Mit der Aufführung des „Fidelio“ hat das Vorarlberger Landestheater viel gewagt. Die einzige Oper von Ludwig van Beethoven ist musikalisch wie szenisch eine Herausforderung. Die Hauptrollen sind sängerisch äußerst anspruchsvoll, und es ist auch ein Kunststück, im kleinen Graben des Theaters am Kornmarkt das Orchester zu platzieren. Doch auch Regisseur Henry Arnold hat viel gewagt, indem er in seiner Inszenierung kühne Wege beschreitet und Bezüge in die moderne Welt aufzeigt. Das geht in vielen Produktionen daneben, nicht aber beim Bregenzer „Fidelio“. Das Fazit dieses Premierenabends am Freitag lautet somit, dass das Publikum hier eine – mit ganz kleinen Ausnahmen – großartige Deutung einer unvergleichlichen Oper erleben konnte.
Die Oper beginnt in der Arbeitswelt kleiner Leute, so wollen es Beethovens Librettisten
Bouilly, Sonnleithner und Treitschke, und so sieht es auch Regisseur Henry Arnold. Heute ist diese Arbeitswelt regiert von digitalen Algorithmen, unpersönlichen Anweisungen – sie kommen, wie die Dialoge des ganzen ersten Aktes, aus dem Lautsprecher – sowie Beschleunigung. Videos (Daniel Dodd-Ellis) sowie Lichteffekte (Arndt Rössler), aber auch viele Bewegungen der Protagonisten suggerieren das. Auch die Gefangenen, die wir im ersten Akt erleben, klettern nicht verschmutzt und verwahrlost aus realen Kerkern. Sie sehen propper aus, aber eher wie fahle Engerlinge, die nie ans Licht kommen. Und auch der Gefangene Florestan trägt ein sauberes weißes Hemd, gemahnt an einen white-collar-worker, der unmündig und damit unfrei schuftet und kaum was davon hat („..der kaum mehr lebt, und wie ein Schatten schwebt“). Überhaupt sind die Kostüme ein Kapitel für sich und von Kathrin Hauer super gestaltet. Denn dieser Arbeitswelt sind die Geschlechtergrenzen aufgehoben. Männer wie Frauen tragen asiatisch anmutende Kleider und Haartrachten. Damit ist auch der stets etwas peinliche Umstand aus dem Weg geräumt, dass Leonore sich als Mann verkleidet und Marzelline sich sogar in sie verliebt – vielleicht ist Marzelline ja lesbisch – dieser Begriff scheint sogar einmal in einem der Videos kurz auf.
Nach allen diese digitalisierten Welten kommt es umso berührender, wenn Leonore in ihrer großen Arie ein schönes Kleid trägt, und Notizbüchlein hervorzieht und mit Bleistift hinein das Wort „Hoffnung“ schreibt – den herausgetrennten Zettel wird sie später ihrem Gatten Florestan in ein Brot eingehüllt geben.
Und auch der rettende Minister zieht ein Büchlein aus der Tasche und liest daraus Wort der Menschlichkeit und Freude vor. Dass er es zwischen dem Kerkerbild und dem Schlussbild tut, stoppt den musikalischen Fluss unnötig – da hat die Regie, die ansonsten erfreulich auf die Musik abgestimmt ist, keine so gute Entscheidung getroffen.
Zurück zum Kerkerbild, wo nichts ist mehr künstlich ist, wo keine Lausprecherstimmen mehr sind, sondern menschliche Stimmen, wo starke Gefühle herrschen, vom Mitleid Leonores und Roccos mit Florestan bis hin zu der ungemein spannenden Konfrontation von Pizarro und Leonore, bei der es ja wirklich um Leben und Tod geht. Und das Schlussbild, das die Gattenliebe preist, ist ein nie erreichtes Idealbild der Menschlichkeit, das fast schon wieder kippt.
Das aufregende Bühnengeschehen findet seine Entsprechung in der Musik. Karsten Januschke, der im Jahr davor schon bei Donizettis „Don Pasquale“ an diesem Pult stand, hat auch für die Partitur Beethovens den stimmigen Zugriff. Sowohl an den Erkenntnissen der historischen Aufführungspraxis orientiert, etwa was die Phrasierungen und gelegentlichen Verzierungen bei den Sängern betrifft, als auch mit ungeheuer dramatischer Pranke dirigiert er das fabelhaft disponierte Symphonieorchester Vorarlberg, das wundervolle Instrumentalsoli beisteuert. All das ist sicher eine große Hilfe für die Sängerinnen und Sänger mit ihren teils äußerst anspruchsvollen Partien. Allen voran zu nennen ist die Leonore alias Fidelio von Susanne Bernhard. Sie bewältigt klangschön die Spannweite ihrer großen Arie und berührt in der Kerkerszene durch ihre starke Emotionalität. Dass die überwiegend im Konzertbereich tätige Münchnerin allzu oft mit ihren Armen in Takt mitrudert, sei ihr angesichts all dieser Vorzüge verziehen. Ihr Gatte Florestan wird stimmsicher von Wolfram Igor Derntl von der Wiener Staatsoper gegeben. Warmherzig gestaltet Raphael Sigling den Rocco, zeigt aber in der Goldarie eine ganz andere Seite, die des Spielsüchtigen – eine durchaus legitime Deutung. Schärfe und Gefährlichkeit legt der Koreaner Adam Kim eindrucksvoll in die Rolle des Pizarro – faszinierend seine Begegnungen mit Leonore im ersten Akt. Als ob er sie erkennen würde! Réka Kirstóf als Marzelline mit sehr substanziellem Sopran, Thomas Elwin als Jaquino und Thomas Stimmel als Minister ergänzen das rundum erfreuliche Ensemble. Strahlend singt der von Benjamin Lack vorbereitete Bregenzer Festspielchor seine anspruchsvolle Partie. Das Publikum reagierte in der Pause noch unterschiedlich, am Ende spendete es jubelnden Applaus.
Ein Detail am Rande hat mir ein Schmunzeln entlockt: das sonst sehr informative Programmheft verweist, falls man die Sängerbiografien lesen möchte, auf die Webseite des Landestheaters. Also zurück zum Anfang, zurück in unsere digitale Wirklichkeit!
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