Ich gestehe: ich habe es getan. Als eine Frau, die beruflich schreibt und die bis dato vor allem hochwertige Literatur gelesen hat, beispielsweise den ganzen Thomas Mann, habe ich kürzlich eine Roman von Rosamunde Pilcher gelesen, und zwar von Anfang bis Ende, und, offen gesagt, auch mit einigem Vergnügen. Ich habe zu diesem Buch gegriffen, weil mich die Sehnsucht nach England und Schottland gepackt hat, wo ich mich immer wieder mit großer Freude aufgehalten habe, und auch, weil ich eine nicht allzu anspruchsvolle Lektüre gesucht habe für Mußestunden. Denn wir besitzen keinen Fernseher, was bedeutet, dass ich auch keine der Verfilmungen von Pichlers Romanen gesehen habe. Schließlich imponierte mir diese Frau, die, so heißt es, ihre Romane am Küchentisch in eine Schreibmaschine tippte, ohne dass ihre Kinder dies je mitbekommen hätten.
Ich habe also „September“ gelesen. Eine ziemlich typische Welt ersteht da, eingebettet ins England und Schottland der 1980er. Den erfolgreichen Unternehmern gibt es da ebenso wie den im Nordirland-Konflikt Verwundeten. Die elegante Dame ebenso wie das unscheinbare Mauerblümchen, die brave Hausfrau ebenso wie die Femme fatale mit unerkannter Tragik. Leute aus Australien und Amerika reichen als exotische Würze aus, und Sex wird, wenn überhaupt, nur angedeutet, dafür ist natürlich das Wetter ein zentrales Thema. Einiges wirkt sehr konstruiert, vor allem die Figur der geisteskranken Lottie, deren Funktion in der Geschichte eher die eines Gespenstes ist – solche geistern ja bis heute über die Insel, was die Briten allerdings normalerweise erst nach zwei Gläsern Wein gestehen.
Die heute 93jährige Rosamunde Pilcher hat 2012 zu schreiben aufgehört. Welches England würde sie heute schildern, angesichts des Brexit, der Flüchtlinge oder der Gesundheitskrise in diesem an sich so liebens- und lebenswerten Land?
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