Bei einem Konzert des Schubertiade Hohenems in diesem Sommer machte ich die Bekanntschaft einer Kollegin. Wir sprachen über Schuberts Wanderer-Fantasie, und ich vertrat die Meinung, dass es selbst auf internationalem Niveau wenige Pianisten gibt, die dieses besondere Werk Schuberts wirklich gut interpretieren. Da versprach sie mir, eine Aufnahme ihres Landsmannes Naruhiko Kawaguchi zu schicken, was sie auch tat.
Seither habe ich diese CD schon einige Male gehört, denn sie bezaubert mich auf der ganzen Linie. Kawaguchi wurde in seiner Heimat Japan ausgebildet, unter anderem auch in Sachen Alter Musik, aber auch in Amsterdam. Er hat mehrere wichtige Wettbewerbe für sich entscheiden können und konzertiert auf internationalen Podien, vor allem auch in Europa. Für die Schubert-Einspielung hat er die Replik eines Conrad Graf Flügels, erbaut von Chris Maene, gewählt, der für ihn entscheidende Vorteile bringt gegenüber einem modernden Konzertflügel. Neben einer viel reicheren Klangfarbenpalette sind dies auch Fragen des Ausdrucks, was er am Beispiel eines fffz in der Wanderer-Fantasie (Takt 658) erklärt. Ein moderner Konzertflügel würde die unglaubliche Energie dieses Akkordes absorbieren, das Hammerklavier hingegen würde mit diesem Anschlag an seine Grenzen kommen, und genau das ist beabsichtigt.
In seinem booklet-Text (auf Englisch, Französisch und Flämisch, nicht auf Deutsch) geht Naruhiko Kawaguchi auch noch auf seinen sehr persönlichen Zugang zu Schuberts Musik ein. Er bekennt, dass er Schuberts Klaviermusik unbedingt vor seinem einunddreißigsten Geburtstag spielen wollte, also in einem Alter, in dem Schubert selbst noch am Leben war (der ja in seinem 31. Lebensjahr verstarb) Er selbst habe, so der Pianist, in seinen jungen Erwachsenenjahren gerungen mit der Frage, wer er sei und welchen Platz er in der Gesellschaft einnehmen will oder einzunehmen hat. Dieses Ringen fände er auch in der Musik Schuberts. Eine feinsinnige, berührende Beobachtung!
Legt man sich nun als Musikrezensentin Kawaguchis Schuberts-CD auf, so lässt man bald den Beckmesserischen Bleistift sinken und lehnt sich entspannt zurück. Denn in dieser Interpretation stimmt einfach alles! Zum einen liegt das an den bereits oben beschriebenen Eigenschaften des Instruments aus der Zeit Schuberts, das die Musik um so Vieles authentischer zu Klang werden lässt. Aber zum anderen darf keineswegs die wunderbare Musikalität Naruhiko Kawaguchis zu geringgeachtet werden, die Klangfarben und Tempi absolut stimmig wählt.
Es ist nicht die einzige CD, die Kawaguchi herausgebracht hat, und sie zeichnet sich durch eine kluge Werkzusammenstellung aus. Auf die zentrale Wanderer-Fantasie führt die Ungarische Melodie in h-Moll D 817 sowie das Adagio in E-Dur hin. Nach der Wanderer-Fantasie, dem vielleicht virtuosesten Werk Schuberts, wird der Raum der Virtuosität nicht sogleich verlassen, denn es erklingen Liedbearbeitungen von Franz Lizst aus dem Zyklus Die schöne Müllerin, bei dem Schubert ja auch das Wandern thematisiert. Dann folgt, als zweites markantes Werk dieses Programms, die Gruppe der Vier Impromptus D 899, die viele als eine Art Sonate betrachten. Die gewichtige CD endet mit dem kleinen Kupelwieser-Walzer in Ges-Dur, der ja nur klanglich überliefert wurde, bis ihn schließlich Richard Strauss niederschrieb. Soll man annehmen, dass Schuberst Geist ständig im Äther schwebt? Vielleicht klingen deshalb diese Interpretationen von Naruhiko Kawaguchi so, als hätte er Schubert schon immer gekannt. (Label fuga libera)
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