Eine Oper über Einsamkeit und dem Suchen nach Liebe
Thomas Larcher komponierte im Auftrag der Bregenzer Festspiele seine erste Oper. Ihr Titel Das Jagdgewehr suggeriert nicht unbedingt, dass dieses Werk sich auf sehr subtile Art mit den Grundfragen menschlicher Existenz auseinandersetzt. Einer gleichnamigen Novelle des Japaners Yasushi Inoue folgend, hat Friederike Gösweiner ein stimmiges Libretto gestaltet. Auch für die Bühnenfassung bleibt sie über weite Strecken beim Erzählton der originalen Novelle, was trotz der emotional dramatischen Geschehnisse eine eigentümliche Ruhe, ja sogar Distanziertheit schafft, die wiederum zusammen mit Thomas Larchers Musik ein atmosphärestarkes Ganzes erstehen lässt. Die Regie von Karl Markovics bleibt in ihrer Behutsamkeit in dieser Stimmung. Und ein ganz wesentliches Element dieses äußerst berührenden Opernabends ist die Ausstattung von Katharina Wöppermann. Eine so schlichte wie klare Bühnengestaltung, stimmige, aber dankenswert sparsame Projektionen und höchst geschmackvolle und die Personen gut charakterisierende Kostüme sind ihre Elemente.
Vulkan unterm Eismeer
„Wie ein Vulkan tief unterm Eismeer“, so charakterisiert Regisseur Karl Markovics die Handlung. Vereinfachend kann man das Bühnengeschehen dem „Eismeer“ zuordnen, die Musik aber dem „Vulkan“. Denn Thomas Larcher beschränkt sich nicht, wie es heute so oft geschieht, auf die klangliche Illustration des Bühnengeschehens, vielmehr lotet er die Seelenlandschaft der fünf handelnden Personen tief aus. Sein Orchester, also das Ensemble Modern unter Michael Boder, ist farbenreich besetzt. Man sieht etwa ein Akkordeon, ein Cymbal, ein Aquaphon oder eine Windmaschine, und Larchers Musiksprache ist, wie man schon neulich beim dritten Orchesterkonzert hören konnte, sehr komplex. Dass Passagen mit traditioneller funktioneller Harmonik mit wilden Klangclustern abwechseln, mag eklektisch sein. Aber als ganz eigene Handschrift des Komponisten und damit höchst eindrucksvoll wirkt ein Vokalensemble, das das Orchester und die Solisten auf der Bühne verbindet (hochprofessionell die Schola Heidelberg, einstudiert von Walter Nußbaum). Es bildet die Spannweite der Stimmfächer auf der Bühne ab, vom samtig profunden Bassbariton Andrè Schuen als Jäger über den Tenor Robin Tritschler als Dichter bis zum astronomisch hohen Sopran des jungen Mädchens Shoko, respektgebietend gesungen von Sarah Aristidou. Den Sängern, zu denen noch die Sopranistin Giulia Peri als Midori und die Mezzosopranistin Olivia Vermeulen als Saiko kommen, hat Thomas Larcher die Partien wunderbar in die Stimme geschrieben. Sie sind hochvirtuos, gleichsam modernes Belcanto, und werden in allen Fällen fabelhaft ausgeführt. Auch sie sind in ihrer Expressivität auf Seiten des „Vulkans“.
Seelentiefe
Immer wieder taucht die Frage auf, warum zeitgenössische Oper so wenig auf aktuelle Geschehnisse Bezug nimmt. Sicher ist es eine Frage der Vorlaufzeit, denn vom Auftrag bis zur Uraufführung vergehen in der Regel mehrere Jahre. Am Jagdgewehr hat Thomas Larcher zweieinhalb Jahre geschrieben, und er sagte, er hätte gerne noch mehr Zeit gehabt. Und obwohl Musik immer eine politische Komponente hat, ist Oper aus ihrem Wesen heraus kaum geeignet für Tagesaktualität (Nebenbei gesagt, auch aktualisierte Inszenierungen tun der Kunstform Oper in der Regel nicht gut). Gesungene Sprache ist fast immer (Rossini ist eine Ausnahme!) langsamer als die gesprochene. Gesang wirkt immer realitätsentrückt, er ereignet sich in einer höheren Ebene und ist somit als Ausdrucksform geeignet für Gefühle und seelische Geschehnisse. Somit ist Das Jagdgewehr allein vom Stoff her ideal als Oper geeignet, denn es beschäftigt sich mit Grundfragen unseres Daseins, mit der Suche nach Liebe und nach dem vollkommenen Verstanden werden. Da sich beides wahrhaft erfüllend allenfalls in Augenblicken ereignet, handelt Thomas Larchers Jagdgewehr letztlich von der Einsamkeit.
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