Abstruse Handlung mit großer Musik
Vorweg: Das Vorarlberger Landestheater muss – in Zusammenarbeit mit dem Symphonierochester Vorarlberg – aus Geldmangel seine gerade in den letzten Jahren sehr qualitätvolle jährliche Opernproduktion drastisch einschränken. Traurig für alle Opernfreunde im Land, die nun allenfalls in Sankt Gallen, mehr jedoch in Zürich oder noch weiter weg gute Aufführungen erleben können. Und da halten die Bregenzer Festspiele an dem schon lange diskussionswürdigen Diktum fest, im Haus Opernratitäten zu spielen. Und das Bregenzer Publikum inklusive einiger Kritiker lässt es sich gefallen, eben genau weil hierzulande viel zu wenige Leute wissen, was einen guten Opernabend ausmacht. Nämlich dass ich etwas Ganzheitliches erlebe, etwas das mich in meinem Menschsein ein Stück weiterbingt, etwas, das mit ein wie immer geartete Perspektive gibt. Zu wenige dieser Opernraritäten der letzten Jahre haben das vermocht. Und es sollte den Verantwortlichen zu denken geben, dass diese aktuelle Produktion “Ernani” nur dreimal gezeigt werden kann (im Vergleich dazu: es ist ein Bruchteil der Auslastung, die Maria Stuarda von Donizetti heuer am Landestheater erreicht hat) und danach kein Opernhaus es als Koproduktion übernehmen wird, auch nicht die Wiener Volksoper, deren Intendantin die Regisseurin der Aufführung, Lotte de Beer, seit einem Jahr ist.
Lohnt es sich also, bei den Bregnzer Festspielen eine Oper zu zeigen, deren Handlung uns heute so rein Garnichts mehr sagt und deren katastrophales Bild von Frauen wie von Männer unhinterfragt durchexerziert wird. Diese Fragen seien erlaubt nach der Premiere der Hausoper der Bregenzer Festspiele „Ernani“, bei der man irgendwann aufgegeben hat, der absurden Handlung zu folgen. Freilich: Regisseurin Lotte de Beer und Ausstatter Christof Hetzer haben sich mit einem gewissen Erfolg um szenische Klarheit bemüht, spielen alle vier Akte auf einem Kugelsegment gleich einem Ausschnitt des Erdballs, denn, so meinen sie, diese unvollkommene Handlung spiegle die Unvollkommenheit der ganzen Menschheit. Und leider ist es so, dass Machismo bis hin zu allen brutalen Ausformungen keineswegs der Vergangenheit angehört, und dass leider darin auch Frauen als Spielball herhalten müssen. So erlebt das festliche Premierenpublikum, dass große Mengen von Blut verspritzt werden und dass selbst die Konfetti bei den beiden Hochzeitsfeiern blutrot sind. Tatsächlich kommt zweimal eine Hochzeit in Gang, denn die schöne Elvira wird von drei Männern begehrt, aber als sie endlich ihren geliebten Ernani für sich hat, nimmt dieser sich selbst das Leben. Und das wegen eines absurden Versprechens, denn er ist schließlich ein Mann von Ehren. Nicht nur hier wird die Handlung so bizarr, dass sie ins Klamaukhafte kippt, durchaus im Sinne der Regie. So wähnt man sich gelegentlich in einem Horrorfilm der simpleren Sorte. Ob das angesichts der aktuellen Kriegshandlungen zwischen Russland und der Ukraine sein muss beziehungsweise sein darf – auch das fragt man sich im Laufe der Aufführung?
Wie immer wieder bei Verdi, legt sich auch bei dieser Oper eine wundervolle Musik über all das Grausliche. Beim Dirigenten Enrique Mazzola ist sie besten Händen, und die Wiener Symphoniker sind ein großartiges Opernorchester. Ohne jegliche Schwachstelle brilliert das Gesangsensemble. Mit Guanqun Yu erlebt man eine Elvira mit klarem Sopran und wunderbaren Klangfarben, mit Saimir Pirgu einen sicheren Tenorhelden. Als König Carlo mit Papierkorne und nackter Brust verfügt Franco Vassallo über einen Bassbariton von schöner Fülle und erstaunlichem Umfang, und Goran Juriç ist der greise Silva, der Mitleid erregt, jedoch ein Fiesling ist. Hervorragend singen die Damen und Herren des Prager Philharmonischen Chors. Fazit: auch diese Festspielpremiere, wenngleich bejubelt, wird kaum dazu beitragen, dass „Ernani“ den Weg ins gängige Repertoire findet.
(Foto Bregenzer Festspiele Karl Forster)
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