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Johannes Erath über Berthold Goldschmidts Oper Beatrice Cenci: “es sprudelte nur so…”

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Beatrice_Cenci

https://de.wikipedia.org/wiki/Berthold_Goldschmidt

 

 

Foto Dietmar Mathis

 

Herr Erath, Sie kennen Frau Sobotka schon lange, haben Sie die Entscheidung, diese doch sehr unbekannte Oper Beatrice Cenci zu bringen, zusammen getroffen?

Sie hatte mir das Werk angeboten und war total überrascht, dass ich es schon kannte. Ich hatte es schon einmal angeboten bekommen, von Dortmund. Damals wollte ich es nicht annehmen, aus mehreren Gründen, vor allem aber fand ich keinen wirklichen Zugang zu den Stück. Als Elisabeth Sobotka mich dann gefragt hat, dachte ich: sie kennt mich sehr gut, und wenn sie schon meint, höre ich es mir nochmals an. Da habe ich mich gewundert, dass ich es damals nicht machen wollte. Sehr schnell wusste ich, in welchem Universum das stattfinden muss – die Ideen kamen wahnsinnig schnell, es sprudelte nur so,  und ich bin auch jetzt noch wahnsinnig glücklich mit dem Stück.

Sie bereuen es also nicht?

Keine Sekunde!

Was genau fasziniert sie an dieser Oper? Das Frauenthema? Auch Madame Butterfly ist ein Frauenschicksal, und diese Oper inszenieren Sie ja 2020/21 auf der Seebühne.

Nein, das stimmt nicht. Ich inszeniere die Butterfly nicht. Das hat eine Zeitung fälschlich geschrieben.

Ach tatsächlich! Dann bleiben wir also bei Beatrice Cenci. Da geht es um Frauen die eigentlich keinen Ausweg haben. Sie wagen dennoch einen Ausweg und nehmen dadurch ein grausames Ende.

Vielleicht ist das eines der ersten Male, dass sich Frauen so aktiv gegen Männer auflehnen – es handelt sich ja um eine wahre Geschichte. Vor Beatrice und ihrer Stiefmutter Lucrezia haben ja schon Beatrices Brüder einen Aufstand versucht, haben beim Papst interveniert. Der Vater selbst hat sie umbringen lassen, auf zynische und grausame Art.

Wir erleben diese Welt von Cenci, seine Gewissenlosigkeit, seine Respektlosigkeit. Diese Unmenschlichkeit ist gepaart mit einer Institution namens Vatikan, die immer wieder den Mantel des Schweigens drüberlegt. Cenci muss halt wieder ein Landgut abgeben, dann wird das unter den Teppich gekehrt. Zwei Menschen, Beatrice und Lucrezia, werden zwischen den Machtgefügen regelrecht zermahlen. Die Frauen, aber vorher auch die Brüder, und Viele andere.

Das Schlimme ist, dass das heute wieder passiert. Wir haben eine Welt, wo man keinem mehr trauen kann, wo man anfängt zu überlegen, wie finde ich einen Ausweg, weil einem keine Gerechtigkeit widerfährt, Wir müssen auch fragen: darf man überhaupt denken, dass man diesen schrecklichen Mann umbringt? Todesstrafe ist auch in unserer Welt wieder Thema. Das passiert jetzt alles so unmittelbar. Das spielt der Glaube wieder eine Rolle, wir wollen glauben, da wir niemand mehr trauen können.

Das ist jetzt ganz aktuell so, und noch nicht lange!

Nun, Machthaber gab es immer…

….,aber dass man sie toleriert!

Dass es Menschen gibt, die sich über solche amüsieren. Dass man alles mitteilt was man denkt, auch das ist problematisch. Das Stück ist so aktuell! Auch, dass Menschen, in diesem Falle die beiden Frauen, einen Funken Würde behalten wollten, auch wenn sie sterben müssen. Der  Gedanke ans Sterben ist für die beiden gar nicht mehr wichtig. Wir alle haben natürlich Angst vor dem Tod, doch in Beatrice ist sowieso schon Vieles, Stück für Stück, abgetötet worden. Der physische Tod hat nicht mehr diese Relevanz im Verhältnis dazu, was in ihr vorher schon abgetötet wurde.

Werden die Beiden, und ihre Tat, nicht durch die Musik rehabilitiert, durch das Requiem am Schluss?

Die Oper endet in einem wunderschönen Dur-Akkord. Das hat auf der einen Seite etwas Tröstendes, doch auf der anderen Seite ist das unfassbar grausam. Menschen werden hingerichtet, und im selben Moment spielt man ein Requiem. Geht es darum, die Frauen zu rehabilitieren, geht es um ein schlechtes Gewissen? Merkwürdig. Fast pervers, unfassbar ambivalent. Es spiegelt diese Grausamkeit.

Mehrmals in der Oper ist das so: wenn es ganz grausam wird, dann kippt die Musik um in Schönheit, wir hören wunderbare Melodien. Vielleicht wäre der Schmerz sonst nicht mehr erträglich. Dadurch wird die Schönheit aber fast noch brutaler, sie geht noch tiefer. Das hat viel mehr Wirkung, als wenn die Musik auch brutal wäre. Wenn beispielsweise der Mord geplant wird, dann kommt so eine Art Tanzmusik, man könnte an Charleston denken. Johannes Debus, der Dirigent, hat das als eine Art des dance macabre, des Totentanzes gedeutet. Das Stück ist insgesamt ein Requiem, aber in all seinen Facetten. Das Aufschreien, das Dies irae. Nicht nur Lacrimosa, sondern alle Formen von Trauern. Wen wir trauern, so empfinden wir ja vieles, auch Wut zum Beispiel. Dieses Spektrum finden wir in der Partitur.

Goldschmidt hat ja hier keine atonale Musik geschrieben, vielmehr ist sie tonal, zudem an alte Formen angelehnt.

Genau, die Menschen müssen keine Angst haben vor dieser Musik, vielmehr gibt es wunderbare Melodien. Vielleicht wurde die Oper deshalb so spät uraufgeführt, weil diese Klangsprache überhaupt nicht zeitgemäß war. Jetzt ist vielleicht wieder eher die Zeit dafür reif.

Es gibt heutige Komponisten beziehungsweise Komponistinnen, die sich zur Tonalität bekennen.

Ich finde es immer so schwierig, dass man alles was schön ist, verdammt. Ist denn Schönheit, oder die Sehnsucht nach Schönheit, nach Harmonie, etwas Negatives? Natürlich ist Theater der Spiegel der Zeit, aber unsere Zeit ist ja auch nicht nur schlimm. Man kann Schönheit auch als Trost empfinden, und vielleicht kann da wieder eine Form von Glauben entstehen, welcher auch immer. Harmonie bedeutet Zusammenklang, und wir alle sehen uns doch nach Gemeinsamkeit.

In der Oper Beatrice Cenci gerät eindeutig der Vatikan und damit die katholische Kirche ins Kreuzfeuer. Sie sagten früher, dass Sie in Ihrer Inszenierung nicht die Kirche als solche kritisieren wollen, sondern ein wie auch immer geartetes korruptes System.

Die Kritik findet statt an der Institution, nicht an der Religion. Es ist ja Tatsache, dass es in der Institution Vatikan Korruption gibt. Es waren etwa Päpste von heute auf morgen tot, nach kurzer Amtszeit, weil sie nicht so funktioniert haben, wie man das erwartet hat. Solches war schon lange in der Geschichte so, und ja, es gab Schweigegeld. Das muss man verständlich auf die Bühne bringen. Aber es geht nicht nur um den Vatikan, das kann für vieles andere stehen.

Es geht auch um die Verkrustung von Mechanismen. Die Oper Beatrice Cenci spielt ja in der Renaissance, und unsere Inszenierung ist angesiedelt im Spannungsfeld zwischen der Renaissance und der heutigen Zeit. Am deutlichsten wird das im Bereich der Mode. Unsere Mode hat sich total verändert, aber die des Vatikans ist gleich geblieben. Die Schweizer Garde wurde damals erfunden worden, und heute sehen die noch immer so aus. Das ist einerseits positiv, aber es darf hinterfragt werden.

Ich war fasziniert von dem Bild, das wir beim Probenbesuch am Pressetag gesehen haben. Es war ein ständiges Kippen von Schrecklichem zu Normalem, mehr noch zur Schönheit, etwa das Bild mit den vielen Weihekerzen und darunter das viele Geld.

Ich nehme beides erst, das Schreckliche und das Schöne. Denken Sie an den Chor, der in dieser Szene aus dem Dunkel hereinkommt. Die Menschen können an einen Ort, eben in eine Kirche, kommen, wo sie ihre Last ablegen können, wo sie um etwas bitten können. Das ist unglaublich wichtig, es gehört zum Menschsein dazu. Doch da gibt es auch die Manipulation, und schon sind wir beim Missbrauch. Wie man mit Ängsten spielt, sehr wir gerade heute wieder in der Politik.

Unser Bühnenraum ist abstrakt gehalten, aber es kommt die Megalomanie, die Sucht nach Größe, zum Ausdruck, die der Kirche und die von Cenci. Auch in der Größe der Kirchenbauten liegt ja die Ambivalenz, wir erleben ihre Schönheit, aber sie ist auch ein Machtmittel.

Zum Abschluss noch eine allgemeine Frage. Inszenieren Sie lieber bekannte Opern oder unbekannte?

Tatsächlich habe ich schon einige Repertoirestücke gemacht, wo jeder bereits seine Bilder in Kopf hat.  Es ist spannender, Stücke zu machen, die das Publikum nicht kennt. Da denkt man freier, da man ja nicht mit einer Erwartungshaltung umgehen muss. Aber es wäre falsch, sich bei einem Repertoirestück nicht zu informieren, was es schon gegeben hat an Inszenierungen. Es ist ein großer Prozess, sich davon wieder zu befreien, sich innerlich in sich zu versenken und zu spüren, was man selber sagen will. Bei mir ist es so geworden, dass ich erst einmal die Musik höre, ohne dass ich den Text genau kenne, aber natürlich gibt die Musik die emotionale Welt des Textes wieder.

Und oft kommt nach all dem Denken, dem Reden mit den Kollegen, der erste Impuls wieder, diese besondere Kraft des ersten Moments. Und da vertraut man dann ganz der Intuition – ein ungeheures Privileg!

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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