An drei Abenden hat Kirill Petrenko in München Beethovens Missa solemnis dirigiert. Es war ein „Akademiekonzert“ der Bayerischen Staatsoper, deren Generalmusikdirektor er derzeit noch ist. Das war so unglaublich gut, dass man sich noch mehr freuen kann auf die Achte von Mahler, die er im Mai in Bregenz leiten wird. In den Dimensionen, die die Aufführung erfordert, mag Mahler noch mehr darzustellen als Beethoven, inhaltlich sei diese Rangordnung freilich hinterfragt. Denn, wie ich meine, steht Beethovens Missa doch noch Einiges über der durchaus singulären Symphonie Mahlers.
Wie man darüber auch denken mag, fest steht, dass Beethovens Missa solemnis ein Bekenntnis darstellt. Sie sprengt jeden liturgischen Rahmen, und sie wendet sich, obwohl sie das lateinische Ordinarium als Text hat, an Menschen jeglichen Glaubens. Zugleich ist sie äußerst schwer zu interpretieren. Zum einen für die Sänger, denn vor allem Sopran und Tenor liegen sowohl für die Soli wie für den Chor stellenweise fast unsingbar hoch. Zum anderen für den Dirigenten, der in der Partitur sowohl auf Schritt und Tritt barocke Klangrhetorik entdecken kann, aber auch differenzierteste Anweisungen bezüglich Tempo und Dynamik, wie in hochromantischer Musik, vorfindet. Kirill Petrenko, der das Opus summum Beethovens übrigens zum ersten Mal dirigiert hat, ist der richtige Interpret für ein Werk dieser Dimensionen, denn er ist einerseits akribisch genau, andererseits ungemein visionär. Wo andere für die Missa, etwa Nikolaus Harnoncourt bei seinem überhaupt letzten Dirigat 2015 in Salzburg, und auch Thomas Hengelbrock damals beim Feldkirch Festival, eine schlanke Besetzung wählten, fährt Petrenko mit großem Chor- und Orchesterapparat auf. Dass das Bayerische Staatsorchester und vor allem der Chor der Bayerischen Staatsoper, einstudiert von Sören Eckhoff und sonst an die eher großen Klänge einer Oper gewöhnt, dabei derart differenziert musiziert und gesungen haben, heischt den allergrößten Respekt. Bei allen Gruppen, ob Orchester, Chor oder Soli, zeugen Nuancierungen auf kleinstem Raum von genauester Probenarbeit, ebenso wie die präziseste Artikulation in den Fugen, etwa am Ende des Gloria. Klangmassen türmen sich, Harmonien verdüstern sich plötzlich bei bestimmten Worten. Aber das Wunderbarste im wahrsten Wortsinn ist die Feierlichkeit, ja die Klang gewordene Ehrfurcht, die über weite Strecken Raum greifen kann. So im unglaublich zurückhaltenden Sanctus und dem überirdischen Benedictus. Berückend die Solovioline, gespielt von David Schultheiß, die gleichsam den Erlöser von der himmlischen Sphäre herab begleitet, und berührend die Soli, wie sie diesen einzeln begrüßen. Und auch in dieser Aufführung erzeugt die Kriegsvision im Dona nobis pacem die größte Erschütterung, die sich dann, so will es Beethoven, wiegend, vielleicht beschwichtigend, auflöst. Das Solistenquartett krönte die unvergleichliche Aufführung, mit Tareq Nazmi, Bass, Benjamin Bruns, Tenor, Okka von der Damerau, Alt, und, sie sei wegen ihrer exponierten Partie besonders hervorgehoben, Marlis Petersen als Sopran. „Von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen“, schrieb Beethoven in die Partitur seiner Missa solemnis. Diese Aufführung ging wirklich tief ins Herz.
Fotos:
Staatsoper.de – Petrenko
Yiogios Mavropoulos – Petersen
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