zurecht?
Sie haben nie zuvor mit ihm gearbeitet, sie mussten sich an seine spezielle Dirigiertechnik schon gewöhnen (schmunzelt).
Harnoncourt ist eine derart intensive Person, und das blieb er über alle die Jahre. Ich erlebe ihn wie eine Schlange. Wenn sie sich aufrichtet, sieht man nur noch sie. So ist es auch bei Harnoncourt, man vergisst alles um sich herum, die anderen Leute die da sind, existieren nicht mehr, nur noch er.
Wir hatten einmal ein Konzert in Wien, mit Telemanns “Ino“, die letzte Kantate von Telemann, eine dreiviertel Stunde nur Orchester und Sopran – es wurde später auch aufgenommen. Und während des Konzertes habe ich mich gefühlt, als wären er und ich auf einer Insel, niemand sonst war da. Als es vorbei war und der Beifall kann, kam ich wie aus einer anderen Welt zurück. Das war eines der eindrucksvollsten Erlebnisse meiner ganzen Karriere.
(Wir reden über die mythologische Figur Ino)
Da war damals wie bei Porgy auch, er kümmert sich bei jedem Werk um alle Dinge, er weiß, warum eine Figur tat, was sie tat. Studierte alles darum herum. Bei Porgy war es so, dass er uns Sachen sagte, die wir noch nicht wussten, dabei hatten viele im Ensemble das Stück oft gemacht. Doch auch wir konnten ihm Dinge, sagen die er nicht wusste…
Ich erlebe ihn wirklich als ein Genie, und ich bin mir stets bewusst dass ich hier mit einem genialen Menschen arbeite. Aber innerhalb seiner Genialität nimmt nie sein immenses Wissen überhand, denn im Moment der Musik kommt alles direkt aus dem Herzen. Er hat alles im Kopf, doch im Moment der Musik spielt der Kopf keine Rolle mehr. That’s it!
Das erleben Sie nicht mit anderen Dirigenten?
Nein, nein, wirklich nicht. Es gibt niemand wie Nikolaus!
Er nahm mich auch stets ernst, nicht als Stimme, sondern als Persönlichkeit. Alice sagte mir eines Tages: die Persönlichkeiten mit denen wir wirklich arbeiten wollen, die können Sie an einer Hand abzählen: das bist Du, das ist Ann Murray und noch ein paar. Das tat natürlich gut zu hören.
Der Korrepetitor George D, er ist wirklich der Anker. Er hat so gut wie jede Porgy-Produktion seit 1976 gespielt. Ich sagte zu Nikolaus Harnoncourt: Sie müssen genau ihn gewinnen, er weiß alles über Porgy und über Musik. Ich habe auch geholfen, die anderen Sänger und Sängerinnen auszusuchen. Ich bekam von Harnoncourt eine Liste, und ich sagte dann, diesen schon, diese eher nicht, so lief das. Und ich habe auch mit dem Chor an der Sprache gearbeitet.
Sie (der Arnold Schönberg Chor, Anm.) sind entzückend. Ich habe im Theater an der Wien mit ihnen die Opernfassung von „Dead Man Walking“ gemacht, damals war ihr Englisch nicht gut. Nun war es mein Job, sie idiomatisch klingen zu lassen. Wir hatten eine wunderbare Zeit zusammen.
Sind sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Es gibt noch was, woran wir arbeiten müssten, aber 90% waren ziemlich gut. Sie sind halt gewöhnt homogen zu singen, ins Ich konzentriert zu agieren. Aber hier müssen sie aus sich heraus gehen, überborden.
Ich unterrichte auch, am Konservatorium in Rotterdam, habe sehr gut Schüler. Und habe private SchülerInnen, junge professionelle, mit denen arbeite ich sehr gerne. Und bin im Operstudio in Den Hague und Amsterdam. Aber am liebsten singe ich selbst, und ich bin froh, dass mein Instrument noch gut mitmacht.
Wie sehen Sie den Charakter der Maria?
Sie ist die Älteste oder vielleicht eine der Ältesten, sie hat ein Geschäft in der Catfish Row, hat also eine Position innerhalb dieser Gesellschaft, „no nonsense women“. Sie hat ein Herz für Porgy – nicht jeder liebt Porgy wirklich. Aber man schaut auf ihn, und als er sagt, er möchte mit Bess leben, dann ist es für sie auch ok, dann toleriert sie es auch. Denn Maria mag den Porgy. Aber als Bess ihn verlässt, ist es auch mit Marias Sympathie zu ihr vorbei.
Meine Großmutter war eine solche Persönlichkeit: sehr stark, klein, und sie konnte einem aufhalten mit einem einzigen Blick. So habe ich auch die Maria angelegt. Mit einem ganz großen Herzen.
Und Serena, das ist die Religiöse?
Alles geht bei ihr um Gott. Eine ganz andere Persönlichkeit. Sie ist auch sehr stark, stark in ihren Ansichten, stark in der Religion, aber sie ist zugeknöpft. Ich glaube von dieser Figur, dass sie niemals lügt. Jedoch dehnt sie manchmal die Wahrheit weit aus. Das Lügen wurde ihrem Charakter nicht entsprechen.
Ihre Musik hat so viel Kraft! Ich habe immer gerne ihre Musik gesungen, aber ich wollte diese Rolle nie auf der Bühne singen, denn es gibt keinen Spaß dabei.
Bess hingegen ist großartig, sie hat den Swing, eine wenig den Alkohol, und sie hat eine sehr weiche, liebe volle Seite, sie ist sexy und doch auch religiös, „the train is at the station.“ Natürlich weiß ich viel über diese Rolle, denn ich habe sie auf der Bühne gegeben, oft.
Serena hat natürlich die schönste Musik im Stück, keine Frage! Sie und Porgy sind ja auch die einzigen die in dem Stück eine Arie singen, und welche Arie!
Es gab einmal ein Konzert, da war ich Bess und meine Mutter war Serena. Meine Mutter war ein Wagner Sopran, sie hatte diese Dramatik für diese Rolle.
Es stellt sich die Frage nach der Fassung?
Er hatte einiges drinnen, was original ist, aber man kaum in Aufführungen hört. Zum Beispiel war da etwas, was er die Noise-Symphonie nannte, am Beginn der letzten Szene. Das habe ich wirklich zuvor nie gehört, meist ist das gestrichen.
Aber auch in der Aufführung die ich an der Met gesungen habe, war völlig ohne Striche, sie haben alles gespielt. Möglichweise war ich da immer in meiner Garderobe, da ich es nicht gekannt habe. Das Neue hier in Graz war eher, wie man die Partitur realisiert, die Phrasierung ect.
Die Rezitative und das?
Das haben wir hier in Graz so gemacht, wie ich das von jeher gewöhnt war.
Was ist für Sie Essenz des Stücks?
Honesty -Ehrlichkeit. Vom Komponisten, von den Rollen: alles ist ehrlichste Emotion, ganz und ganz ungekünstelt.
Lassen Sie uns bitte noch reden über Ihre anderen Partien, die Sie mit Harnoncourt gesungen haben, zum Beispiel die Mozartrollen in Zürich?
Vielleicht zuerst Fiordiligi.
Das Konzept von Ponnelle war die großartig. Erst gestern Abend hat Harnoncourt mir gesagt, dass ich für ihn eine ideale Fiordiligi war. Diese Rolle war auch für mich selbst ein Durchbruch, für mich persönlich, von der Karriere, von den Mädchenrollen zu den Frauenpartien. Nicht mehr Ilia, Michaela, kein Mädchen, sondern eine echte Frau. Ich war das Cover, es hätte Lucia Popp singen sollen. Es war 1986 im Februar, das weiß ich noch, denn genau zuvor habe ich die Bess in New York gemacht. Ich habe in den Proben zugeschaut. Ponnelle hat keinerlei Notiz von mir genommen, da ich nicht die Premierenbesetzung war. Und dieser Kostümbildner hat es mir auch nicht leicht gemacht. Es gab drei Vorstellungen mit Lucia, dann wurde sie krank. Ann Murray als Dorabella war wunderbar zu mir. Die Regie war ja extrem schwierig, die Bewegungen waren präzise auf die Musik gemacht. Dann war Ponnelle auch sehr nett zu mir, und in drei Tagen……
Harnoncourt und ich waren musikalisch auf derselben Seite. Ich habe ja auch weitere Vorstellungen von Idomeneo gesungen, denn Felicity Palmer ist vom Sopran zum Mezzo gewechselt.
Das war überhaupt das erste mit Harnoncourt. Ich habe für den zweiten Sopran in der Matthäuspassion vorgesungen. Und aus Blute nur wurde Elettra. Ich hatte die Ilia zuvor oft gesungen, doch Harnoncourt sah, dass meine Persönlichkeit Elettra war.
Die Fiordiligi war ein Traum, meine beste Partie überhaupt. Doch ich habe sie nicht sehr viel gesungen, außer mit Harnoncourt, wegen …. (sie streicht sich über ihren Unterarm und weist damit auf ihre dunkle Hautfarbe hin.) Ich versuche nicht zu viel nachzudenken drüber, ich bin froh über das was war. Die Zeit von Cosi war wunderbar, man kann es sich nicht besser vorstellen. Mit Ann Murray, Gösta Winbergh, Hampson…. und Nikolaus Harnoncourt.
Ich habe es dann auch in 1990 Wien gesungen mit NH. Ich sollte die Premiere singen, doch ich war in Hamburg unter Vertrag. NH hat selber telefoniert, um mich freizubekommen, doch umsonst. Es hat mir fast das Herz gebrochen, dass ich diese gesamte Produktion mit Harnoncourt an der Wiener Staatsoper nicht machen konnte, weil ich in Hamburg die erste von sieben Wochen Proben dabei versäumen würde. Diese Leute hatten offenbar keine Ahnung von Idomeneo, den die Elektra hat eine Arie und danach verschwindet sie, erst nach zwei Stunden singt sie mehr. Dann kam ich nach Hamburg, und ich war die einzige, die da war außer dem Regisseur und Arbace, ich tat die ganze Woche nichts als mit dem Regisseur das Konzept zu besprechen. So kann es gehen!
Wie war die Produktion von Johannes Schaaf in Wien?
Ich kann mich kaum erinnern, alles was ich weiß war dass ich mich in dem Kostüm lächerlich fand und das ganze nicht verstand.
Schaafs Idomeneo habe ich besser in Erinnerung.
Harnoncourts Art, Musik zu machen hat mich verwöhnt in Bezug auf alle anderen. Diese Art Mozart zu singen: wow, ich versteh es, ich kann es nachvollziehen. Konnte es machen. Es war oft nicht einfach, weil, ich es nie zuvor so gemacht hatte, aber dann war einfach wow. Ich wusste in meinem tiefsten Innern, dass das genau das richtige ist. Ich hoffe nicht dass das verloren geht, denn ich bemerke dass es für die Generation die jetzt kommt, schon wieder nicht mehr da ist. Ich spüre die Verpflichtung es an die kommende Generation weiter zu geben.
Ich habe Mozart immer geliebt. Die meisten schwarzen Stimmen tendieren zu Verdi and Puccini, ich habe als Achtzehnjährige Aida gesungen und als Zwanzigjährige Butterfly. Als ich Mozart kennenlernt habe, war es, als wenn eine Sonne aufging, das war an der University in Michigan, da war ich zwanzig. Mit dreiundzwanzig war ich in Holland und verheiratet.
(Sie verabschiedet sich, weil sie ein Telefongespräch erwartet)
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