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Artemis und Hagen – Streichquartette auf höchsten Niveau

Bei einem Festival wie der Schubertiade ist es ein Hauptvergnügen des meist kundigen Publikums, Interpretationsvergleiche anzustellen. Besonders spannend geriet der zwischen dem Artemis Quartett, das am Dienstagabend spielte, und dem Hagen Quartett am Mittwochabend.

Robert Schumann stand auf dem Programm des Artemis Quartetts. Im ersten Teil erklangen seine Quartette Opus 41 nr.2 und 3, im zweiten Teil spielte es zusammen mit Elisabeth Leonskaja sein Klavierquintett Opus 44, ein vermutlich ähnlich starkes Werk wie das, was das Hagen Quartett zusammen mit dem Cellisten Danjulo Ishizaka in seinem Konzert spielte, nämlich das Streichquintett Schuberts, welches für Schubertianer der Rang einer Ikone hat. Das Artemis Quartett wurde ursprünglich in Lübeck gegründet und sitzt nun in Berlin. Es erfuhr mehrere Umbesetzungen – auch durch den Tod des Bratschisten Friedemann Weigle – und zeigt sich nun denkbar kosmopolitisch, mit der Lettin Vineta Sareika als Primaria, der Amerikanerin (vermutlich, denn sie gibt in ihrer Vita keine Herkunft an) Anthea Kreston an der zweiten Violine, dem in Augsburg geborenen und in Salzburg ausgebildeten Bratschisten Gregor Sigl und dem deutschen Cellisten Eckhard Runge.  Sehr bald im Konzert wird deutlich, dass – bei aller Führungsqualität von Vineta Sareika – alle vier Musizierpartner gleichberechtigt sind. Dadurch erlebt man ein Klangbild von großer Ausgewogenheit und idealer Durchhörbarkeit und man denkt an den Satz, dass ein Streichquartett sei wie die Unterhaltung von vier intelligenten Menschen. Das ist musikantisches Spiel auf denkbar höchstem Niveau, und es tut der Musik Robert Schumanns so gut, denn sie kommt lichtdurchflutet daher, und die Verflechtungen der Stimmen sind bestens nachvollziehbar. Elisabeth Leonskaja, die unprätentiöse und stets der Musik dienende Pianistin, war im Quintett die ideale Ergänzung.

 

Zum Hagen Quartett gibt es doch merkliche Unterschiede, allein schon in der Laufbahn und Besetzung. Ursprünglich waren es vier Geschwister, die im heimischen Salzburg von Jugend auf zusammen musizierten – der Vater Oskar Hagen war Bratschist im Mozarteum Orchester Salzburg und stammt aus dem Vorarlbergischen Lustenau. Bis auf die zweite Geige, die zweimal verändert wurde und nun seit 1987 mit Rainer Schmidt besetzt ist, spielen die drei Geschwister Lukas, Veronika und Clemens Hagen seit etwa 1970 zusammen. Kann man sich eine größere musikalische Einmütigkeit vorstellen? Es ist interessant, wie sich das auf die Musizierweise auswirkt. Das Hagen Quartett steht tatsächlich für eine ausgeprägte interpretatorische Haltung. Diese geht merklich vom Primarius Lukas Hagen aus, dessen berückend schöner – fast hätte ich geschrieben bestürzend schöner – Ton den Gesamtklang krönt. Das Programm des Hagen Quartetts umfasst sehr oft auch ein Werk des 20.Jahrhunderts, und so spielten sie in Schwarzenberg nach Beethovens Opus18/5 Anton von Weberns Bagatellen Opus 9. Jede dieser Interpretationen ist punktgenau, und der Zuhörenden enthüllen sich Beziehungen, etwa solche von den klanglichen Einzelereignissen Webern zu den vergleichbaren empfundenen Klangen der Eckteile im langsamen Satz von Schuberts Streichquintett. Oder solche zwischen Beethoven und Schubert, die beide saftige Tanzbodenklänge in ihre von den nachfolgenden Generationen als so hehr verehrten Werke einfügten. Das Hagen Quartett liefert aber nicht nur das ab, was in den Noten steht, es erlaubt sich großräumige Rubati bei Beethoven und Schubert, das heißt sie verlangsamen verinnerlichte Passagen, um dann wieder aufzuholen, und das mit tatsächlich Stretta-artigen Beschleunigungen, wie am Schluss des Schubert-Quintetts – da lugt Rossini ums Eck.

Apropos Anton von Webern: Die Musiker des Hagen Quartetts waren nicht die Einzigen in diesem Spätsommer-Schubertiadezyklus, die deutlich modernere Werke ins Programm nahmen: Das ist gut so, ebenso wie es gut ist, dass dieses Festival seinem Namenspatron treu bleibt und seine Musik im Zentrum behält. Doch Schubert klingt anders, wenn er gespiegelt wird mit neuerer Musik: man erkennt seine Radikalität.

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