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Das Schubertiadejahr in Hohenems eröffnet

Das Aufatmen nach Corona beflügelt auch die Schubertiade Hohenems. Die erste Konzertreihe dieser Saison am verlängerten Wochenendeim Markus-Sittikus-Saal in Hohenems war bestens gebucht. Von diesen acht Konzerten habe ich drei besucht. Sie waren sehr unterschiedlich und haben zu mancherlei Überlegungen geführt.

Der Eröffnungsabend am Donnerstag stand ganz im Zeichen des 150. Geburtstages des Komponisten Max Reger. Sein Klarinettenquintett in A-Dur Opus 146 erklingt selten bei der Schubertiade, denn Teilen des Publikums ist dieser Komponist, der an der Schwelle zwischen Spätromantik und Moderne steht, bereits zu neutönend. Das Klarinettenquintett, entstanden Ende 1915, hat der Oberpfälzer Reger kurz vor seinem Tod geschrieben, der ein von Schaffensdrang geprägtes, aber auch chaotisches Leben allzu früh beendete. Das Werk klingt versöhnlich und abgeklärt, umso erstaunlicher, da es zur Zeit des Ersten Weltkrieges entstand. Mit der Interpretation dieses Quintetts war in Hohenems das deutsche Armida-Quartett betraut, zusammen mit der Klarinettistin Sabine Meyer, die mit den beiden Damen und den beiden Herrn nicht zum erst Mal musizierte. Man versteht sich also gut, der ungemein weiche Klang von Mayers Klarinette, die aus hellem Holz mit Goldklappen war, mischt sich wundervoll mit der Musizierweise des Quartettes. Diese könnte man nobel zurückhaltend nennen, mit Respekt vor den Werken. Das bedeutet wenig Vibrato bei dennoch konsequentem Legato, eine elegante Agogik und ein starkes Augenmerk auf dynamische Entwicklungen. Beim Klarinettenquintett Regers blieben damit kleine Wünsche offen, mehr noch, man war bezaubert von dieser melodiös wogenden Klangwelt. Bei Schuberts „Rosamunde“ Quartett, das „Armida“ (der Name lässt sich auf die Oper Haydns zurückführen, die letztes Jahr bei den Bregenzer Festspielen zu erleben war. Haydn ist der Erfinder der Gattung Streichquartett) im Konzertteil vor der Pause spielte, hätte man sich, je nach Geschmack, vielleicht doch ein wenig mehr Pointiertheit und historisch informierte Phrasierung erwarten können.

Ganz und gar keine Wünsche offen ließ am Samstagabend das Hagen Quartett, mehr noch, es gelang ihm, verstärkt durch Julia Hagen am Cello bei Schuberts Streichquintett, eine Sternstunde, wie man sie selbst bei der Schubertiade kaum je erlebt. Es sind nun fast schon vier Jahrzehnte, in denen das Hagen Quartett die Konzerte der Schubertiade bereichert. Von den ursprünglich vier Geschwistern Lukas, Angelika, Veronika und Clemens Hagen geht nur Angelika inzwischen eigene musikalische Wege, die anderen drei bilden, mit Rainer Schmidt an der zweiten Violine, das weltberühmte Quartett. Und nun setzt sich die Musikalität in der nächsten Generation fort. Clemens Hagen lässt seine Tochter Julia Hagen neben sich Platz nehmen, als Partnerin am Cello bei Schuberts ikonischem Streichquintett D 956. Die junge Dame trumpft zuweilen fast auf, bringt eine neue Farbe ins Klangbild. Über dieses, nämlich die Klangfarben in Schuberts Quintett, könnte man lange schwärmen, auch darüber, dass die fünf MusikerInnen schier die Zeit stillstehen lassen können, um dann wiederum mitreißende Energieschübe zu entfesseln. Das erweiterte Hagen Quartett hat im kleinen Finger, was derzeit so manche Kollegen versuchen, nämlich ein Tempo rubato, ein Nachgeben und wieder Straffen des Zeitmaßes. Die meisten scheitern dabei, so auch das nachstehend beschrieben Liedduo. Doch zuvor soll noch die delikate Interpretation der beiden Streichquartette Mozarts, das KV 464 und das KV 499 durch das Hagen Quartett erwähnt sein. Elegant und doch akzentuiert, nobel und dennoch charakterisierend: auch diese Gratwanderung schaffen nur sehr wenige.

Fatma Said und John Middleton

Am Sonntagabend versuchten die Sopranistin Fatma Said und ihr Partner am Klavier, John Middelton die oben beschriebene interpretatorische Raffinesse vor allem bei Werken von Haydn, nämlich dessen Kantate „Arianna a Naxos“, bei Schuberts Gesängen der Ellen nach Walter Scott und ausgewählten Liedern – und brachten kaum mehr zustande als Manierismen. Dehnungen des Zeitmaßes, die nie wettgemacht wurden, sollten Emotionalität zeigen, bemäntelten aber nur die mangelnde Beschäftigung mit der musikalischen Struktur und dem Text, besonders schmerzlich bei den geheimnisvollen „Ellen“-Liedern. Die abrupten Farbwechsel dieser Gesänge, die bedrohlichen Töne im Klavier, all das wird verwaschen und übertüncht mit selbstgestrickter Betulichkeit und Pseudo-Sanftheit. Fatma Said, eine seit langem in Deutschland lebende Ägypterin, sollte sich auch um eine deutliche Aussprache bemühen. Es darf aber gesagt werden, dass Said eine überaus gewinnende Ausstrahlung hat und dass ihr und ihrem Pianisten Middleton die Lieder von Robert Schumann im zweiten Teil gut gelangen. Hier kam die volle Schönheit des Soprans der Sängerin zum Blühen, und der romantisierende Zugang des Duos war am rechten Platz. Für den freundlichen Beifall des Publikums gab es eine Zugabe: „Da unten im Tale“ in der Fassung von Brahms. Sollte dies etwa eine Hommage an den alemannischen Kulturkreis sein, in dem auch Hohenems liegt?

Apropos Kulturkreis: Man mag mir Chauvinismus vorwerfen (wobei ich bis zu meinem 33.Lebensjahr Deutsche war), aber ich finde, gerade nach diesem Liederabend, dass die Veranstalter der Schubertiade einmal den Blick ins östliche Österreich werfen sollten, wo Schubert gelebt und komponiert hat. Denn ob man will oder nicht, es gibt eine musikalische Muttersprache, die in Österreich eben heißt, dass Lieblichkeit und Abgründigkeit nähest beieinander liegen. Siehe Schubert, siehe Mahler oder Alban Berg. Und es gab immer welche und es gibt auch derzeit einige österreichische Interpreten, die diese musikalische Muttersprache wunderbar beherrschen und die international gefragt sind, aber bei der Schubertiade Hohenems bzw. Schwarzenberg nicht. Man fragt sich, warum.

Foto: Schubertiade

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