Der Müller, der Bach und die Sterne
Bregenzer Festspiele ohne dieses magische Dreigestirn, die „Musicbanda Franui“, den Puppenspieler Nikolaus Habian und den Bassbariton Florian Boesch, sind nicht mehr denkbar. Das ist Musiktheater, wie man es sich heute wünscht: innovativ und überraschend, dabei den Intellekt gleichermaßen wie das Gemüt berührend. Nein, viel mehr, sie überwältigen Verstand, Sinne und Emotionen. Nach Anfängen im Kunsthaus und dem Kornmarkttheater füllen sie nun das Festspielhaus bis auf den letzten Platz und reißen das Publikum am Ende von den Sitzen. Am Donnerstag zeigten sie hier ihre Sicht auf Schuberts Liederzyklus „Die schöne Müllerin“, deren erstes Lied, „Das Wandern“, so bekannt ist, dass Habian es einfach nur pfiff. In der Tat ist dieser Zyklus gerade im Land des „bedeutendsten Schubert-Festivals weltweit“, der Schubertiade Hohenems-Schwarzenberg, in vieler Munde. Und hier, wie überall, ist es Konsens, dass dieser „Müller“ am Ende aus enttäuschter Liebe im Bach Selbstmord begeht. Franui, Habian und Boesch deuten den Schluss aber anders. Denn dort ist viel von den Sternen, auch von der Überwindung des Schmerzes die Rede. Und so lassen sie den Müller überleben. Visuell wird das nicht unbedingt klar, macht aber nichts, denn große Kunst beantwortet keine Fragen, sie lässt sie offen. Und es ist wirklich große Kunst, wie die Zuhörer dazu gebracht werden, mehr und mehr der Illusion anheim zu fallen, dass die Puppen singen. Da werden Grenzen verwischt, da singt Boesch die Worte des Müllers und agiert wie der Jäger, seinem Konkurrenten in der Gunst der schönen Müllerin. Und da wird die Müllerin im zweiten Teil an die Wand gehängt wie das besungene Lautenband, denn spätestens ab hier ist sie reine Illusion im ziemlich neurotischen Geisteszustand des Müllers. An diesem Angelpunkt der Handlung spielt Franui den „Kupelwieser-Walzer“ Schuberts, und das tun sie herzzerreißend schön. Diese zehn Musikerinnen und Musiker aus Innervillgraten in Osttirol sind die Seele der Aufführung. Ob zart wie bei diesem Walzer, ob aufwühlend schräg, ob deftig oder klanglich komplex: mit Sicherheit hätte Franz Schubert seine Freude dran gehabt. Und jetzt werde ich persönlich und schreibe das nur auf meinem Blog. Mir hätte die musikalische Seite dieser Aufführung vollauf genügt. Sie war wunderbar, vor allem Franui. Florian Boesch war sehr beschäftigt mit dem Bewegen der Müller-Puppe und seine Stimme war natürlich verstärkt, wiewohl sein Gesang mich berührt hat. Doch es geht wohl Vielen so: wenn man ein Kunstleid, mehr noch eine ganzen Liederzyklus sehr gut kennt (und ich gebe hier zu, dass ich schon als Gymnasiastin die „Müllerin“ nachmittageweise am Klavier gesungen und gespielt habe, dafür die Mathe-Hause am nächsten Morgen bei meiner Banknachbarin abgeschrieben habe- liebe Berta, Du warst ein Schatz!), dann entstehen innere Bilder. Und wenn dann nach Jahrzehnten einer kommt – und sei es so ein Genie wie Nikolaus Habian – und zeigt einem, wie diese Figuren aussehen – nein, das klappt einfach nicht. Also denke ich, dass diese Aufführung eher für Menschen geeignet war, die sich in ihrer Jugend oder auch später sich nicht oder wenig mit Schubert beschäftigt haben und in deren Herzen diese Welt keine Bilder, Farben oder Ähnliches erzeugt hat. Franui und Habian hatten zusammen schon schlüssigere Projekte.
(Foto: Bernd Uhlig)
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