Was es mit dem Oktopus auf sich hat
Äußerst beeindruckend geriet das Musiktheater „Hold Your Breath“ das Ena Brennan, Hugo Canoilas und David Pountney zusammen geschaffen haben. Es ist eine Produktion im Rahmen des “Opernatelier”, das von Intendantin Elisabeth Sobotka ins Leben gerufen wurde.
„Hold Your breath, its poison“ – „Halten Sie den Atem an, die Luft ist vergiftet“, so wird das Publikum am Ende der Aufführung aus dem Saal gebeten. Kurz zuvor wird ein Gefäß mit Wasser auf einem hohen Podest hereingefahren, als wäre es der Heilige Gral, doch zugleich die Warnung ausgesprochen, dass das Wasser verseucht ist. Es zu trinken wäre tödlich. Kein Zweifel, dieses Musiktheater weist uns auf unseren zerstörerischen Umgang mit der Natur hin, der uns letztendlich unserer eigenen Lebensgrundlagen beraubt. Doch liegt gerade dieser Szene mit dem Wasser ein zutiefst pessimistischer Text zugrunde, der in England um 1760 geschrieben wurde. Das Libretto, das David Pountney für „Hold Your Breath“ geschaffen hat, ist eine faszinierende Collage, wo auch ein Kinderlied Platz findet, das an dieser Stelle (und auch anderweitig in einem gleichnamigen Thriller) eine besondere Bedrohlichkeit entfaltet. Mit „Who killed Cock Robin“ – „Wer hat das Rotkehlchen getötet?“ wird erneut nach unserem Umgang mit der Natur, hier mit den Tieren gefragt. Und damit sind wir bei diesem geheimnisvollen Oktopus, der seinen Schöpfer, den portugiesischen Künstler Hugo Canoilas, und nicht nur ihn, seit drei Jahren beschäftigt. Riesig, mit langen Tentakeln, füllt er den gesamten Plafond der Werkstattbühne aus, sinkt auf dem Höhepunkt der Handlung zu Boden und wird zerstört. Zuvor in lebendigem Rot, ist er nun fahl und grau. Doch am Ende gewinnt er wieder Farbe. Gibt es Hoffnung? Für diese Aneinanderreihung der neun Szenen hat sich David Pountney die Form der „Masque“ gewählt, im englischen Barock eine Art Revue, wo scheinbar Unvereinbares nebeneinandersteht. Auch die Musik der belgisch-irischen Komponistin Ena Brennan präsentiert sich als ein Katalog verschiedenster Stile. Geräuschhafte elektronische Klänge (aufgenommen mit einem Wassermikrophon im Bodensee) empfangen das Publikum, das übrigens teils auf Podien sitzt, teils in der Szenerie herumspaziert beziehungsweise in die Handlung eingebunden wird – „Bleiben Sie in ihrer Gruppe!“. Dann wird aber fast durchwegs live gespielt, von Musikern des Symphonieorchesters Vorarlberg, die von Karen Ni Bhroin dirigiert werden und die auf hohen Podesten im weiten Raum verteilt sind. Da hört man Tanzmusik und Fanfaren ebenso wie frei Komponiertes und Improvisiertes. Und vor allem viel Gesang, hauptsächlich im Ensemble. Die Sänger Scott Hendricks, Sam Furness, Maria Hegele, Idunnu Münch und Shira Patchornik sind aber auch voll in Aktion, kaum weniger als die Tänzer Hellen Boyko, Petr Nedbal und Romane Ruggiero (Choreografie Caroline Finn). Wie eingangs schon angedeutet, wird das Publikum am Ende ins Foyer geschickt, ohne die in jedem Theater und jeder Oper übliche Verbeugungs- und Beifallstour. Hätte es die Möglichkeit gegeben, es hätte sicher Standing Ovations gespendet, so groß war die Begeisterung, aber auch Betroffenheit über „Hold Your Breath“. Das war innovatives Musiktheater, denkbar weit entfernt von jeglichem Genie- und Starkult, und dabei unverkrampft, authentisch und voll überzeugend.
(Foto Bregenzer Festspiele Anja Koehler)
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