Melissa Petit entschuldigt sich, dass sie etwas müde ist. Sie kommt direkt von der Bühne des Festspielhauses, wo sie mit den Stunts eine Szene geprobt hat, und zwar diese, wo man ihr, offenbar gewaltsam, ihr Hochzeitskleid auszieht. „Das war ausgesprochen anstrengend“ – „so exhausting“, klagt sie. Ist aber dann bald lebhaft und strahlend bei der Sache. Wir unterhalten uns auf Englisch, denn auf Französisch bin ich nicht so sattelfest in den fachspezifischen Ausdrücken, und Melissas Englisch ist super.
AM: Frau Petit, Sie sind nicht zum ersten Mal in Bregenz. Sie haben Micaela in Carmen gesungen, dann die Gilda im Rigoletto. In welchem Stimmfach sehen Sie sich?
MP: Ich bin auf dem Weg. Gegenwärtig sehe ich mich als leichter lyrischer Sopran, der gerne hohe Noten singt. Gilda etwa ist genau so, die Partie ist tatsächlich sehr lyrisch, und ich liebe es, die melodischen Linien zu gestalten.
Also haben Sie keine Angst vor den hohen Noten, aber auch nicht vor tatsächlicher Höhe auf der Bühne. Sowohl bei Carmen als auch bei Rigoletto haben sie ihre Arie in großer Höhe gesungen.
Bei Carmen haben wir das ausprobiert, denn ich dachte, dass ich Höhenangst habe. Zuerst waren es fünf Meter Höhe, und hatte Herzklopfen. Zuerst fünf Meter, Herzklopfen, dann zehn Meter, wieder Herzklopfen. Und als ich auf die fünfzehn Meter kam, wo ich dann bei den Aufführungen singen sollte, hatte ich plötzlich keine Angst mehr. Da oben war es still, ich genoss den Wind, es war einfach schön. Auch wenn unten kein Wind war, oben war es luftig.
Bei Carmen war ich also fünfzehn Meter hoch und bei Rigoletto zwanzig Meter hoch. Und da hat sich zudem der Ballon bewegt. Die Hand hat sich übrigens auch bewegt, ansonsten wäre sie gebrochen. Wie der Eiffelturm!
Sie sind also definitiv schwindelfrei. Dabei kommen Sie nicht aus den Alpen, sondern von der Cote d’Azur.
Genau. Aus Saint Raphael. Übrigens habe ich bei einem Orchesterkonzert der Festspiele die „Chants d’Auvergne“ von Joseph Canteloube gesungen. Sie sind in der occitanischen Sprache geschrieben, die auch in der Provence gesprochen wird.
Auch bei den Salzburger Festspielen sind Sie regelmäßig zu erleben, vor allem in Produktionen mit Cecilia Bartoli.
Meine erste Partie dort war in Händels szenischem Oratorium „IL trionfo del tempo e del disinganno“, wo ich die „Bellezza“, die Schönheit also, verkörpert habe. Dann Glucks Orpheus, wo ich die Euridice war, und nun die Servilia in Mozarts „La clemenza di Tito“. Das habe ich in diesem Jahr bei den Pfingstfestspielen gemacht, nun wird es in die Sommerfestspiele übernommen.
Frau Petit, lassen Sie uns nun bitte sprechen über Ihre aktuelle Rolle in Gioachino Rossinis Oper „Tancredi“, wo Sie die Amenaide singen. Was für ein Charakter ist sie?
„Tancredi“ ist eine sehr tragische Oper, und Amenaide ist ein unglückliches Mädchen. Niemand glaubt ihr, sie wird verleumdet. Sie liebt Tancredi, aber man bezichtigt sie der Untreue. Nicht einmal ihre Eltern halten zu ihr – unsere Version spielt in der Villa ihres Vaters, in verschiedenen Räumen auf einer Drehbühne. Geografisch ist unsere Version angesiedelt irgendwo in Südamerika, etwa um 1990.
In unserer Regie von Jan Philipp Gloger sind Tancredi und Amenaide ein lesbisches Paar, was durchaus naheliegt, denn der Ritter Tancredi ist vom Komponisten als eine Frau vorgesehen, ist also eine Hosenrolle. Wie meistens in der Oper geht es auch bei „Tancredi“ um Liebe, und natürlich gibt es auch die Liebe zwischen Paaren des gleichen Geschlechts. Ich finde es gut, solches ans Licht zu holen. Freilich mag es sein, dass sich Menschen provoziert fühlen, so etwas auf der Bühne zu erleben.“
Und wie liegt die Partie musikalisch, für Ihre Stimme?
Die Partie passt mir wie ein Handschuh. Es ist, als hätte Rossini die Partie für mich…nun ja, für eine Sängerin wie mich geschrieben. Es ist übrigens meine erste Hauptrolle in einer Oper von Rossini.
Wir danken für das Gespräch und wünschen toitoitoi!
0 Comments