Die estnische Dirigentin Anu Tali ist nicht zum ersten Mal in Vorarlberg. Bereits 2011 hat sie mit dem Nordic Symphony Orchestra, das sie und ihre Zwillingschwester Kadri Tali gegründet haben, beim Feldkirch Festival gastiert. Es ist aber das erste Mal, dass eine Frau am Pult unseres Symphonieorchesters steht. So geschehen beim aktuellen Abokonzert, das Samstag in Bregenz und Sonntag in Feldkirch stattfand. Zusammen mit dem russischen Cellosolisten Alexey Stadler absolvierte sie ein herausforderndes Programm.
Wenn es stimmt, dass Frauen besser sein müssen als Männer, um in deren Domäne einzudringen: Anu Tali hätte damit kein Problem. Souverän, liebenswürdig, technisch präzise und musikalisch herausragend führt sie das Orchester durch die nicht leichten Partituren dieses Abends. Die Probenarbeit mit der Mittvierzigerin sei eine große Freude gewesen, verlautete es aus Orchesterkreisen, das spürte man im Konzert. Tali ist durch ihre ausgefeilte Schlagtechnik fähig zu straffen Vorgaben, wenn es um rhythmische, ja motorische Passagen geht, wie die im letzten Satz von Gottfried von Einems Orchestersuite „Dantons Tod“ oder auch im ersten Satz des Cellokonzerts von Dmitri Schostakowitsch, sie hat aber auch – buchstäblich, denn man führe sich die eleganten Bewegungen ihrer Rechten vor Augen – ein Händchen für Klangfarben, wie etwa diese zauberhafte Verhaltenheit im zweiten Satz bei „Dantons Tod“. Und sie gibt uneitel den Orchestersoli Raum, etwa im soeben genannten Werk der Flöte (Anja Nowotny-Baldauf) oder der Oboe (Heidrun Pflüger). Die Interpretation des Cellokonzerts von Schostakowitsch war sowieso ein Klasse für sich, allein durch das kraftvolle, gleichzeitig sehr bewusste und sensible Spiel des jungen Alexey Stadler, aber auch hier durch die Soli des Horns (Zoltan Holb) und der Pauke (Heiko Kleber). Sowohl „Dantons Tod“ von Einem als auch das Cellokonzert von Schostakowitsch führen eine unüberhörbare politische Botschaft mit sich. Erholung davon schuf nicht nur die Zugabe des Cellosollisten, ein Präludium von Bach, sondern auch Tschaikowskis Sinfonie Nr.1 nach der Pause. Der brillanten Zusammenarbeit von Orchester und Dirigentin gewiss, konnte man sich zurücklehnen und deren Schönheiten genießen: die Lebendigkeit und die Melancholie, das Klarinettensolo (Martin Schelling) und den ersten Walzer aus Tschaikowskis Feder. Der Jubel im Publikum war groß, und wenn es so ist, dass die Dirigenten und Dirigentinnen dieses Konzertsaison alle in die nähere Auswahl für die derzeit vakante Chefposition des SOV kommen, so wäre Anu Tali ganz weit vorne.
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