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Bregenzer Festspiele Tancredi: Geglückte Aktualisierung

Die Seebühnenaufführung des “Freischütz” hat mich derart verstötrt – als glühende Verehrerin dieser Oper – dass darüber nichts schreiben will. Jedoch fand ich Rossinis “Tancredi” am nächsten Tag im Haus geradezu als beglückend.

Opern, so sagt man, seien in den Geschichten, die sie erzählen, vielfach angestaubt, und so wagt man sich immer wider an Aktualisierungen. Selten gelingen diese, was die Seebühnenproduktion des „Freischütz“ einmal mehr beweist. Der Regisseur der Bregenzer Hausoper und künftige Direktor des Volkstheaters in Wien, Jan Philipp Gloger, schaffte mit seinem Team die Quadratur des Kreises und überzeugte mit seiner Neudeutung der Rossini-Oper „Tancredi“ voll und ganz. Er verlegte die Kreuzrittergeschichte irgendwo nach Südamerika, wo sich Drogenbanden bekriegen, wo Rechtlosigkeit und Selbstjustiz herrschen und Macho-Männer die Oberhand haben. Da wird der Titelheld Tancredi, ohnehin bei Rossini eine Hosenrolle für einen Mezzosopran, zu einer Frau, die eine heimliche lesbische Beziehung ausgerechnet mit Amenaide, der Tochter des schwerreichen Drogenbosses Argirio pflegt. Dessen protzige Villa, unter anderem ausgestattet mit einer Gefängniszelle, einem Fitmessraum und einer Kapelle, bietet auf der Drehbühne des Bregenzer Festspielhauses immer neue Einblicke. Sogar einen Balkon zu Julias, pardon, Amenaides Schafzimmer gibt es. Denn, wie beim berühmten Liebespaar in Verona, sind Tancredis Clan und der Amenaides verfeindet. Doch der gewaltsame Tod Tancredis wird nicht deshalb verübt, sondern weil in dieser Machowelt eine Liebe zwischen zwei Frauen absolut provokant ist. Diese sehr berührende Geschichte hat allerdings ihre Längen, doch die erträgt man gerne, denn es wird unglaublich schön gesungen. Melissa Petit als Amenaide – die Französin hat in Bregenz bereits die Micaela in „Carmen“ und die Gilda in „Rigoletto“ verkörpert – führt ihren wunderschönen Sopran derart mühelos und blitzsauber über komplexe Koloraturen in stratosphärische Höhen, dass man ihr getrost weitere drei Stunden zuhören könnte. Ihr Vater Argirio ist Antonio Siragusa, dessen besonders timbrierter Tenor genau zu diesem harten und am Ende doch geläuterten Charakter passt. Auch er erfüllt die nicht geringen Anforderungen seiner Partie, was Höhe und Koloratursicherheit betrifft, atemberaubend gut. Seine Gattin, anpassungsfähig und resolut zugleich, ist Laura Polverelli, die in ihrer Arie sogar spaßige Elemente einbringen darf. Und nicht zuletzt sei die Verkörperung der Titelrolle durch Anna Goryachova genannt, die mit ihrem so farbenreichen wie klangvollen Mezzosopran diesen komplexen Charakter so seelenvoll gestaltet, dass einem die Tränen kommen. Die Herren des Prager Philharmonischen Chors singen präzise, und unter der so umsichtigen wie feinfühligen Dirigentin Yi-Chen Liu spielen die Wiener Symphoniker wundervoll. Besser kann man Oper heutzutage kaum machen!

Siehe auch das Interview mit Melissa Petit!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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