Kultur und Politik im Widerstreit
Schon wieder präsentiert sich ein neues Orchester in Vorarlberg. Nach seinem erfolgreichen Debüt mit Igor Strawinskis „Geschichte vom Soldaten“ in Kammerbesetzung präsentierte sich nun die Camerata Musica Reno unter ihrem Dirigenten Tobias Grabher in voller Größe, wieder mit Werken des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, diesmal von Richard Strauss.
Im Konzert im Theater Kosmos in Bregenz erklang nach der einleitenden Bläserserenade Opus 7 von Richard Strauss dessen Orchestersuite Der Bürger als Edelmann.1919 uraufgeführt, ist sie mit ihrem neoklassizistischen Gestus nicht unbedingt ein typisches Werk für den Komponisten, der, etwa in seinen Tondichtungen, die ganz großen Orchesterbesetzungen bevorzugte. Der Bürger als Edelmann war ursprünglich als Ballettmusik gedacht, in Kombination mit der Oper Ariadne auf Naxos. Diese Fassung war aber wenig erfolgreich, so dass Richard Strauss und der Dichter Hofmannsthal sich zu einer Umarbeitung entschlossen. So existiert Der Bürger als Edelmann heute vor allem als Orchestersuite. Sie ist, nicht zuletzt durch die Instrumentierungskunst von Richard Strauss, geeignet, die Fähigkeiten eines Orchesters zu zeigen, und auch deshalb, weil es darin viele Soli gibt. Denn in dieser Camerata Musica Rena sind mehrere brillante Musiker der ganz jungen Riege versammelt, die in letzter Zeit auf sich aufmerksam machen konnten. Stellvertretend sei Johanna Bilgeri am Fagott genannt, die jüngst als Solistin mit den Wiener Symphonikern konzertiert hat.
Auch den Namen des Ensemblegründers und Dirigenten sollte man sich merken. Es ist der junge Altacher Tobias Grabher, der mit tadelloser Schlagtechnik und emphatischen Blickkontakt agiert und mit dem Orchester beeindruckende Farbmischungen zaubert – einige Übergänge hätten freilich mit mehr Ruhe gestaltet werden können. Doch nicht die Musik allein interessiert Grabher, sondern auch ihr zeitgeschichtlicher Kontext. Also lasen Hubert Dragaschnig und Sabine Lorenz aus dem Briefwechsel zwischen Richard Strauss und Stefan Zweig. Der Briefwechsel ging vor allem um die von den Beiden geschaffene Oper Die schweigsame Frau, uraufgeführt 1935 in Dresden unter allerhand Schwierigkeiten, sowie um weitere geplante Werke, deren Grundidee von Stefan Zweig stammt, nämlich Friedenstag und Capriccio. Diese beiden Stücke konnte Zweig aber nicht mehr für Strauss schreiben, da er Jude war und zudem ein bekennender Linker in seinen politischen Ansichten und somit für das Naziregime untragbar. Zur Zeit des Briefwechsels mit Zweig war Richard Strauss noch „Reichsmusikkammerpräsident“ von Goebbels‘ Gnaden und hin und her gerissen zwischen einer gewissen Anpassung an das Regime und seiner Maxime, dass die Freiheit der Kunst der oberste aller Werte sei. So wurde das Publikum im Theater Kosmos Zeuge eines sehr persönlichen Ringens um die Wahrheit sowie der mehr und mehr bedrückenden und bedrohlichen Umstände in diesen Jahren. Was übrigens wenige wissen: Richard Strauss und Stefan Zweig trafen sich in Bregenz im damaligen Hotel Montfort zu einer Aussprache, die allerdings wenig klären konnte. Fest steht, dass man sich kaum ein Urteil erlauben kann über das Verhalten dieser beiden großen Geister, denn, wie hätte unsereins sich verhalten in dieser Zeit und diesen Umständen?
Als Abschluss dieses bewegenden Abends erklang das Streichsextett aus der Strauss-Oper Capriccio, vielleicht auch als Versuch einer Besänftigung.
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