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Bregenzer Festspiele: Der Regisseur Jan Eßinger über Tschaikowskis Eugen Onegin

Seit der Intendanz Elisabeth Sobotka haben die Bregenzer Festspiele ein Opernstudio. Dieses gibt jungen Sängerinnen und Sängern die Möglichkeit, ein Stück des Opernrepertoires abseits des gängigen Betriebs zu erarbeiten. In diesem Jahr wurde Pjotr Iljitsch Tschaikowskis Eugen Onegin gewählt, die der Komponist „lyrische Szenen“ nennt. Regie führt der 36jährige Deutsche Jan Eßinger. Im folgenden Gespräch gibt er Einblicke in seinen Zugang zu dem Werk, auch in der besonderen Situation des Opernstudios.

Regisseur Jan Eßinger im Bühnenbild
Foto Dietmar Mathis

Herr Eßinger, immer wieder habe ich bei Eugen Onegin das Gefühl, dass das, was sich zwischen diesen Figuren ereignet, jedem und jeder von uns jederzeit passieren könnte.

Es hat wirklich mit uns heute zu tun. Darum wollen wir in unserer Produktion keine Geschichte über Russland erzählen, wir übertragen es aber auch nicht ins aktuelle Russland, denn da müsste man sich zu Verhältnissen äußern, die mit dem Stück nichts zu tun haben. Egal wo Eugen Onegin spielt, und egal wann es spielt: es geht um die komplexen Gefühlswelten der Figuren, die wir alle schon in irgendeiner Weise erlebt haben.

Diese Oper wurde von Tschaikowski ja tatsächlich für junge Sänger des Moskauer Konservatoriums komponiert, wobei sie heute gerne an großen Häusern wie etwa der Met in Starbesetzung gespielt wird. Sie haben hier im Opernstudio die Situation, wie sie ursprünglich gedacht war. Es sind junge, slawische Sänger, und es wird ja in der russischen Originalsprache gesungen.

Genau, die Nachwuchssänger sind wirklich ausgewählt für die jeweilige Partie, und es sind russischsprachige Sänger dabei, die mit der Sprache nochmals ganz anderes umgehen können. Der Dirigent Valentin Uryupin ist Russe, kennt die Oper bereits sehr, sehr gut – ein  bereichernder und spannender Austausch ist damit gegeben, wobei auch von meiner Seite Impulse kommen. Denn viele Menschen in Russland sind mit der Themenwelt Puschkins ganz anders sozialisiert. Ich komme von außen und kann die Dinge mitunter neu hinterfragen. Ich habe eine klare Vision vom Stück und auch von diesem besonderen Kontext hier bei den Bregenzer Festspielen.

Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

In den meisten Inszenierungen des Eugen Onegin, die ich bisher kennengelernt habe, kommt die Vielschichtigkeit der Figuren zu kurz. Mich interessiert die Tatjana, die ist nicht nur ein Mäuschen, sondern mutig, begeisterungsfähig. Onegin wird gerne als der Eitle oder gar der Böse gezeichnet. Da denke ich, stopp, was sagt er wirklich, wie ist seine Musik dabei? Und wie möchte er sich aufgrund von Erfahrungen schützen, woher kommt diese ablehnende Haltung Tatjana gegenüber. Und aufgrund welcher Sehnsucht will er dann doch im dritten Akt mit ihr zusammenkommen? Wenn man genau hinschaut, merkt man: die Beiden haben sich nur zweimal gesehen, da ist kein großes Kennenlernen, sondern ein Gefühl, eine Anziehung auf den ersten Blick. Man könnte bei Tatjana fast meinen, es ist egal, wer da hereinkommt, Hauptsache ein Mann von außen. Und er, der dann nach diesem ruhelosen Leben nach Hause, nach Sankt Petersburg zurückkehrt, er sehnt sich nach diesem Leben, das er hatte, bevor er den Lenski umgebracht hat. Und dieses Davor ist versinnbildlicht durch Tatjana. Das ist mir jetzt während der Arbeit nochmals ganz klar geworden. Denn ansonsten müsste man annehmen, das er sie jetzt deshalb attraktiv findet, weil sie den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft hat, Geld und Einfluss an der Seite des Fürsten Gremins gewonnen hat. Das ist denn doch zu wenig.

Gerade mit den jungen Sängern ist es spannend zu suchen, was da jetzt noch dahinter steckt. Und ganz allgemein gibt es diese Oper auch her, in den komödiantischen Elementen das Tragische zu suchen und in den tragischen das Komische. Zum Bespiel merkt man dann, wie lustig eigentlich der erste Akt ist, und mit welcher Leichtigkeit man den spielen kann, bis zu Tatjanas Briefszene. Gerade dadurch wird die Fallhöhe auch umso größer.

Den Lenski umgebracht? Damit sprechen Sie das Duell an, und ich denke, genau das ist das einzige in dieser Oper, was schwer in unsere Zeit passt.

Man fragt sich, wodurch würde heute etwas zu dieser Ausnahmesituation führen, denn diese ritualisierte Vergeltung gibt es ja heute nicht mehr. Puschkin selbst ist übrigens im Duell gestorben.

Es ist mir wichtig zu zeigen, dass es bei diesem Fest davor zu einer emotionalen Ausnahmesituation kommt, wo Lenski etwas herausschreit, ohne es wirklich so gemeint zu haben – eine Übersprungshandlung. Und Onegin glaubt für mich bis zuletzt, bis zu diesem Duett – das, wie ich meine, nicht von dieser Welt ist – bis dahin also denkt er nicht, dass es zum Äußersten kommen wird. Ich glaube dass diese letale Wendung ganz klar von Lenski ausgeht – schon in seiner Arie davor wird klar, dass er sterben wird. Denn manchmal ist es schwieriger, mit einer Schuld zu leben als tot zu sein. Diese Schuld, die dann auf Onegin lastet, ist in der Folge ganz zentral für sein Verhalten im dritten Akt.

Übrigens ist bei uns die Pause nach dem Duell, denn vorher zielt alles darauf hin. Zwischen dem zweiten und dem dritten Akt vergehen einige Jahre, wahrscheinlich drei: Puschkin schreibt einmal, Onegin sei zuerst 23, bei Tschaikowski singt Onegin im letzten Akt, dass er nun 26 Jahre alt sei.

„Gewohnheit gab uns der Himmel als Ersatz für das Glück“. Dieser Satz, der am Beginn des ersten Aktes von Larina und Filipjewna gesungen wird, ist Ihnen wichtig, wie man schon gelesen hat. In Ihrer Inszenierung erfährt zudem die Figur der Filipjewna eine Aufwertung.

Immer schon fand ich es spannend, dass Filipjewna die Person ist, zu der Tatjana das näheste Verhältnis hat – nicht zu ihrer Mutter und nicht zu ihrer Schwester. Letztere, Olga, ist ja recht bodenständig, lebt im Hier und Jetzt. Im Gegensatz zu Tatjana, die in ihren Büchern Vergangenes liest, um sich damit ihre Zukunft vorzustellen.

Ich habe mich gefragt, wie jemand dazu kommt, zu sagen: „Gewohnheit gab uns der Himmel als Ersatz für das Glück“. Sie meint wohl damit, sie habe sich arrangiert, lebt durchaus kein unglückliches Leben. Man kann ja auch einen Partner lieben lernen – diese Damen sind da ein gutes Beispiel. Mir fällt dazu auch das Musical Anatevka ein, wo Tevje und seine Frau Golde sich nach vielen Jahren ihrer vermutlich arrangierten Ehe fragen: „Ist es Liebe“. Und man spürt, dass es tatsächlich sowas wie Liebe ist.

Wenn sich Filipjewna so einrichtet, frage ich mich: hatte die nicht irgendwann auch einen Onegin? Fühlt sie nicht mit Tatjana mit? Und wird Filipjewna durch Tatjana nochmals an Dinge erinnert, die sie selbst erlebt hat?

Ist die Rolle der Filipjewna auch mit einer jungen Sängerin besetzt?

Nein, die Rolle ist mit einer erfahrenen Sängerin besetzt, Liuba Sokolova. Sie war übrigens in der Seebühnenproduktion Aida eine der Darstellerinnen der Amneris. Daher kennen wir uns, denn ich war damals Regieassistent.

Dann haben Sie ja schon Bregenz-Erfahrung!

Ja, begonnen hat es 2007 mit einer Assistenz in der Tosca, dann eben die Aida, zuletzt war ich 2015 Assistent von Marco Arturo Marelli bei der Turandot.

Und jetzt kommen sie nach Bregenz als Regisseur zurück. Erzählen sie uns Ihren Werdegang genauer?

Ich bin in Darmstadt geboren, habe Musiktheaterregie in Hamburg studiert und schon während des Studiums, freie Assistenzen gemacht. Danach war ich Spielleiter am Komischen Oper Berlin, dann 2013-2017 am Opernhaus Zürich, jeweils in der Intendanz Andreas Homoki. Dadurch kam es, dass ich Barrie Koskys Inszenierung des Eugen Onegin, die ja ursprünglich in Berlin entstanden ist, nach Zürich übertragen habe.

Und jetzt bringen Sie das Stück in Bregenz selbst auf die Bühne. Wie fühlt sich das an?

Das ist Chance und Herausforderung zugleich. Man kennt das Stück, kennt die Klippen, muss aber einen ganz eigenen Zugang zu finden, Unsere Inszenierung ist insofern ganz anders, als dass wir einen anderen Fokus auf die Geschichte der Figuren haben, Filipjewna wie erwähnt in den Mittelpunkt rücken. Zudem haben wir keinen Chor auf der Bühne. Der Aspekt des Verhältnisses des Individuums zur Gesellschaft ist also im Hintergrund.

Wie wird das dann musikalisch gelöst? Der Chor ist ja doch aus der Partitur nicht wegzudenken.

Die Chorszenen werden eingespielt, wir haben sie aufgenommen mit dem Chor der Oper Perm. Denn der Dirigent Valentin Uryupin hat dort gearbeitet und war ein enger Mitarbeiter von Teodor Currentzis.

Wow, dann ist er ja ganz besonders geprägt und damit die Zusammenarbeit ganz speziell, denke ich?

Wir suchen gemeinsam, in jeder Phrase. Am Ende soll jeder Sänger und jede Sängerin  in jeder Szene,  nicht zuletzt auch aus der Musik heraus wissen, wie jede Phrase gemeint ist. Mit einer solchen Zusammenarbeit, auch mit dem jungen Ensemble, entsteht dann diese Dichte der Aufführung, die den Zuseher, die Zuseherin mit hereinzieht. Diese jungen Künstler haben die Offenheit, zu suchen. Was mich am heutigen Opernbetrieb am meisten abstößt, ist Routine: wenn Leute routiniert durchaus solide Arbeit abliefern, ohne dass ich spüre, dass gemeinsam etwas gesucht wurde.

Sie sind im Opernstudio der erste junge Regisseur, früher waren es erfahrene Regisseure, zuletzt Brigitte Fassbaender beim Barbier von Sevilla. Ist das jetzt eine Änderung im Konzept des Opernstudios?

Das müssen Sie die Festspiele fragen. Aber ich hatte seit längerem Gespräche, im Hinblick auf die bewusste Fokussierung auf das Kammerspiel in Eugen Onegin, ohne Chor. Das heißt wir haben zusammen mit Olaf Schmitt eine Fassung erstellt, die nicht einfach was streicht, sondern das Ganze wirklich in einen großen Zusammenhang stellt. Musikalisch werden die Chornummern teils auf die Soli aufgeteilt, teils, wie schon erwähnt, über die Aufnahme eingespielt.

Wenn Sie die reife Frau Filipjewna in den Vordergrund rücken, wie steht es dann mit Gremin, dem Ehemann Tatjanas, der immer als älterer Herr dargestellt wird?

In unserer Aufführung ist er kein alter Herr. Tschaikowski hat ihn gegenüber Puschkin aufgewertet – der Versroman ist übrigens echt lesenswert. Und es ist interessant, was Tschaikowski davon genommen hat. Ich sehe dieses neue Leben Tatjanas, also ihre Ehe mit Gremin, auch in dem Sinne der Gewöhnung, wie sie zu Beginn der Oper ins Spiel gebracht wird. Ich glaube auch nicht, dass am Ende Onegin als total gebrochener Mann weggeht. Denn solche aufwühlenden Erlebnisse sind auch immer der Beginn für etwas Neues. Wir haben viel diskutiert, was das für eine Beziehung zwischen Tatjana und Onegin ist, und wir denken, dass durch die Begegnung mit dem jeweils anderen es Beiden möglich wird, sich neu und anders zu sehen. Tatjana hat durch Onegin wahnsinnig viel über sich gelernt, und Onegin durch Tatjana wahnsinnig viel über sich.

Vielen Dank für das Gespräch und toitoitoi für die Premiere!

 

 

 

 

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