Um die Kunstform Oper braucht man sich keine Sorgen zu machen. Das denkt man nach der Aufführung von Tschaikowskis „Eugen Onegin“ im Theater am Kornmarkt im Rahmen der Bregenzer Festspiele. Diese Opernproduktion wurde nämlich so gut wie nur von jungen Künstlern gestaltet und ist atemberaubend gut gelungen.
Der frenetische Applaus des Premierenpublikums galt ebenso einhellig dem Leitungsteam, dem Orchester wie auch den Sängerinnen und Sängern. Mit einfachen Mitteln hat Regisseur Jan Eßinger diese Geschichte um vier junge Menschen im Russland des neunzehnten Jahrhunderts so packend erzählt, das man meinen könnte, sie geschieht heute, gleich nebenan. Eßinger weiß, in den athmosphärestarken Bildern von Nikolaus Webern, die verspielte Leichtigkeit des Familienlebens im Hause Larin ebenso zu zeigen, wie er sämtliche Sänger zu großer, aber niemals übertriebener darstellerischer Präsenz führt. Und die Besonderheiten im dritten Akt, wo er etwa die Polonaise umdeutet in den Leichenzug für den im Duell erschossenen Lenski, lassen zuweilen bezweifeln, ob Onegin all das in der Realität erlebt oder vielleicht nur träumt. Eßinger rückt auch die Figur der Amme Filipjewna ins Zentrum des Geschehens. Sie ist quasi das Alter Ego Tatjanas und ruft sich mithilfe eines Langspiel-Plattenspielers ihre eigene Jugend zurück. Das darauf die Chornummern des Stückes erklingen, zugespielt aus einer Aufnahme aus der Oper Perm, lässt den von Tschaikowski vorgesehenen Chor nicht vermissen. Die Oper Perm hat dank Teodor Currentzis einen magischen Klang in der Musikwelt. Dirigent Valentin Uryupin kommt ebenfalls aus Perm und brachte die dortige Magie nach Bregenz mit. Das Symphonierochester Vorarlberg im Orchestergraben und alle Sänger auf der Bühne agieren so differenziert, wie man es kaum je gehört hat. Dramatische Wucht, schwungvolle Tänze, glühende Liebessehnsucht und zarteste Regungen erlebt man in oft atemberaubendem Wechsel. Wie wundervoll, dass sämtliche Sänger das mittragen. Ilya Kutyukhin als Onegin ist ein etwas hochnäsiger Stadtmensch, dessen Charakter sich aber beachtlich entwickelt, ebenso, wie sein warmer Bariton Sympathien weckt. Alexey Neklyudov als Lenski sieht nicht nur dem weltweit besten Sänger dieser Rolle, Pjotr Beczala, ähnlich, er steht ihm auch sängerisch und darstellerisch kaum nach. Shira Patchornik ist in ihrer Mädchenhaftigkeit und stimmlichen Ausdruckskraft schlichtweg eine Idealbesetzung für die Tatjana. Aytaj Shikhalizada als Olga, Ljuba Sokolova als Filipjewna, Judith Thielsen als Larina, Igor Korostylev als Gremin und last but not least David Kerber als Triquet ergänzen überzeugend das stimmige Ensemble.
Siehe auch das Interview mit dem Regisseur Jan Eßinger auf diesem Blog
(Foto Bregenzer Festspiele)
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